Brasilien:Kollaborateur VW entschädigt Opfer der Militärdiktatur

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"Wir wollen keine Feier, wir wollen Gerechtigkeit", hieß es 2017 auf einem Banner vor der brasilianischen VW-Zentrale in São Bernardo do Campo. (Foto: Paulo Whitaker/Reuters)

Der Autokonzern beteiligte sich aktiv an der Verfolgung von Regimegegnern. Mitarbeiter wurden von Schergen der Militärdiktatur aus dem Werk offenbar in Folterkeller verschleppt. Nun wird ein millionenschwerer Vergleich geschlossen.

Von Stefanie Dodt und Boris Herrmann

Volkswagen übernimmt Verantwortung für seine Rolle während der brasilianischen Militärdiktatur von 1964 bis 1985. Nach Informationen von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung soll im Verfahren um die Kollaboration des Konzerns mit dem damaligen Regime am Donnerstag in São Paulo ein Vergleich unterzeichnet werden.

Dieser Vergleich beinhaltet Entschädigungszahlungen für ehemalige VW-Arbeiter in Millionenhöhe. Rund 36 Millionen Reais (etwa 5,5 Millionen Euro) soll die brasilianische Tochter von Volkswagen demnach für individuelle und kollektive Entschädigungen bezahlen. Ein großer Teil des Geldes soll an den Opferverband von ehemaligen Mitarbeitern und deren Hinterbliebenen gehen. Insgesamt geht es um mehr als 60 Betroffene.

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:Volkswagen als Komplize der Militärdiktatur in Brasilien

Arbeiter wurden auf dem Werksgelände festgenommen und dann gefoltert: Volkswagen half der brasilianischen Militärdiktatur offenbar aktiver als bisher bekannt.

Von Stefanie Dodt und Boris Herrmann, São Paulo

Das Verfahren geht auf eine vor fünf Jahren eingereichte Sammelklage ehemaliger Arbeiter zurück, die zu Diktaturzeiten im VW-Werk in São Paulo beschäftigt waren. Recherchen von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung hatten gezeigt, dass sich Volkswagen in Brasilien aktiv an politischer Verfolgung und Unterdrückung von Regime-Gegnern beteiligt hatte. Der sogenannte Werkschutz in São Paulo agierte demnach wie ein Geheimdienst, der die eigene Belegschaft ausspionierte.

Offenbar hat die Konzerntochter VW do Brasil auch politische Verhaftungen durch die Geheimpolizei auf dem Werksgelände zugelassen und die Betroffenen damit der Folter ausgeliefert. Die Recherchen ergaben, dass der Vorstandschef in Wolfsburg im Jahr 1979 persönlich über die Verhaftungen informiert wurde.

Ein Gutachten der Staatsanwaltschaft hatte die Recherchen bestätigt. Mit dem jetzigen Vergleich werden die langen und zähen Verhandlungen beendet. Volkswagen entgeht damit einer gerichtlichen Auseinandersetzung.

Historiker: VW für Festnahmen auf Werksgelände verantwortlich

Für Brasilien gilt die Entscheidung als wichtiges Signal, gerade weil der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro die damalige Militärdiktatur verherrlicht. Für die ehemaligen Arbeiter bedeutet sie ein Stück Gerechtigkeit, auf die sie Jahrzehnte warten mussten.

Auch der eigens von Volkswagen beauftragter Historiker Christopher Kopper von der Universität Bielefeld bestätigte die systematische Zusammenarbeit von VW mit dem einstigen Militärregime. Für Festnahmen auf dem Werksgelände sah er Volkswagen in der Verantwortung. Die Ergebnisse seiner Studie wurden Ende 2017 vorgestellt, wenige Monate nach den Veröffentlichungen von NDR, SWR und SZ.

Aus Sicht des Historikers hat der Vergleich vom Donnerstag historischen Charakter. "Es wäre das erste Mal, dass ein deutsches Unternehmen Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen an den eigenen Arbeitern im Werk annimmt für Vorgänge, die nach dem Ende des Nationalsozialismus passiert sind", sagte Koppers.

© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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