Mittwochsporträt:Im Vollmilchrausch

Andreas Ronken, CEO Ritter-Sport, kostenloses Pressefoto

Wandelnde Litfaßsäule: Ritter-Sport-Chef Andreas Ronken trägt keine Anzüge, sondern bevorzugt bunte Sweatshirts mit Werbeaufschrift auf der Brust.

(Foto: Johannes Wosilat, oh/Ritter Sport)

Andreas Ronken behauptet den mittelständischen Schokoladenhersteller Ritter Sport mit unkonventionellen und manchmal abenteuerlichen Methoden gegen die Konzerne Mondelez und Lindt. Nun wagt er sich an die Wiederbelebung der seit zehn Jahren verstaubten Marke Banjo.

Von Stefan Mayr, Waldenbuch

Andreas Ronken kommt die Treppe sportlich heruntergesprungen. Er streckt dem Gast coronakonform den Ellbogen entgegen und danach auch noch die Fußsohle. Genauer gesagt, seinen Turnschuh. Der Firmenchef trägt Sneakers und ein Sweatshirt mit einem roten Schriftzug, der die ganze Brust bedeckt: "Ritter Sport".

Es ist ein unkonventioneller Auftritt, und damit passt der 53-jährige gebürtige Solinger zu dem Familienunternehmen aus der schwäbischen Provinz, das für außergewöhnliche Werbeaktionen bekannt ist. Im Grunde legt Ritter Sport seit jeher großen Wert darauf, etwas anders zu sein. Nur deshalb entstand anno 1932 die quadratische Tafel, die bis heute Alleinstellungsmerkmal ist. Zuletzt erregte Ronkens Team Aufsehen mit der limitierten Sorte "Einhorn" - und zum Welt-Cannabis-Tag mit der Edition "Schoko + Gras - Hanfsamen im Vollmilchrausch", die in zwei Tagen ausverkauft war.

Mit derartigen Aktionen gelingt es dem Mittelständler aus Waldenbuch bei Stuttgart mit seinen 1600 Mitarbeitern, gegen die konkurrierenden Konzerne wie Lindt & Sprüngli und Mondelez (Milka) zu bestehen. Der deutsche Markt ist sehr hart umkämpft, im Segment der 100-Gramm-Tafeln führt Milka derzeit mit 23 Prozent Anteil knapp vor Ritter mit 22,4 Prozent. Auf Platz drei folgt Lindt mit neun Prozent.

Anfang 2015 übernahm Andreas Ronken die Geschäftsführung von Alfred T. Ritter, dem Enkel des Firmengründers Alfred Eugen Ritter. Als Maschinenbauingenieur hat Ronken einen ähnlich ungewöhnlichen Werdegang wie sein Vorgänger, der erst eine Praxis als Diplom-Psychologe betrieben hatte, ehe er Chef der Firma wurde. Ronken seinerseits begann nach dem Studium als Trainee beim US-Nahrungsmittelkonzern Mars. Später wurde er Entwicklungsleiter - zuständig für Süßwaren und Tierfutter. Nebenher baute er den Master of Business Administration (MBA). Dann kam das Angebot von Ritter: Er begann in Waldenbuch als Geschäftsführer Produktion und Technik, dann machte ihn die Familie Ritter zum obersten Chef. In seinem fünften Jahr als Chef hat Ronken viele ungewöhnliche Projekte vor sich. Er hat sich etwa die Rechte an der Marke Banjo gesichert und wird den seit einem Jahrzehnt nicht mehr erhältlichen Schokoriegel bald wieder auf den Markt bringen. Aber noch viel wichtiger: Ronken werkelt mit Vehemenz an der Aufwertung der Kakaobohne und ihrer Produzenten. Was beim Wein die Traube und die Winzerin sind, sollen ihm zufolge bei der Schokolade die Kakaofrucht und der Kakaobauer werden.

