"Enfant terrible" im Kino:Der Gefühlsdiktator

Lesezeit: 4 min

Oliver Masucci spielt Rainer Werner Fassbinder, hier mit Katja Riemann. Masuccis breite Backenknochen stehen quer zum schwammigen Gesicht Fassbinders. (Foto: Verleih)

"Enfant terrible": Oskar Roehler verfilmt das Leben des Rainer Werner Fassbinder als pures Melodram.

Von Fritz Göttler

Wenn's ums Kino geht, das ist die Botschaft dieses Films, kann's gar nicht infantil genug werden. Und die größte Tugend der Pubertät ist ihre Widersetzlichkeit. Rainer Werner Fassbinder, dessen Geschichte hier erzählt wird, ist ein Trotzkopf geblieben bis zu seinem Tod im Jahr 1982. Ein lauernder Trotz, aber manchmal geht das bis zur Weißglut. Ob er "White Heat" kenne, fragt Fassbinder, als er Ulli Lommel für die Rolle präpariert, die der in seinem ersten langen Film spielen soll. Der Gangsterfilm von Raoul Walsh, der bei uns "Maschinenpistolen" hieß, ist für Fassbinder der Film seines Lebens: James Cagney als Gangster, rüde und gemein den Kumpels gegenüber und seiner Frau, er hockt seiner Mutter auf dem Schoß.

Wie die Menschen träumen und wie die Träume kaputtgehen - das wird Fassbinders Thema

Die Geschichte beginnt im Münchner Action Theater, 1967, Fassbinder inszeniert, das heißt, er lässt seine Leute betont langsam sprechen, ohne Ausdruck oder Emotion, und stellt sie weit auseinander auf der Bühne, um die Leere sichtbar zu machen, die in der bundesdeutschen Gesellschaft herrscht. Es geht nicht ums Spielen, nur um die reine Präsenz. Einmal spritzt er das Publikum mit einem Schlauch nass - Provokation muss halt sein. Bei allem Theater, das er veranstaltet, hat er aber schon das Kino im Kopf, all die Filme, die er schnell und billig machen will. Die Stoffe dafür gibt es überall: Wie die Menschen träumen und wie die Träume kaputtgehen. Das kann das Theater nicht, nur das Kino.

Ein Kino, das keine Regeln befolgen mag, die Fassbinders Mitarbeiter ihm vorschreiben, die Profis. Das ist ein Achssprung, warnt sein Kameramann, als Fassbinder die Kamera einmal "falsch" platziert, so dass die Figuren von einer Einstellung zur nächsten plötzlich die Seiten wechseln würden. Korrektes Erzählen, das ist vor allem eine Frage, was man nicht machen darf. Kinder mögen das gar nicht. Und Genies natürlich auch nicht.

Einen Gefühlsdiktator hat Oskar Roehler Fassbinder genannt. Er inszeniert dieses Leben als Mysterienspiel, zusammengesetzt aus lauter Versatzstücken, die meisten kennt man aus unzähligen Zeitungsberichten, Biografien oder Lebenserinnerungen der Mitarbeiter. Fassbinder brauchte seine Truppe und die Truppe brauchte ihn, die monströsen masochistischen Rituale gehören zum vertrauten Genie-Mythos und werden von Roehler ausführlich zelebriert, in langen Einstellungen, alle im Studio gedreht, in einem surrealen Licht, in den reinen Farben von Douglas Sirks Melodramen, die Fassbinder so liebte.

Kurt Raab und Mike Ballhaus, der treue Kameramann, tauchen auf, liebevoll verkörpert bis an die Grenzen der Schmierenkomödie, Harry Baer und Günther Kaufmann, der Filmemacher Wally Bockmayer, und die Frauen, von Margit Carstensen bis Brigitte Mira, dem ersten UFA-Star, mit dem er drehte, sie wird verkörpert von Eva Mattes. Eine gleichbleibende Abhängigkeit von Rainer besteht in dieser Truppe, was Geld angeht und Selbstbestätigung und Zuneigung auch. Viele der Exzesse und Erniedrigungen sind verbürgt, manche verdichtet, Begegnungen am Rande werden schön ausgespielt, zum Beispiel eine mit dem Hollywoodstar Jack Palance, der Whisky trinkt. Ich trinke Cuba libre, sagt Fassbinder und setzt zur Erläuterung dazu: Fidel Castro. "Fucking communist", grunzt Palance. Katja Riemann begleitet Roehlers Fassbinder durch sein ganzes Leben, eine stille, verständnisvolle Gestalt namens Gudrun.

SZ PlusKino
:Der Problem-Kumpel

Oskar Roehler hat ein Buch seines alten Freundes Thor Kunkel verfilmt. Während der eine drehte, engagierte sich der andere für die AfD und warb für politisch extreme Ansichten.

