Spitzenpolitiker mit Corona:Getroffen und geläutert - oder das Gegenteil

Was passiert, wenn sich Spitzenpolitiker, die Corona anfangs verharmlosten, das Virus einfangen? Die Fälle von Boris Johnson und Jair Bolsonaro zeigen es - auf unterschiedlichste Weise.

Von Simon Widmer

Jair Bolsonaro

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(Foto: AP)

Kaum ein Staatschef hat das Coronavirus dermaßen verharmlost wie Jair Bolsonaro. Alles Panikmache, beim Virus handle es sich nur um eine "gripezinha", ein Grippchen, kein Grund zur Aufregung. Lange hat sich Bolsonaro vehement gegen Quarantänemassnahmen gestellt und seine Anhänger geherzt, als gäbe es kein Virus. Anfang Juli gab Bolsonaro sein positives Testresultat bekannt. Ausgerechnet Bolsonaro. Viele reagierten mit Hass und Häme. Der Rechtspopulist hatte Glück im Unglück: Seine Krankheit verlief glimpflich. Er konnte die Amtsgeschäfte aus der Quarantäne in seinem Amtssitz in der Hauptstadt Brasilia weiterführen. Der Staatschef ist fest davon überzeugt, der milde Verlauf seiner Krankheit habe etwas mit dem Malariamittel Hydroxychloroquin zu tun. Dessen Wirkung ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Wer dachte, die persönliche Betroffenheit würde einen Politikwechsel herbeiführen, sah sich getäuscht. Bolsonaro verharmlost weiter und stiehlt sich aus der Veranwortung. Es sind die Bürgermeister und Gouverneure, die Kontaktverbote und Schutzmassnahmen anordnen müssen. Die Bilanz des Verharmlosers ist desaströs. Brasilien ist hinter den USA das Land mit den zweitmeisten Todesopfern (über 144 000) und der zweithöchsten Zahl an Infizierten (über 4,8 Millionen).

Boris Johnson

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(Foto: AFP)

Der britische Premier musste nach einer Infektion mit dem Coronavirus Anfang April eine Woche im Krankenhaus verbringen, drei Tage davon auf der Intensivstation. Johnson hat mehrfach gesagt, dass sein Leben zeitweise in Gefahr gewesen sei. Seine schwere Erkrankung inmitten der Corona-Krise hatte Großbritannien in einen Schockzustand versetzt. Während der Pandemie hat der 56-Jährige seinen politischen Kurs mehrfach gewechselt. Zuerst verfolgte er einen europäischen Sonderweg. Er wartete mit Abwehrmaßnahmen und wollte zulassen, dass sich 60 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus anstecken. So solle eine Herdenimmunität aufgebaut werden, die die Bevölkerung vor dem Erreger schütze. Diese Strategie hat Johnson einige Wochen später revidiert. Nach seiner Erkrankung beendete Johnson die Experimente endgültig und schwenkte auf einen vorsichtigen Kurs um. Den Lockdown lockerte er äußerst vorsichtig. Und auch die aktuell geltenden Regeln sind vergleichsweise restriktiv. Homeoffice wird empfohlen, mehr als sechs Personen dürfen sich nicht an derselben Stelle versammeln. Bars und Restaurants müssen um 22 Uhr schliessen. Die vorgesehene Öffnung der Sportstadien für Zuschauer hat die Regierung bis auf weiteres ausgesetzt.

