TV-Duell Trump gegen Biden:Teils Faustkampf, teils Theaterstück

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Heftiger sind in der jüngeren US-Geschichte wohl noch keine Präsidentschaftskandidaten in einem TV-Duell aneinandergeraten. Aber am Boden lag nach 90 Minuten keiner der beiden. Im Gegenteil.

Von Hubert Wetzel, Washington

Es gibt zwei mögliche Analogien, die man verwenden kann, um eine TV-Debatte unter amerikanischen Präsidentschaftskandidaten zu beschreiben. Die erste ist der Boxkampf. Kandidat A steigt gegen Kandidat B in den Ring, der Ringrichter ruft das Kommando "Box!", und dann setzt es Hiebe, mal über, mal unter der Gürtellinie. Am Ende geht einer der beiden Kämpfer k. o. oder verliert zumindest nach Punkten.

Die zweite Analogie ist das Theater. Zwei Schauspieler stellen sich auf eine Bühne, der Regisseur gibt einige Anweisungen, aber die werden ignoriert, denn im Großen und Ganzen spielen beide Kandidaten für ihr jeweiliges Publikum eine ganz bestimmte Rolle. Und da kann es dann durchaus passieren, dass beide am Ende als Gewinner dastehen - ausgebuht von der Gegenseite, aber bejubelt von den eigenen Fans.

Die Fernsehdebatte zwischen Donald Trump und Joe Biden am Dienstagabend in Cleveland, das erste von drei derartigen Zusammentreffen zwischen dem republikanischen US-Präsidenten und seinem demokratischen Herausforderer, war eine Mischung aus beidem - teils Faustkampf, teils Theaterstück. Es ging ruppig zu, es wurden Leberhaken geschlagen und Gerade aufs Kinn, es floss, wenn man es so sagen will, zuweilen Blut.

Heftiger sind in der jüngeren US-Geschichte wohl noch keine Kandidaten in einem TV-Duell aneinandergeraten. Aber am Boden lag nach 90 Minuten keiner der beiden. Im Gegenteil: Sowohl Trump als auch Biden konnten zufrieden heimfliegen. Denn was die theatralische Leistung angeht, haben beide ihre Sache ordentlich gemacht. Donald Trump spielte Donald Trump, Joe Biden spielte Joe Biden, und den Fans dürfte es gefallen haben.

Trump war anzumerken, dass er den Zweikampf mit Biden seit Langem herbeigesehnt hatte. Er liegt in den Umfragen zum Teil deutlich hinter dem Demokraten, bis zur Wahl sind es nur noch sechs Wochen, und wenn Trump nicht verlieren will, muss er das Rennen aufmischen. Die drei Fernsehdebatten spielen dabei in der Strategie des Präsidenten eine entscheidende Rolle: Sie sind der Kampfplatz, auf dem er seinen Gegner endlich Mann gegen Mann stellen und - so wenigstens der Plan - auch grün und blau prügeln will.

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Der Präsident werde "wie ein Bulldozer" über Biden hinwegwalzen, hatte das Trump-Lager vor der Debatte wissen lassen, durchaus mit einem Unterton von Vorfreude. Und so kam es dann auch. Donald "Bulldozer" Trump, gut gebräunt und frisch frisiert, rumpelte und walzte von der ersten Minute an. Er attackierte Biden, nannte ihn einen Sozialisten, einen Versager und einen Nichtstuer. Er unterbrach den Demokraten und den Moderator, er quatschte dazwischen, er provozierte Biden und machte verächtliche Bemerkungen. Kurz: Trump war Trump, ein Rüpel und Bully.

Biden hingegen war Biden: ruhig, besonnen, eher mit Argumenten bewaffnet als mit Beleidigungen. Er verhaspelte sich gelegentlich in seinen Sätzen, wie er das oft tut, aber es unterliefen ihm keine dramatischen Fehler. Allerdings wirkte er zuweilen auch ein bisschen überfordert angesichts der Aggressivität, mit der Trump auf ihn losging. Auf Trumps Provokationen reagierte er meistens mit Lachen, Kopfschütteln und einem genervten "Das stimmt einfach nicht", ein paar Mal allerdings verlor er die Contenance. "Kannst du mal die Klappe halten, Mann?", raunzte er Trump gleich nach den ersten Minuten einmal an, woraufhin Trump natürlich nicht die Klappe hielt, sondern weiterredete. "Dann laber halt, Mann", sagte Biden resigniert.

"Lassen Sie uns doch versuchen, wenigstens darüber ernsthaft zu reden"

Spätestens an diesem Punkt muss dem Fox-News-Journalisten Chris Wallace, der die Debatte moderierte, klargeworden sein, dass es ein harter Abend werden würde. "Es geht jetzt um die Corona-Pandemie", leitete er das nächste Thema ein. "Lassen Sie uns doch versuchen, wenigstens darüber ernsthaft zu reden."

