Natur:Warum gerade viele Kastanienbäume blühen

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Blüten zu Beginn des Herbstes: Mit dieser Strategie kämpfen Rosskastanien ums Überleben. (Foto: OH)

Blüten im Herbst? Das ist leider keine Laune der Natur, sondern ein Zeichen dafür, dass es den Bäumen extrem schlecht geht.

Von Katrin Blawat

Es ist die Zeit der Kastanien - doch bei manchen Bäumen scheint etwas durcheinander geraten zu sein. Während die Nächte kalt und die Tage kurz werden, zeigen einige Kastanienbäume derzeit zaghafte Ansätze einer Blüte. Das Phänomen ist das wohl auffälligste Zeichen dafür, wie schlecht es um die Gemeine Rosskastanie steht. Verschiedene Faktoren setzen diesen Bäumen zu - so sehr, dass Experten ihnen kaum eine langfristige Zukunft prognostizieren.

Das gilt erst recht für jene Exemplare, die derzeit austreiben oder Blüten bilden. Philipp Schönfeld vom Projekt "Stadtgrün 2021" der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) sagt: "Salopp formuliert gilt das Prinzip: Wenn ich ohnehin sterben muss, möchte ich bis dahin wenigstens noch möglichst viele Nachkommen zeugen." Die Herbstblüte ist ein letztes Aufbäumen eines Baumes, der den Frühling vielleicht nicht mehr erlebt.

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Mitverantwortlich für den maroden Zustand der Kastanien sind unter anderem die trockenen Sommer der vergangenen Jahre. Sie schwächen die Bäume, die dann weniger Ressourcen haben, um etwa mit der Miniermotte umzugehen. Diese Insekten kommen auf nahezu allen weißblühenden Rosskastanienbäumen vor. Ihre Larven fressen in den Blättern, woraufhin diese braun werden und abfallen. Das sieht unschön aus, dennoch kämen viele Bäume wohl noch zurecht, wenn sie es allein mit den Insekten zu tun hätten. Zumal es gegen diese ein zumindest teilweise wirksames Gegenmittel gibt: herabgefallenes Laub zu entsorgen, wie es in der Stadt ohnehin meist geschieht. Damit lässt sich verhindern, dass im Frühjahr die in den Blättern wartende nächste Generation der Motten ihr zerstörerisches Werk fortsetzt.

Gefährlicher als den Insekten wird den Kastanienbäumen jedoch ein Bakterium namens Pseudomonas syringae pathovar aesculi. Ursprünglich stammt es aus Indien. Seit Jahren ist es jedoch in Europa verbreitet, in Deutschland mindestens seit 2008. Befallene Bäume scheinen regelrecht aus Wunden zu bluten: Aus braunen oder schwarzen Stellen an der Rinde läuft vor allem im Frühjahr gelbe oder rote, manchmal schleimige Flüssigkeit heraus. Schließlich sterben einzelne Äste ab. Die verwundeten Rindenstellen bieten außerdem ein gutes Einfallstor für weitere Krankheitserreger wie Pilze - für den Baum eine oft tödliche Kombination. Bekämpfen lässt sich das Bakterium nicht, auch seine Ausbreitung könne der Mensch nicht beeinflussen, schreibt das staatliche Julius-Kühn-Institut, das Kulturpflanzen erforscht.

Viele Experten sehen die Zeit gekommen, auf widerstandsfähigere Arten zu setzen

All das bedeutet langfristig nichts Gutes für die Gemeine Rosskastanie. Schon jetzt werde sie in Baumschulen und Anpflanzungen seltener, sagt LWG-Experte Schönfeld. An einzelnen Standorten mit genügend Niederschlag und vergleichsweise wenig Schädlingsbefall wird es die majestätischen Kronen noch länger geben. Doch insgesamt sehen viele Experten die Zeit gekommen, auf andere Arten zu setzen, vor allem in Innenstädten mit ihren oft schlechten Böden und hohen Temperaturen. Schönfeld könnte sich etwa eine gelbblühende amerikanische Kastanienart in deutschen Städten vorstellen - zumindest dort, wo es viel regnet, denn diese Art braucht viel Wasser. Dafür scheint sie vor einem anderen Übel gefeit zu sein: "In unserem Versuchsgarten haben die fast gar keine Miniermotten", sagt er.

Für ihn steht fest: "Wir müssen händeringend nach exotischen Arten suchen, die weniger anfällig sind." Zwar hätten viele Menschen Vorbehalte gegen fremde Spezies, so Schönfeld: "Aber was nützt mir eine heimische Art, wenn sie es bei uns nicht mehr aushält?"

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