SZ-Serie: München erlesen:Zwischen Mailand und Monaco di Baviera

Daniel Speck in München, 2016

Schriftsteller Daniel Speck im Café "Italia" am Roecklplatz.

(Foto: Stephan Rumpf)

In der deutsch-italienischen Familiensaga "Bella Germania" zeichnet Daniel Speck München aus zwei verschiedenen Blickwinkeln.

Von Cora Wucherer

Dass München die nördlichste Stadt Italiens ist, damit brüstet sich wohl so mancher Münchner, während die Italiener die Nase über die Bemerkung rümpfen. Doch dass die Verbindung zwischen der bayerischen Landeshauptstadt und Bella Italia eine ganz besondere ist, mag keiner leugnen. Wie sehr die beiden tatsächlich ineinander verwoben sein können, zeigt Daniel Speck in seiner über drei Generationen reichenden Familiengeschichte "Bella Germania".

Specks erster Roman, den man am liebsten auf einer Zugfahrt nach Mailand lesen würde, wäre er ein wenig leichter als gut 600 Seiten, erzählt die Geschichte der jungen Münchner Modedesignerin Julia auf der Suche nach ihren Wurzeln. Julia ist im Jahr 2014 mit ihrem kleinen Label gerade der Durchbruch in Mailand geglückt. Da tritt ein fremder Mann auf sie zu und behauptet, ihr Großvater zu sein. Denn als er, der Deutsche Vincent, 1954 als junger Ingenieur nach Mailand fuhr, verfiel er dort Giulietta, Julias Großmutter. Eine unglückliche Liebe, denn diese stand kurz vor der Hochzeit mit einem anderen Mann. Auf dem Großmarkt in München findet Julia schließlich ihren Onkel Giovanni, der Seite für Seite die verworrenen Fäden von ihrer Familiengeschichte aufdröselt. Er erzählt ihr von ihrer Großmutter Giulietta, die wie Julia den Traum hegte, Modedesignerin zu werden, ihrer verbotenen Liebe zu Vincent und von sich selbst, der als Gastarbeiter nach München kam.

"Bella Germania" zeigt München aus zwei Blickwinkeln: Aus Sicht einer jungen Frau, die in der Gegenwart verzweifelt auf Erfolg hofft und aus der Sicht eines italienischen Gastarbeiters zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Speck zeichnet München als große Hoffnung und als herbe Enttäuschung. Das, was für Harry Potter das sagenumwobene Gleis neundreiviertel ist, war für die Gastarbeiter in "Bella Germania" Gleis elf am Münchner Hauptbahnhof, der Zugang zu einer anderen Welt: "Am Gleis elf wurden die Italiener von keiner Kapelle empfangen, sondern sofort in den Keller geschickt." Es ist nicht das Tor zu einem Paradies voll von einfachem Reichtum, sondern das zu harter Arbeit. Sein Zuhause fand Giovanni am Stadtrand in der ehemaligen Hasenheide, entfernt von der Innenstadt: "Zwei Welten, verbunden durch die Trambahnlinie acht und getrennt durch einen unsichtbaren Vorhang aus Geld und den mehr oder weniger verborgenen Vorurteilen auf beiden Seiten." Grenzen in München gibt es auch für Julia in der Gegenwart noch, die zwischen dem hippen Teil der Isarvorstadt und dem noch nicht gentrifizierten Sendling: "Und die alten Sendlinger bleiben auf ihrer Seite der Bahngleise, wahrscheinlich, weil sie uns, die wir uns die absurden Mieten am Glockenbach leisten können, für eingebildete Schickimickis halten."

Daniel Speck beobachtet München so scharf, als würde er mit der Kamera genau auf die Stellen fokussieren, an denen es spannend wir. Kein Wunder: Bevor er Romane verfasste, schrieb er Drehbücher, etwa zu "Maria, ihm schmeckt's nicht". Hier, im erfolgreichsten Debüt des Jahres 2016, führt er nun Deutschland und Italien so kunstvoll zueinander wie Gegenwart und Vergangenheit. Der Autor, der in München und Rom Filmgeschichte studierte, erzählt mit "Bella Germania" auch die Geschichte einer verlorenen Liebe: "Hast du einmal guten Wein getrunken, quello buono, dann wird dir jeder normale Wein nicht mehr schmecken und jedes Mal, wenn du trinkst, suchst du nach dem ersten Mal", sagt Giovanni über die einmalige Liebe von Vincent und Giulietta. Und mit Wein kennt er sich als Besitzer eines Feinkostladens aus; so gut wie Julia und Giulietta mit Stoffen.

Specks Familiensaga ist lang, aber kurzweilig, romantisch, aber nie kitschig. Es ist eine Geschichte über Leidenschaft, über "passione": "Talent ist ein Fluch. Es treibt dich an, es lässt dich nie in Ruhe. Es beherrscht dich. Und manche tötet es", meint Giulietta. "Vielleicht", denkt ihre Enkelin Julia Jahrzehnte später, "war das Scheitern das wahre Erbe der Familie." Der Weg zur Wahrheit über vergeudetes und genutztes Talent und ihre eigene Familie führt Julia schließlich selbst nach Mailand. Denn die Antwort auf diese Fragen kann die nördlichste Stadt Italiens ihr nicht geben - sondern nur Italien selbst.

Daniel Speck: Bella Germania. Roman, 2016 (Fischer, 617 Seiten, 14,99 Euro)

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