Doch das Interesse an einer ernsthaften Auseinandersetzung war bei den Kandidaten deutlich geringer als beim Moderator. Trump wollte vor allem die Schlagwörter loswerden, von denen er weiß, dass sie seinen Wählern wichtig sind. "Recht und Ordnung", "Aktienmarkt", "linksradikale, sozialistische Demokraten", "beste Wirtschaft der Welt", "300 Bundesrichter und drei Verfassungsrichter". Die 200 000 Corona-Toten wischte er beiseite, daran sei China schuld, und wenn Biden Präsident wäre, hätte es zwei Millionen Tote gegeben. Er wetterte wieder gegen die Briefwahl - in Pandemie-Zeiten ein ebenso praktischer wie sicherer Weg, seine Stimme abzugeben, für Trump aber ein großes Betrugsmanöver der Demokraten, um ihm den Sieg zu stehlen.

Und bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, zog Trump über Bidens Sohn Hunter her, einen Lobbyisten und Anwalt, der seinem Nachnamen zwar wohl tatsächlich den einen oder anderen Klienten verdankt, von dem die Republikaner aber, um den Vater zu treffen, so tun, als sei er der der korrupteste aller Washingtoner Strippenzieher. Wofür Hunter denn die Millionen von der Frau des früheren Moskauer Bürgermeisters Luschkow bekommen habe, fragt Trump immer wieder, obwohl gar nicht klar ist, dass Hunter überhaupt Millionen von der Frau des früheren, mittlerweile verstorbenen Moskauer Bürgermeisters bekommen hat.

Zwischen diese Phrasen streute Trump sarkastische kleine Seitenhiebe auf Bidens kognitive Fähigkeiten: Du kannst es nicht, du weißt es nicht, lass dir nur Zeit mit deiner Antwort - den Demokraten als senilen Tattergreis zu verleumden, ist fester Bestandteil der Trump'schen Wahlkampfstrategie. "Hast du etwa gerade das Wort 'klug' verwendet?", ätzte er einmal. "An dir ist nichts klug, du warst in deinem Unijahrgang der Letzte."

Dieses unflätige Benehmen mag auf viele Wähler abstoßend wirken, für Trumps Anhänger ist es allerdings genau das, was sie sehen wollen. Sie lieben es, wenn ihr Präsident loslegt, wenn er zuschlägt, wenn er nicht lockerlässt. Und weil Trump weiß, dass er am Wahltag jede einzelne Stimme braucht, um zu gewinnen, bot er seinen Fans die große Trump-Show. So hatte er es schon vor vier Jahren mit Hillary Clinton gemacht, auch damals griff er rücksichtslos an, und so wie Trump die Sache sieht, hat ihm das damals den Wahlsieg gebracht. Warum also sollte er es jetzt anders machen?

Für Biden gilt das Gegenteil: Sein größtes Plus ist in den Augen seiner Anhänger, dass er gerade nicht Trump ist. Sie wollen einen Kandidaten, der Mitgefühl zeigt mit den Toten der Corona-Pandemie und ihren Angehörigen, der über Rassismus und Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft reden kann, der verspricht, dass Amerika sich unter seiner Regierung wieder um Klimaschutz kümmern wird, dass alle Menschen eine Krankenversicherung haben werden und dass das gespaltene Land irgendwie wieder zusammenfinden wird.

Die meisten Wähler haben sich längst entschieden

Im Vergleich zu Trump klingt Biden weit weniger kernig und roh, er redet leiser, ohne die Wut und die Härte, die so oft bei solchen Auftritten in Trumps Stimme mitschwingt. Aber das ist genau der Gegensatz, der Biden für viele Wähler - und vor allem Wählerinnen, die den polternden Macho Trump gründlich satthaben - attraktiv macht. Und sofern die aktuellen Umfragen nicht völlig an der Realität vorbeigehen, sehnt sich inzwischen eine Mehrheit der Amerikaner nach einem anderen Präsidenten.

Ob das Gehacke bei der Debatte nun jene amerikanischen Wähler sehr viel weiter gebracht hat, die vielleicht noch nicht wissen, ob sie für Trump oder Biden stimmen sollen, sei dahingestellt. Andererseits: Ob es überhaupt noch eine nennenswerte Anzahl solcher unentschlossenen Wähler gibt, ist ohnehin zweifelhaft. Die meisten Wähler haben sich längst entschieden. Sie sind entweder für Trump, weil sie Trump großartig finden, oder für Biden, weil sie Trump fürchterlich finden. Insofern ist es wahrscheinlicher, dass die Debatte die Gräben zwischen den Lagern vertieft, als dass sie Wähler dazu verleitet, die Seiten zu wechseln.

Der Washingtoner Journalist Mike Allen jedenfalls, einer der Besten seiner Zunft, zog nach dem Schlagabtausch eine eher hilflose, aber vielleicht deswegen sehr ehrliche Bilanz. "Was das alles bedeutet? Wer zu Hölle weiß das schon", schrieb er in einer E-Mail. "Diese Debatte war so wie das ganze Land: Alle reden. Niemand hört zu. Nichts wird gelernt. Es ist ein Schlamassel."

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