Verhaltensbiologie:Gezwitscher in der Pandemie

White-crowned sparrow (Zonotrichia leucophrys) male singing to defend his territory and attract
mates in San Francisco, CA, USA.
[Credit: JN Phillips]

Dachsammern singen einfallsreicher, wenn sie nicht durch Verkehrslärm gestört werden.

(Foto: JN Philips)

Singvögel profitierten von der geringeren Lärmbelastung während der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr. Das lässt hoffen, dass sich auch andere Tiere schnell regenerieren, wenn sich die Umweltbedingungen für sie verbessern.

Von Tina Baier

Koyoten auf der Golden Gate Bridge in San Francisco, seltene Flussregenpfeifer auf Isar-Kiesbänken mitten in München: Es gab viele Geschichten darüber, dass die Corona-Ausgangsbeschränkungen im vergangenen Frühjahr der Natur eine kleine Verschnaufpause verschafft haben. Nicht alle Berichte waren seriös. Die in den sozialen Medien begeistert geteilte Nachricht von Delfinen in einem venezianischen Kanal etwa war nachweislich falsch. Die Fotos waren nicht in Venedig, sondern in der Nähe von Sardinien aufgenommen worden.

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Science haben Biologen um Elizabeth Derryberry von der University of Tennessee jetzt wissenschaftlich nachgewiesen, dass der erzwungene Rückzug des Menschen tatsächlich Vorteile für wildlebende Tiere zur Folge hatte. Singvögel in und um San Francisco haben demnach von der gesunkenen Lärmbelastung während der Ausgangsbeschränkungen profitiert.

In früheren Untersuchungen hatten die Wissenschaftler herausgefunden, dass Dachsammern in der Region aufgrund der hohen Lärmbelastung vor allem durch den Verkehr ihren Gesang verändern mussten. Ähnlich wie Menschen, die bei starken Hintergrundgeräuschen nicht nur lauter sprechen, sondern auch in eine höhere Tonlage wechseln, zwitscherten die Vögel in deutlich höherer Frequenz. Das Phänomen wird als Lombard-Effekt bezeichnet und bewirkte, dass die Dachsammern trotz der lauten Verkehrsgeräusche auch von weiter entfernten Artgenossen noch gehört wurden. Für Singvögel ist das essenziell, weil sie mit ihrem Gesang unter anderem Partner anlocken und ihr Revier markieren.

Die Vögel sangen Lieder, die seit Jahrzehnten nicht mehr erklungen waren

In ihrer aktuellen Studie zeigen die Wissenschaftler zunächst, dass die Lärmbelastung während der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr 2020 tatsächlich abgenommen hatte. In der Stadt hatte sich der Lärmpegel um durchschnittlich sieben Dezibel reduziert. Damit war es den Autoren zufolge so still wie zuletzt Mitte der 1950er-Jahre. Auf dem Land fiel der Rückgang mit 1,4 Dezibel deutlich geringer aus, was nach Ansicht der Autoren auch zeigt, dass ein Großteil der Lärmverschmutzung tatsächlich vom Verkehr verursacht wird.

Als Nächstes verglichen die Biologen den Gesang von Dachsammern, den sie zwischen April und Mai 2020 während der Ausgangsbeschränkungen aufgenommen hatten, mit Archivaufnahmen aus dem Frühjahr 2015. Dabei stellten sie große Unterschiede fest: In der Stille der Corona-Krise sangen die Dachsammern deutlich leiser und in tieferer Tonlage. Trotzdem konnten die Vögel der Studie zufolge über eine doppelt so große Entfernung miteinander kommunizieren wie im Jahr 2015. "Diese Verdopplung könnte die Fitness erhöhen, weil es dadurch weniger territoriale Konflikte gibt und sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, einen Partner zu finden" heißt es in der Studie.

Offensichtlich haben die Vögel extrem flexibel auf die Stille reagiert

Zudem war der Gesang der Vögel im Frühjahr 2020 abwechslungsreicher geworden. Ein Vergleich mit historischen Aufnahmen ergab, dass die Dachsammern plötzlich wieder Lieder sangen, die in der Region seit Jahrzehnten nicht mehr zu hören gewesen waren. In der Stadt waren die Veränderungen im Gezwitscher deutlicher als auf dem Land, passend zur Beobachtung, dass der Geräuschpegel in der Stadt stärker gesunken war.

Offensichtlich haben die Vögel extrem flexibel auf die Stille während der Ausgangsbeschränkungen reagiert und konnten ihre Gesänge innerhalb kürzester Zeit anpassen. Für den Artenschutz ist das eine gute Nachricht, denn es lässt hoffen, dass sich auch andere Tiere relativ schnell regenerieren können, wenn sich die Umweltbedingungen für sie wieder verbessern.

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