Von David Steinitz

Oliver Masucci spielt Fassbinder, er wurde bekannt durch "Er ist wieder da", wo er Hitler verkörpert. Sein Fassbinder trägt oft die vertraute Lederjacke und Schirmmütze, später den Leopardenmuster-Anzug, aber Masuccis breite Backenknochen stehen quer zum schwammigen Gesicht Fassbinders, und seine Sätze klingen eher norddeutsch. Oskar Roehler, Kind der Berliner Szene, blickt von sehr weit außen auf Fassbinder, das Gespür fürs Münchnerische fehlt ihm, das wesentlich ist für Fassbinders sagenhaften Außenseiter-Erfolg. Der Junge Deutsche Film war nun mal - Kluge, Straub/Huillet, Schlöndorff - ein Münchner Produkt. Bei Roehler ist Münchnerisches eher Accessoire, wie das Weissbierglas, das auf dem Tisch steht bei der Pressekonferenz auf der Berlinale, wo er ausgebuht wurde für "Liebe ist kälter als der Tod" und trotzig meinte, das sei doch ein Remake von "White Heat".

Fassbinder reagierte hellwach auf die politische Entwicklung in Deutschland

Auch ein Genie kennt wohl die Einsamkeit, und Fassbinder ist, bei all seiner Entourage, immer allein. Als beim Festival in Cannes "Angst essen Seele auf" bejubelt wird, wendet er sich ab und fängt zu schluchzen an. Roehler hat es immer noch nicht ganz überwunden, dass sein "Enfant terrible" dieses Jahr nach Cannes geladen worden wäre - wenn das Festival hätte stattfinden können. In der Cannes-Szene und bei den zwei Lieben von Fassbinders Leben entwickelt der Film plötzlich eine schmerzliche Tiefe: Da ist El Hedi Ben Salem, den Fassbinder in einer Sauna in Paris trifft, nach München holt und in "Angst essen Seele auf" weltberühmt macht. Und Armin Meier, dem er in der Wirtschaft "Deutsche Eiche" begegnet und der sich verzweifelt bemüht, ihn zu verstehen. Gemeinsam bewohnen sie die weite dunkle Wohnung mit der braunen Ausstattung, die man aus Fassbinders Episode von "Deutschland im Herbst" kennt, eine monströse Seelenlandschaft. In der berühmten Szene mit der Mutter, die Roehler nachspielen lässt, macht Masucci deutlich, woher die bestürzende Wildheit dieser Szene kommt - dass jedem politischen Diskurs ein Belehrungsfuror innewohnt, dem sogar Fassbinder verfällt. Der Mann der Anarchie verteidigt die Demokratie.

Fassbinder reagiert hellwach auf die politische Entwicklung in Deutschland, er ahnt, was sich entwickeln wird nach dem Olympiaattentat 1972, der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut und den Stammheim-Selbstmorden. Die Angst vor faschistischen Tendenzen steigert die Selbstzerstörung, die er betreibt, die Schonungslosigkeit gegen alle anderen und gegen sich, mit Valium und Kokain, Alkohol und Arbeitswut.

Die zwei Männer, die ihn wahrlich lieben, begehen Selbstmord, das bedeutet eine Ahnung auch des eigenen Todes. "Every man kills the things he loves", heißt es als Motto des Films, ein Satz von Jeanne Moreau, aus "Querelle", Fassbinders letztem Film. Oskar Roehlers persönliche Fassbinder-Vision schmiegt sich an den Mythos an, der sich in den letzten Jahrzehnten bei uns gefestigt hat. Ein Traum, der nicht gelebt werden konnte.

"Sprung in den Tod" hieß "White Heat", als er das erste Mal in Deutschland in die Kinos kam. James Cagney endet auf einem Öltank, von der Polizei umzingelt. Er hat's geschafft. "I made it, Ma", ruft er, "top of the world!" Und schießt in den Tank und bringt ihn zur Explosion.

Enfant terrible, 2020 - Regie, Szenenbild: Oskar Roehler. Buch: Klaus Richter, Roehler. Kamera: Carl-Friedrich Koschnick. Mit: Oliver Masucci, Hary Prinz, Katja Riemann . Weltkino, 134 Minuten.

© SZ vom 30.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSchauspieler Oliver Masucci
:Enthitlert Euch!

Der Schauspieler Oliver Masucci gab im Film "Er ist wieder da" den alten "Führer" so frisch und aufgeräumt, dass er zum neuen Sorgenonkel wurde. Wie wird man diese Horrorfigur jetzt wieder los?

Von Holger Gertz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: