Null Acht Neun:Simone, hilf!

Wenn beim Elternabend kein Kuli zur Hand ist, ist normalerweise Verlass auf andere Mütter. Doch in diesem Jahr ist jeder Austausch von Arbeitsmitteln verboten

Kolumne von Nadeschda Scharfenberg

Ein Elternabend in der Grundschule ist das Gegenteil von einer Vorstandssitzung in einem Dax-Konzern. Im Vorstand sitzen in der Regel mehr Männer namens Thomas als Frauen, im Elternabend sitzen in der Regel mehr Frauen namens Simone als Männer. Bei uns gibt es drei Simones (oder muss es Simonen heißen?), und auf die war bisher immer Verlass, vor allem, was das Verleihen von Kugelschreibern angeht.

Wer braucht denn heutzutage auf einem Elternabend noch Stifte? Die Powerpoint-Folien lassen sich abfotografieren, Termine wandern in den Handy-Kalender, für alles andere gibt es die Notizen-App. Doch dann kommt dieser Moment, der einen jedes Jahr aufs Neue unvorbereitet trifft: Die Listen gehen um. Welchen Hort besucht das Kind? Wer bringt im Krankheitsfall wem die Hausaufgaben? Und bitte hier noch eine Unterschrift, dass die Tochter oder der Sohn aufs Klassenfoto darf. Hektisches Gruschen in der Handtasche. Vergebliches Gruschen. Simone, hättest du einen Kuli für mich?

In diesem Jahr hilft es nicht, drei Simones mit drei Kugelschreibern zu haben. Das hat, erstens, räumliche Gründe: Der Elternabend findet nicht im Klassenzimmer statt, sondern in der Mensa, immerhin auf Stühlen in Erwachsenengröße, dafür aber mit viel Abstand. Da sitzt selbst die nächste Simone so weit weg, dass jeder hören würde, dass schon wieder dieselbe Mama ihren Stift vergessen hat. Zweitens würde es auch gar nichts bringen, die eigene Verpeiltheit für alle hörbar in den Raum zu stellen, denn der Verleih von Kugelschreibern ist an bayerischen Schulen behördlich verboten, siehe Rahmen-Hygieneplan, Seite zwölf unten: "kein Austausch von Arbeitsmitteln, Stiften, Linealen o. Ä." Es sei denn, grusch, grusch, in der Handtasche versteckte sich ein Fläschchen Desinfektionsmittel. Tut es nicht. War ja klar.

Der Abend endet mit einem geschenkten Kugelschreiber, von der Lehrerin persönlich, die zwar nicht Simone heißt, aber über eine ganze Stiftebox verfügt. Der Kuli, den sie überreicht, ist kein Zehnerpack-Ding aus dem Supermarkt und auch kein Werbegeschenk von der SPD, sondern ein schickes Modell mit Leopardenmuster. Das Angebot, ihr den Stift nach einem Sagrotan-Bad zurückzuschicken, lehnt sie freundlich ab.

Die Frage, die sich eigentlich gestellt hätte, fällt einem leider erst beim Heimradeln ein: Warum eigentlich gilt das Arbeitsmittel-Austauschverbot nicht für die Klemmbretter mit den Listen?

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