NGO:Khashoggis Vermächtnis

"Es gibt Tausende Stimmen da draußen, die ungemütliche Wahrheiten aussprechen werden", sagt ein Gründer von "Dawn", einer neuen Nichtregierungs-Organisation, die das Erbe des saudischen Regimekritikers bewahren will.

Von Dunja Ramadan

Die rote Visitenkarte für Jamal Khashoggis Vision war bereits gedruckt. Sarah Leah Whitson, eine frühere Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, hält sie am Dienstag in Washington in die Kamera, als sie jene Organisation vorstellt, die eigentlich ihr ermordeter Freund vorstellen wollte. Denn aus seiner Vision wurde ein Vermächtnis: Democracy for the Arab World Now (Dawn), so lautet der Name der Non-Profit-Organisation, die der saudische Regierungskritiker Khashoggi ins Leben rufen wollte - bevor ihm das Leben genommen wurde. Vor zwei Jahren wurde Khashoggi im Alter von 59 Jahren im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet. Die UN-Expertin Agnès Callamard fordert seitdem Ermittlungen gegen den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, den sie nach monatelanger Untersuchung für den Drahtzieher hält. Passiert ist seitdem wenig. Kürzlich hat ein saudisches Gericht die Todesurteile gegen fünf Angeklagte nach einem intransparenten Prozess in Haftstrafen umgewandelt.

Mit der Gründung von Dawn möchten Freunde und Unterstützer nun das Erbe Khashoggis bewahren. Khashoggi war der Überzeugung, dass "Demokratie und Menschenrechte die einzige Lösung für den Nahen Osten sind, die ihm Stabilität, Sicherheit und Würde für seine Bevölkerung verleiht", sagte Whitson bei der Vorstellung in Washington. Sie hatte Khashoggi vor fünfzehn Jahren - ausgerechnet in der saudischen Botschaft in Washington - kennengelernt. Damals arbeitete Khashoggi noch als Berater für die saudische Regierung, im Sommer 2017 ging er ins Exil in die USA. Er fühlte sich in seiner Heimat nicht mehr sicher. Denn wie tausend andere Oppositionelle in der arabischen Welt übte er Kritik am repressiven Führungsstil des Regimes, in dem jegliche Kritik als Vaterlandsverrat gilt und geahndet wird.

Viele arabische Intellektuelle und Oppositionelle mussten nach den gescheiterten Demokratiebewegungen im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 ins weltweite Exil flüchten. Sie führen ein isoliertes Leben, das sie sich nicht ausgesucht haben. "Viele von ihnen leiden fern der Heimat an Depressionen", sagt die Journalistin und Dawn-Mitarbeiterin Fadoua Massat der Süddeutschen Zeitung. Mit Dawn möchte man der arabischen Diaspora nun eine Plattform bieten, auf der sie - sowohl in englischer als auch in arabischer Sprache - Artikel veröffentlicht. Man wolle einen Dialog mit Experten, Forschern, Exilanten und Menschen vor Ort etablieren und deren reflektierte Ansichten und Analysen veröffentlichen. "Deshalb wird ein großer Teil unserer Inhalte ursprünglich auf Arabisch produziert", sagt Fadoua Massat. Die arabische Webseite soll eine Art "safe space" werden und werde in den nächsten Wochen veröffentlicht, sagt Massat. Damit wolle man die Demokratiebewegung in der arabischen Welt vorantreiben und eine "neue Zukunftsvision kreieren, die die arabische Welt so verzweifelt braucht."

Khashoggi kritisierte in der Vergangenheit immer wieder die Flut an staatlich gepushten Falschnachrichten und Verleumdungskampagnen, die es den Bürgern der arabischen Welt unmöglich machten, seriöse Informationen zu konsumieren. Er wollte der Trollarmee der arabischen Diktatoren etwas entgegensetzen. Mit Dawn soll das nun geschehen. "Die arabischen Diktatoren sollen nicht das letzte Wort haben", sagt Massat.

Dawn finanziert sich nach eigenen Angaben durch Privatleute, Stiftungen und Freunde von Khashoggi, die in den USA leben. Dawn sieht sich außerdem als Dokumentations- und Überwachungsinstanz, das den oft undurchsichtigen Unterdrückungsapparat arabischer Regierungen offenlegen möchte. So sollen "bad actors" aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten ausfindig gemacht und an den Pranger gestellt werden, die bei der Verfolgung von Oppositionellen und Andersdenkenden involviert sind. Seien es Beamte auf mittlerer Ebene, Vernehmungspolizisten oder Staatsanwälte. Gerade wenn diese Menschen ins Ausland reisen, sollen sie sich nicht mehr sicher fühlen. Man wolle ausländische Regierungen die Gesichter und Namen liefern, die hinter den repressiven Regimen stehen. Aufgrund mangelnder Kapazitäten, derzeit arbeiten zehn Mitarbeiter für Dawn, habe man sich anfangs auf diese drei Länder konzentriert. Man plane allerdings alle arabischen Länder nach diesen "bad actors" zu durchforsten. Dies möchte man mit lokaler Hilfe schaffen, allerdings bleiben die Personen aus Sicherheitsgründen anonym, wie Massat erklärt. "Wie werden die Quellen und die Informationen, die wir von ihnen erhalten, natürlich prüfen."

Dawn will nicht nur die Machenschaften arabischer Regierungen öffentlich machen, sondern auch die Nahostpolitik westlicher Regierungen kritisch beleuchten. Dabei soll der "Khashoggi Index" helfen. Dieser soll die Rolle ausländischer Regierungen bei der Förderung oder Behinderung von Demokratie und Menschenrechten im Nahen Osten unter die Lupe nehmen.

Zu den prominenten Köpfen von Dawn gehört auch Forschungsdirektor Abdullah al-Awdah, der Sohn des inhaftierten saudischen Predigers Salman al-Awdah. Als er vor die Kamera tritt, klingt es wie eine Kampfansage an das saudische Königshaus. Der Plan, nicht nur Jamal Khashoggi, sondern auch sein Vermächtnis zu töten, sei nicht aufgegangen, sagt Abdullah al-Awdah. Im Gegenteil. "Es gibt Tausende Stimmen da draußen, die ungemütliche Wahrheiten aussprechen werden", verspricht er. Seinem Vater droht in der Heimat die Todesstrafe.

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