Jaakov Litzman

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(Foto: AFP)

Der ehemalige israelische Gesundheitsminister Jaakov Litzman war verantwortlich dafür, dass Israels Regierung im April von zu Hause aus arbeiten musste. Er und seine Frau Chava hatten sich angesteckt, alle die in der Regierung federführend gegen das Virus kämpften, mussten zeitweise von zu Hause aus arbeiten. Wegen seines ultraorthodoxen Glaubens hielt sich Jaakov Litzman nicht an die Corona-Regeln. Der 71-Jährige ist Angehöriger der chassidischen Bewegung Ger. Wie Medien berichteten, ging Litzman auch dann noch zum Beten in die Synagoge, als dies wegen der Ansteckungsgefahr schon lange nicht mehr erlaubt war. Ebenso weigerte er sich, bei der Vereidigung im Parlament das Fieber messen zu lassen. Litzmans Krankheit verlief milde. Nach drei Wochen gab er an, genesen zu sein. Viele Israelis machten ihn dafür verantwortlich, dass sich das Coronavirus in ultraorthodoxen Gemeinden rasant ausgebreitet hatte. Als im ganzen Land die Schulen zusperren mussten, blieben die Synagogen noch eine Woche offen. Litzman setzte diese Ausnahme gegen den Rat der Experten im eigenen Ministerium durch. Politisch aber wurde der Druck zu groß. Am 25. April reichte er seinen Rücktritt als Gesundheitsminister ein. Er erhielt aber eine zweite Chance, im Mai wurde der ultraorthodoxe Politiker Wohnbauminister im nächsten Kabinett Netanyahus. Auch dort währte er aber nicht lange. Als Israel Mitte September angesichts der gestiegenen Coronavirus-Infektionen einen landesweiten Lockdown mit weitgehenden Beschränkungen einführte, kam es zum Eklat: Litzman trat schon wieder zurück. Durch die Maßnahmen würden Hunderttausende daran gehindert, an den heiligen Tagen Rosch ha-Schana und Jom Kippur in der Synagoge zu beten, schrieb der strenggläubige Minister in seiner Erklärung.

Silvio Berlusconi

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(Foto: REUTERS)

Mit seinen 84 Jahren gehört der frühere italienische Regierungschef Silvio Berlusconi definitiv zur Risikogruppe. Entsprechend groß war die Sorge, als Anfang September bekannt wurde, dass er positiv auf Corona getestet wurde. Wie er sich ansteckte, ist unklar. Auf jeden Fall hielt Berlusconi zunächst nicht viel von Social Distancing. Es gibt Fotos von Festen in Berlusconis Villa in Sardinien. Alle eng an eng, ohne Schutzmasken. Auch ein Bodyguard und Berlusconis neue Verlobte, Marta Fascina (eher weniger gefährdet, da nur 30 Jahre alt) hatten sich angesteckt. Berlusconi ließ sich mit leichten Atemproblemen in ein Mailänder Krankenhaus bringen. Auch soll er künstlich beatmet worden sein. Doch nach zehn Tagen Behandlung überwand er seine Krankheit. "Danke, dass ich hier sein darf. Es war die gefährlichste Prüfung meines Lebens", sagte er, nachdem er die Klinik in Mailand verlassen konnte. Später äußerte sich Berlusconi für seine Verhältnisse äußerst nachdenklich. "Ich hatte Angst, es nicht zu schaffen", sagte er der italienischen Zeitung Corriere del Sera. In den ersten drei Tagen seines Spitalaufenthalts hatte er die schrecklichen Bilder aus den Krankenhäusern vor Augen, die alle gesehen hätten, "die Intensivstationen, die intubierten Patienten", sagte der Oppositionspolitiker. Seine Erfahrung hat seine Einstellung zu Corona definitiv beeinflusst: Der TV-Mogul rief nach seiner Entlassung aus dem Spital zur strengen Einhaltung von Hygienemassnahmen auf.

Friedrich Merz

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(Foto: dpa)

Doch auch wer die Gefahr durch das Coronavirus ernst nimmt und sich an Hygieneregeln hält, kann sich natürlich damit infizieren. In Deutschland ist der CDU-Politiker Friedrich Merz schon Mitte März an Covid-19 erkrankt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Heiko Maas und Wirtschaftsminister Peter Altmaier mussten zumindest einige Tage in Quarantäne verbringen, nachdem sie unwissentlich Kontakt mit verschiedenen Infizierten hatten. Sie hatten sich aber nicht angesteckt.

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