Die Kakaobohne soll dieselbe Wertschätzung erhalten wie die Weintraube

"Es ist uns wichtig, dass die Kakaobohne mehr die Rolle bekommt wie eine Weintraube", sagt Ronken. Als Käufer habe man zu wenig Wertschätzung für die Kakaobauern. "Eine 100-Gramm-Tafel enthält eine gesamte Kakaofrucht mit etwa 40 bis 60 Bohnen", erzählt er. Die Frucht müsse drei bis vier Monate wachsen, danach fermentiert und bearbeitet werden. Dass die Weinherstellung aufwendig ist, wisse jeder, nur bei der Schokolade sei das niemandem bewusst.

"Wir wollen dem Kakao ein Gesicht geben", sagt er und beginnt zu schwärmen. "Der Geschmack wird beeinflusst von der Sorte und vom Boden." Die Provenienz soll künftig ein Faktor werden. Deshalb verkauft Ritter seit 2019 Tafeln, auf denen groß und bunt die Herkunft der Kakaofrucht steht: die "Feine aus Nicaragua", die "Milde aus Ghana", die "Kräftige aus Peru". Die neue Linie heißt "Kakao-Klasse". Das Konzept geht auf, berichtet Ronken: "Unser Ziel war fünf bis zehn Millionen Euro Umsatz, das wurde weit übertroffen."

Genaue Zahlen nennt er nicht, auch zum Gewinn schweigt sich das Unternehmen grundsätzlich aus. Im Jahresabschluss 2018 hatte die Alfred Ritter GmbH & Co. KG einen Überschuss von 3,5 Millionen Euro ausgewiesen - bei einem Umsatz von 492 Millionen Euro. Im Jahr 2019 sank der Umsatz auf 480 Millionen Euro.

Die quadratischen Tafeln sind in mehr als 100 Ländern erhältlich, pro Jahr werden 70 000 Tonnen Schokolade verkauft. Etwa die Hälfte davon in Deutschland - mit sinkender Tendenz, der Markt gilt als gesättigt. Deshalb strebt Ronken verstärkt ins Ausland. Besonders erfolgreich ist er dabei in Russland. Dies gelingt ihm kurioserweise mit dem deutschsprachigen Slogan "Quadratisch, praktisch, gut". Darauf muss man erst mal kommen, das muss man sich erst mal trauen: mal kurz die Übersetzung sparen und einfach mit der Fremdsprache in den Markt. Hintergrund dieses Experiments: Lebensmittel aus Deutschland haben bei den Russen von der Qualität her einen guten Ruf.

Neuerdings stellt Ritter Sport auch vegane Schokolade her. Die laufe sehr gut, beteuert Ronken: "2020 hatten wir 70 Prozent Wachstum." Die Sorte "Dunkle Voll-Nuss Amaranth" hat der Chef höchstpersönlich entwickelt. "Da habe ich mich mal eingemischt", schmunzelt er. "Mandelmehl statt Milch, guter Kakao und Nusspaste, das rundet schön ab." Zu Hause habe er eine kleine Conchiermaschine stehen, in der er Schokoladenmasse kneten und rühren kann. "Schokolade machen ist ja keine Raketenwissenschaft." Bei einer weiteren veganen Sorte - mit Sesam - hat Tim Hoppe mitgetüftelt, ein Urenkel des Firmengründers.

Die eigene Plantage in Nicaragua hat bislang vor allem Kosten verursacht

Der 41-jährige Diplom-Betriebswirt ist der einzige aus der Eigentümerfamilie, der im operativen Geschäft mitmischt. Er ist zuständig für das Projekt "El Cacao" in Nicaragua. Dort haben die Schwaben seit 2012 eine eigene, nachhaltig betriebene Plantage aufgebaut, von der bald 30 Prozent ihres gesamten Kakaobedarfs kommen sollen. "Das hat uns verändert, wenn man plötzlich selber Bauer ist", sagt Ronken. Ritter habe auf 1000 Hektar mehr als eine Million Kakaobäume gepflanzt und alle mit 400 Mitarbeitern selbst veredelt. Dabei habe man viel gelernt, aber nicht aus den Lehrbüchern: "Die können Sie vergessen", blafft Ronken, "wir mussten alles selber herausfinden, zum Beispiel den Umgang mit Sonne und Schatten." Zusätzliche Probleme schaffe der "extreme" Klimawandel: "Die Regenzeiten fallen aus." Man habe zunächst ohne Bewässerung geplant, dann seien 300 000 Bäume vertrocknet. Das hat viel Geld gekostet. "30 bis 40 Millionen." Ein teures Projekt. "Wir wollen beweisen, dass Nachhaltigkeit geht", begründet Ronken das Festhalten am Projekt. Bei einem Börsenkonzern hätten die Aktionäre wohl längst protestiert. Bei Ritter Sport ist es andersrum. Die Eigentümer fordern die Fortsetzung von "El Cacao". Ronken: "Die Familie Ritter treibt uns zur Nachhaltigkeit." Sie sage stets: "Da geht noch ein bisschen mehr."

