Archäologie:Gefesselt mit der Halsgeige

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Eine Platte aus dem Schulterbereich des Schienenpanzers, der am mutmaßlichen Ort der legendären Varusschlacht in Kalkriese gefunden wurde. Bis alle Elemente des Panzers freigelegt sind, werden noch Monate vergehen. (Foto: Museum und Park Kalkriese / Hermann Pentermann/Hermann Pentermann)

Am Ort der Varusschlacht haben Forscher den ersten fast vollständigen Panzer eines römischen Legionärs entdeckt. Der Soldat wurde wohl nach der Schlacht gefangen genommen.

Von Carina Seeburg

So ganz einfach gab der Erdklumpen sein mehr als zweitausend Jahre gehütetes Geheimnis nicht preis. In der Region Kalkriese, dort, wo vor rund 2000 Jahren wohl die Varusschlacht ausgetragen wurde, hatten Archäologen den 500 Kilogramm schweren Block mit Lamellenstruktur freigelegt. Könnte sich darin ein römischer Panzer verbergen? Um das zu klären, wurde das klobige Stück Erdreich im Ganzen an den Flughafen Münster/Osnabrück gefahren. Voll neugieriger Erwartung starrten die Forscher auf die Bildschirme der dortigen Röntgenanlage. "Und dann konnten wir lediglich sehen, dass man nichts sieht", sagt Stefan Burmeister, Archäologe und Geschäftsführer vom Museum und Park Kalkriese im Osnabrücker Land. Die Erdschichten hatten den Strahlen standgehalten und das geheimnisvolle Objekt im Inneren vollständig abgeschirmt.

Asterix und Obelix hätten eigentlich noch im Kettenhemd antreten müssen statt im Panzer

So ging die Reise weiter ins Fraunhofer-Institut nach Fürth, wo das weltweit größte öffentlich zugängliche Computertomografie-System steht. Während einer über mehrere Tage andauernden 360-Grad-Drehung durchleuchteten Wissenschaftler den schweren Brocken millimetergenau und mit verblüffendem Ergebnis: Erstmals war ein Forscherteam auf einen fast vollständig erhaltenen römischen Schienenpanzer gestoßen.

"Es ist ein herausragender Fund, den wir am mutmaßlichen Ort der Varusschlacht gemacht haben", sagt Burmeister. Und das Etikett "Jahrhundertfund" sei durchaus passend. "Wir kennen diese Panzer aus der Kunst, sie wurden im Lauf der Geschichte vielfach abgebildet. Von Reliefs auf der antiken Trajanssäule in Rom bis hin zur modernen Zeichentrickserie Asterix tragen die Soldaten Schienenpanzer." Die künstlerisch ungenaue Wiedergabe auf alten Gemälden und historischen Denkmälern lasse jedoch keine Rückschlüsse darauf zu, wie ein Schutzpanzer tatsächlich im Detail ausgesehen habe. Dafür bedürfe es archäologischer Funde, die bislang nur aus Fragmenten bestanden hatten. Einzelne Platten, lose Schnallen. Das war alles, was man in der Region gefunden hatte.

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Der den Oberkörper schützende Schienenpanzer ist eine römische Erfindung der frühen Kaiserzeit und wurde erst unter Kaiser Augustus zur Standardausrüstung der Legionen. Julius Cäsars Legionäre, die es im Comic mit Asterix und Obelix aufnehmen müssen, hätten demnach also eigentlich noch im damals üblichen Kettenhemd antreten müssen. Demgegenüber hatte der Panzer jedoch viele Vorteile: Er war mit rund acht Kilogramm nur halb so schwer wie ein Kettenhemd, schneller herzustellen und leichter zu reparieren.

Auf antiken Schlachtfeldern findet man normalerweise nur kleinteiligen Schrott

Um sich ein realistisches Bild von einem Schienenpanzer zu machen, mussten Archäologen bislang immer ins englische Corbridge blicken, wo 1964 in einer Kiste sechs Hälften von Schienenpanzern aus dem 2. Jahrhundert gefunden wurden. "Allerdings waren das keine Hälften, die zusammengehörten, eher eine Art Ersatzteillager der Armee", sagt Burmeister. Das sei ein großer Unterschied zum Fund in Kalkriese, der zugleich vom Schicksal eines Mannes erzählt, der mit seinen eigenen Waffen geknebelt wurde.

So könnte der Schienenpanzer ausgesehen haben. Das Bild wurde anhand des Neufunds aus Kalkriese und erster Forschungsergebnisse erstellt. Illustration: Roland Warzecha (Foto: Illustration Roland Warzecha)

Als der Metalldetektor im Sommer 2018 ausschlug, rechnete freilich noch niemand mit dem außergewöhnlichen Fund, der tief verborgen in der Erde lag. "Es war überhaupt nicht zu erwarten, so was bei uns zu finden", erklärt Stefan Burmeister, denn Eisen erhalte sich in saurem Bodenmilieu nur schlecht. Vorsichtig tastete sich das Forscherteam heran, trug Erdschicht um Erdschicht ab. "Auf antiken Schlachtfeldern finden Archäologen meist nur kleinteiligen Schrott, den Plünderer zurückließen, weil sie ihn nicht für wert erachteten oder übersahen", sagt Burmeister.

Dieser Fund jedoch schien anders zu sein. Die Wissenschaftler erahnten ein sehr großes Metallobjekt im Boden. Zu groß, um es vor Ort freizulegen. Es blieb also nur die Bergung im Block, zusammen mit dem umgebenden Erdreich. Die Forscher gipsten den Erdklumpen ein und ummantelten ihn mit Holz. Dann bargen sie den Brocken mit dem Bagger und schickten ihn auf Reisen, um ihn zu durchleuchten. Gewissheit brachte das CT-Gerät in Fürth, das den Sensationsfund offenbarte. Diesen Fund nun tatsächlich sicht- und greifbar zu machen, ist die mühevolle Aufgabe von Rebekka Kuiter, Restauratorin im Museum und Park Kalkriese.

Millimeter für Millimeter: Restauratorin Rebekka Kuiter befreit den Schienenpanzer von Erd- und Korrosionsschichten. Mehr als zwei Jahre wird die Restauration in Anspruch nehmen. (Foto: Museum und Park Kalkriese / Hermann Pentermann/Hermann Pentermann)

Durch die aufliegende Erde wurden die einzelnen Platten der Rüstung mit der Zeit wie bei einer Ziehharmonika ineinandergeschoben. In einem aufwendigen Restaurierungsprozess hat Kuiter bereits die Platten im Schulter- und Brustbereich entnommen. Die Bauchplatten sind noch im Block und werden in den kommenden Monaten herausgearbeitet.

Bereits seit Juni 2019 trägt die Restauratorin Schicht um Schicht ab und legt so Millimeter für Millimeter die Rostklumpen frei, die sich in dem Erdbrocken befanden. "Der Panzer ist sehr stark korrodiert, aber trotz des sauren und sandigen Bodens relativ gut erhalten", sagt Kuiter. Die rötlich-braune Korrosionsschicht mit Diamantschleifer und Sandstrahler abzutragen, sei besonders aufwendig. Darunter komme dann eine dunkelgraue Schicht zum Vorschein - die originale Oberfläche, die vor mehr als 2000 Jahren gefertigt wurde.

Einzelne Platten des Schienenpanzers im nicht restaurierten und im restaurierten Zustand. (Foto: Museum und Park Kalkriese / Hermann Pentermann/Hermann Pentermann)

Schon jetzt zeigt sich die Fachwelt beeindruckt von dem, was Kuiter nach und nach ans Licht befördert: Scharniere, Schnallen, Bronzebeschläge und sogar Details aus Silber haben die römischen Schienenpanzer einst geziert. Der Fund lasse eine herausragende handwerkliche Qualität erkennen und stehe den mehr als hundert Jahre jüngeren Modellen aus England technisch in nichts nach. Allerdings zeige die Schulterpartie einen Aufbau, der von dem bisher angenommenen grundlegend abweiche: Der Schienenpanzer aus Kalkriese entspricht mehr einer Weste, da er keine Schienen an den Oberarmen hatte und diesen somit auch keinen Schutz bot. Hier scheinen die römischen Waffenschmiede später nachjustiert zu haben.

