Toxikologie:Forscher spüren Plastik im Leib auf

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Plastik findet sich überall in der Umwelt. Besonders problematisch wird es, wenn das Material zu kleinen Teilchen zerfällt. (Foto: Jesús Martinez/Westend61/Imago Westend)

Wie viele Kunststoffteilchen wo im menschlichen Körper stecken, ist bisher unbekannt. Ein neues Verfahren soll Licht ins Dunkel bringen.

Von Andrea Hoferichter

Appetit auf Innereien hatten Charles Rolsky und Varun Kelkar von der University of Arizona vermutlich nicht, als sie sich in einer lokalen Metzgerei Rinderleber besorgten. Sie brauchten das Schlachtgut, um eine Detektionsmethode für Mikroplastik zu entwickeln. Offenbar mit Erfolg, wie das Team kürzlich bei einer virtuellen Konferenz der American Chemical Society berichtete. "Das Verfahren ist robust, schnell auch für einen hohen Durchsatz geeignet", sagt Rolsky. Künftig könne damit auch menschliches Gewebe auf winzige Plastikkrümel zwischen 50 Mikrometern und fünf Millimetern untersucht werden.

Dass Menschen Kunststoffteilchen aufnehmen, ist unbestritten. Einer WWF-Studie zufolge sind es pro Kopf und Woche durchschnittlich etwa fünf Gramm, was ungefähr dem Gewicht einer Kreditkarte entspricht. Die Krümel, die aus zerfallenem Plastik stammen, aus Reifenabrieb, Kleidung oder Kunstrasen, sind praktisch überall, in der Luft, in Gewässern und im Boden. Auch in manchen Nahrungsmitteln sowie im Trinkwasser wurden sie schon nachgewiesen. Dass sie den Verdauungstrakt passieren, berichteten Forscher des österreichischem Umweltbundesamts vor zwei Jahren. Sie fanden Mikroplastik in Stuhlproben. Doch welche Wege die Teilchen sonst noch durch den Körper nehmen und was sie dort womöglich anrichten, weiß bisher niemand.

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Um eine Methode zu prüfen, die Licht ins Dunkel bringt, spickten Rolsky und Kelkar Rinderleberproben mit winzigen Plastikkugeln. Die kleinsten waren etwa halb so dünn wie ein menschliches Haar. Dann lösten sie das Zellgewebe mit einer starken Säure auf, filterten die Inhaltsstoffe und gaben einen Farbstoff hinzu, der unter Laserlicht rot leuchtet. Diese Mischung schleusten sie durch ein Durchflusszytometer, mit dessen Hilfe üblicherweise biologische Zellen begutachtet werden. "Um auszuschließen, dass Gewebereste irrtümlich als Plastikteilchen detektiert werden, haben wir viele Kontrollmessungen gemacht", berichtet Rolsky. Die Analyse lieferte Aufschluss über Zahl und Größe der Teilchen. Mit spektroskopischen Methoden lässt sich zudem ermitteln, um welche Kunststoffe es sich handelt. Für eine standardisierte Erfassung der Daten haben die Forscher ein Computerprogramm entwickelt, das auch die Gesamtmasse und Oberfläche der Plastikteilchen errechnet.

Die Teilchen fanden sich in Spenderorganen

Molekulare Bausteine von Kunststoffen, sogenannte Monomere, konnte das Team schon in menschlichem Gewebe nachweisen, in Leber- und Fettgewebeproben von Organspendern, wie sie 2019 im Fachblatt Current Alzheimer Research schrieben. Monomere seien im Gegensatz zu ganzen Plastikteilchen wasserlöslich und deshalb mit chemischen Standardverfahren zu identifizieren, erklärt Rolsky. Ähnliches gilt für zum Teil gesundheitsgefährdende Kunststoffadditive wie Weichmacher, UV-Stabilisatoren und Flammschutzmittel beziehungsweise deren Abbauprodukte, die andere Wissenschaftler in Blut- und Urinproben nachgewiesen haben.

Dass solche Befunde allein nicht ausreichen, um mögliche Gesundheitsgefahren durch Mikroplastik zuverlässig abzuschätzen, bestätigt Holger Sieg vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin. Zum einen könnte es einen Unterschied ausmachen, ob Additive an Partikel gebunden oder gelöst in den Körper gelangen. Zum anderen könnten die Plastikteilchen selbst zelluläre Prozesse beeinflussen. Es sei deshalb wichtig, die Partikel, ihre Materialien, Häufigkeiten und Größenverteilung zu kennen. "Eine verlässliche Quantifizierungsmethode würde bei der Risikobewertung sehr helfen", sagt Sieg.

Welche Rolle das Verfahren aus Arizona dabei spielen wird, bleibt abzuwarten. Rolsky zufolge arbeitet das Team gerade an Mikroplastik-Analysen menschlicher Gewebeproben. Die Ergebnisse stünden noch aus, ebenso wie eine Veröffentlichung in einem Fachblatt. "Wir wollten erst sichergehen, dass die Methode funktioniert, und das konnten wir jetzt zeigen", sagt der Forscher.

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