Aber irgendwann soll sich das Abenteuer auch unternehmerisch auszahlen. Langfristiges Ziel ist laut Ronken: "Bessere Rohstoffqualität bei planbarem Preis." Bislang sei Kakao ein kleiner Rohstoffmarkt, auf dem ein Hedgefonds durch wenig Geld die Preise manipulieren könne. Auch hiervon wolle sich Ritter unabhängig machen.

Diese Experimentierfreude gehört zum Erfolgsgeheimnis von Ritter Sport. "Wir sprechen stundenlang über den Umgang mit der Haselnuss", erzählt Andreas Ronken. "Das ist schon sehr freaky, wir sind in jedem Atom und in jedem Molekül drin, da fragt man sich manchmal schon, ob man das noch schmecken kann."

Zu Ritter Sport gehören jetzt auch die Marken Amicelli, Fanfare und Banjo

Nicht nur mit neuen Sorten und Ländern versucht Ronken, das Unternehmen breiter aufzustellen, sondern auch mit neuen Marken. Bislang war Ritter Sport ein sehr beschränktes One Trick Pony: Außer ihrer Kernmarke verkaufte die Firma nichts. Das ist riskant, falls die Marke eines Tages Totalschaden erleiden sollte. Deshalb hat Ronken 2019 eine Waffelfabrik des US-Konzerns Mars im österreichischen Breitenbrunn gekauft - und dabei auch gleich die Markenrechte an den süßen Röllchen Amicelli und Fanfare sowie am Schokoriegel Banjo erworben. Damit haben die Waldenbucher nun erstmals mehr als eine bekannte Marke im Portfolio. Und Ronken bastelt ja bereits am Comeback von Banjo. "Das kommt vielleicht im kompletten Retrodesign", kündigt er an. Allerdings frühestens 2022. Das Spannende an dieser Reanimation: Bei einer Umfrage im Jahr 2014 gaben 3,8 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren an, dass sie Banjo regelmäßig essen. Obwohl der Riegel seit 2009 nicht mehr erhältlich war. Die Marke scheint also zumindest bei den älteren Menschen noch in bester Erinnerung zu sein - und somit einiges Potenzial zu haben.

Andreas Ronken wagt sich aber auch an Experimente mit neuen Marken. "Haferhaps" und "KakaoWumms" heißen zwei neue Produkte aus dem firmeninternen Start-up "Purmacherei". Das eine sind kleine Haferkügelchen, das andere gebrannte Kakaobohnen mit einer Zutat wie Meersalz, Vanille oder Chili. In den Regionen Stuttgart und Hamburg sind sie bereits erhältlich. Ob die handgemachten Snacks aus der Tüte jemals bundesweit fliegen werden, ist offen. Ronken ist optimistisch: "Man muss Selbstbewusstsein und Mut haben", brummt er. "Unser Erfolgsgeheimnis ist: Bei sich selbst bleiben und nicht nach den anderen gucken." Sagt's und geht zu seinem knallgelb beklebten Dienstwagen, Edition "Knusperflakes". Demnächst bekomme er ein neues Design. "Nicaragua, gelb-grün", schmunzelt er. "Das fällt auf und gefällt mir." Auf dass seine neue Kakao-Klasse auch auf der Straße zum Gesprächsthema wird.

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