Es war aber wohl nicht so, dass dieser Schwachpunkt der Rüstung dem Legionär, der sie einst trug, zum Verhängnis wurde. "Alles deutet darauf hin, dass der Mann die Schlacht zunächst überlebt hat und später zu Tode kam", erklärt Stefan Burmeister. Denn auf Schulterhöhe des Schienenpanzers fanden die Forscher eine sogenannte Halsgeige, ein Fesselinstrument, das die Hände an einem Halsring fixiert.

In welcher Schlacht der Mann zu Tode kam, ist noch nicht abschließend geklärt

Halsgeigen wurden von der römischen Armee mitgeführt, um Kriegsgefangene, deren Schicksal oft die Sklaverei war, zu fesseln. Die gesamte Fundsituation lege nahe, dass hier ein römischer Legionär als Überlebender des Gefechts von germanischen Siegern mit dem römischen Unterwerfungssymbol gefesselt wurde. "Der Schienenpanzer ist damit Teil einer tragischen Szene", sagt Burmeister. Erstmals könne so das Schicksal eines Menschen auf dem antiken Schlachtfeld bei Kalkriese nachvollzogen werden. Wenn alle Puzzleteile zu einem stimmigen Bild zusammengesetzt seien, lasse sich vielleicht irgendwann die Geschichte des Legionärs erzählen.

Puzzlearbeit: Wie Puzzleteile werden die einzelnen Schienenpanzerplatten wieder zusammengesetzt. (Foto: Museum und Park Kalkriese / Hermann Pentermann/Hermann Pentermann)

Welche Schlacht es war, in deren Verlauf der Mann zu Tode kam, ist bis heute nicht abschließend geklärt. In der Varusschlacht wurden die römischen Legionen von Publius Quinctilius Varus von den Germanen unter Arminius vernichtend geschlagen. Wo der Kampf aber stattfand, ist unter Archäologen umstritten. Um die 700 Orte sollen es sein, die im Laufe der Jahre in Betracht gezogen wurden. Meist ohne archäologische Belege. Auf dem Gebiet von Kalkriese, etwa 20 Kilometer nordöstlich von Osnabrück, wurden hingegen weit mehr als 4000 Metallteile römischer Militärausrüstung aus augusteischer Zeit gefunden.

"Hier wurde gekämpft und gestorben", sagt Burmeister. Das sei sicher. Klar sei außerdem, dass die Römer bei Kalkriese die Kontrolle über das Terrain verloren und eine schwere Niederlage erlitten haben, "denn normalerweise ließen sie ihre Toten nicht zurück". Und für solche Niederlagen gegen die Germanen gebe es eben nur zwei historische Belege: die Varusschlacht im Jahr neun und sechs Jahre später die Schlacht an den Langen Brücken. "Aber mit dem, was wir hier vor Ort an Funden haben und was technisch möglich ist, können wir nicht zwischen dem Jahr neun und dem Jahr 15 nach Christus unterscheiden", sagt Burmeister. "In der Archäologie führen wir einen langwierigen Indizienprozess und argumentieren mit Wahrscheinlichkeiten und Plausibilitäten."

Aus seiner Sicht spreche vieles dafür, dass bei Kalkriese die Varusschlacht stattfand. Dann hätte wohl auch der Legionär, der einst den Schienenpanzer trug, in dieser Schlacht gekämpft. Ob aber auch dieses 2000 Jahre alte Geheimnis eines Tages gelüftet wird, ist ungewiss. Derweil gehen die Grabungen auf der Suche nach Indizien weiter. "Wir sind hier weder am Ende noch am Anfang der Forschung", sagt Burmeister, "wir sind mittendrin."

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