Warnstreiks im öffentlichen Dienst:Die Gesellschaft muss das auch in der Krise aushalten

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Mitarbeiter der Kieler Verkehrsgesellschaft (KVG) stehen bei einem Warnstreik im öffentlichen Dienst vor dem Betriebsgelände. (Foto: dpa)

Die Pandemie hat gezeigt, was viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst täglich leisten. Wenn nun dieselbe Pandemie herangezogen würde, um die Warnstreiks als unangemessen zu geißeln, wäre das reichlich skurril.

Kommentar von Henrike Roßbach

Sie sind lästig, diese Arbeitskämpfe im öffentlichen Dienst, ja. Während es die Bürger eher wenig juckt, wenn bei Daimler die roten Fahnen vor dem Werkstor wehen, stören Warnstreiks im öffentlichen Dienst so gut wie immer den Alltag der Menschen. Busse, die nicht fahren, geschlossene Kindergärten - das nervt, und weil gerade Corona ist, nervt es besonders. Denn, ganz ehrlich: Haben wir es nicht schon schwer genug?

Schon. Aber darum geht es nicht.

Denn was ist denn jetzt mit den berühmten Corona-Helden in den Arbeitsagenturen, Kitas, Gesundheitsämtern, im Nahverkehr und bei der Müllabfuhr? Ihre Arbeit wurde in den vergangenen Monaten stärker wahrgenommen als je zuvor, und die neue Wertschätzung wollen die Beschäftigten auf dem Gehaltszettel materialisiert sehen. Das ist ihr gutes Recht, und dazu gehört, ihre Forderungen auch warnstreikend vortragen zu dürfen. Eine Gesellschaft muss das aushalten können, auch in einer Krise. Denn die Pandemie hat ja gezeigt, was viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst täglich leisten. Wenn nun dieselbe Pandemie herangezogen würde, um die Warnstreiks als unangemessen zu geißeln, wäre das reichlich skurril.

Und dann ist da noch das Problem der Lohnfindung an sich. Wenn die Metaller mehr Geld verlangen, können sie vorrechnen, wie viel produktiver sie geworden sind seit der vorangegangenen Tarifrunde. Wie aber will man die Produktivität einer Bibliothekarin messen? Oder die eines Trambahnfahrers? Die Arbeitgeber haben darauf eine sehr einfache Antwort, die ihnen jetzt verlockender denn je erscheint: Bezahlt wird nach Kassenlage, und die ist derzeit - leider, leider - ziemlich übel.

Die Gewerkschaften müssen so oder so aufpassen, den Bogen nicht zu überspannen

Klug aber ist das nicht. Zum einen wird auf allen anderen politischen Bühnen seit Monaten gepredigt, auf gar keinen Fall dürfe man der Krise hinterhersparen, richtig sei vielmehr das Gegenteil: Geldschleusen auf, Schuldenbremse weg. Nun kann man zwar streiten darüber, wie lange welche Schleusen tatsächlich offen bleiben sollten. Im Grundsatz aber ist Sparsamkeit in der Krise keine Tugend.

Bedeutsamer jedoch ist etwas anderes: Der Staat braucht eine Menge guter Leute, um seine Zukunftsaufgaben zu bewältigen: die Digitalisierung der Verwaltung, den Wohnungsbau, die Transformation des Arbeitsmarktes, Bildung und Kinderbetreuung, umweltfreundlichen Nahverkehr, eine effiziente Verwaltung. Viele Fachkräfte aber sind schon heute knapp und können auch in der freien Wirtschaft einen guten Job finden. Klar, ein Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst ist ein sicherer, was angesichts von Millionen Kurzarbeitern ein Wert an sich ist. Und ja, längst nicht jeder im öffentlichen Dienst ist ein Corona-Held, manch einer hat verdammt ruhige Monate hinter sich, bei vollem Gehalt. Fraglich ist auch, ob die Gewerkschaft zur Zukunftssicherung Entscheidendes beiträgt, wenn sie besonders viel rausholen will für einfache Arbeiten statt für Fachkräfte. Und ob sie gut daran tut, einen tarifpolitischen Nebenschauplatz, nämlich den Kampf um einen Rahmentarifvertrag im Nahverkehr, derart ins Zentrum zu rücken. Die Echokammer für das Tun der Gewerkschaften aber muss die Bevölkerung sein. In Kitas etwa, die im Frühjahr nicht mal versucht haben, Kontakt zu den Familien zu halten und Notbetreuungsanträge lieber abgelehnt als akzeptiert haben, werden die Eltern hoffentlich sehr deutlich machen, was sie von Warnstreiks halten.

© SZ vom 30.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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