Physik-Nobelpreis:Vom Beweis der Schwarzen Löcher

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Die Physiknobelpreisträger des Jahres 2020: Reinhard Genzel, Andrea Ghez und Sir Roger Penrose (Foto: dpa, AFP)

Der Deutsche Reinhard Genzel, die US-Amerikanerin Andrea Ghez und der Brite Roger Penrose haben geholfen nachzuweisen, dass Einsteins Theorie einer realen Tatsache entspricht. Für ihre Arbeit werden sie nun mit dem Nobelpreis geehrt.

Von Marlene Weiß

Es soll ja Physiker geben, die Jahr für Jahr an einem Dienstag Anfang Oktober am späten Vormittag europäischer Zeit erwartungsvoll auf ihr Telefon starren - könnte schließlich sein, dass Göran Hansson von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften anruft und einen Nobelpreis loswerden möchte, Zeit wird's. Die diesjährigen Preisträger gehören offensichtlich nicht zu diesen Menschen, zumindest nicht alle. Die offizielle Verkündung des diesjährigen Physiknobelpreises startete ausnahmsweise mit einer Viertelstunde Verspätung, weil es nicht rechtzeitig gelang, alle Preisträger ans Telefon zu bekommen. Auch eine hübsche Vorstellung: Da hat man eine Botschaft zu überbringen, die für die meisten Wissenschaftler die absolute Krönung ihrer Karriere darstellt - und dann tuut, tuut, Mailbox.

Aber schließlich konnte es doch noch bekannt gegeben werden: Der Physik-Nobelpreis geht in diesem Jahr an drei Forscher, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass Schwarze Löcher im Weltbild der Physiker von einer vagen mathematischen Möglichkeit zu einer absolut realen Tatsache wurden. Eine Hälfte des Preises wird für konkrete Beobachtungen verliehen, diese teilen sich der deutsche Astrophysiker Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München und Andrea Ghez, die an der University of California in Los Angeles forscht - sie ist erst die vierte Frau, die einen Physiknobelpreis erhält. Die andere Hälfte geht an Roger Penrose für seine theoretischen Arbeiten zu Schwarzen Löchern.

Die Forscher haben gezeigt, dass Schwarze Löcher nicht nur theoretische Spinnereien sind, sondern Realität

Der Preis geht damit an drei Forscher, über deren Ergebnisse man bis heute einfach nur staunen kann. Sie haben gezeigt, dass Schwarze Löcher, diese Wunder der Relativitätstheorie, nicht nur theoretische Spinnereien sind, sondern schlicht Realität, ob das menschliche Fassungsvermögen damit nun zurechtkommt oder nicht.

Ursprünglich war die Idee nicht mehr als eine Lösung der Einstein'schen Gleichungen gewesen: Dass große Materiemassen unter ihrem eigenen Gewicht in einem einzigen Punkt zusammenfallen könnten, sodass ein Gebilde mit so enormer Anziehungskraft entsteht. Nichts kann dem Sog dieser Objekte entkommen, das unvorsichtig genug war, den sogenannten Ereignishorizont zu überqueren - nicht einmal das Licht.

Doch 1965, zehn Jahre nach Einsteins Tod, konnte der nun ausgezeichnete Brite Roger Penrose mathematisch beweisen, dass diese Objekte im Rahmen der Relativitätstheorie durchaus möglich und in sich konsistent sind - nicht eine verrückte Idee, über die man stolpert, wenn man die Prinzipien weit überdehnt, sondern eine elementare Zutat, die ganz natürlich aus Einsteins Theorie folgt und ihren Platz darin hat. Gemeinsam mit dem 2018 gestorbenen Stephen Hawking konnte Penrose später noch weitere Eigenschaften der bizarren Objekte zeigen, für die sich erst später der Name "Schwarze Löcher" durchsetzte.

Sir Roger Penrose veröffentliche bereits als Mathematik-Student eine bahnbrechende Arbeit im Fachgebiet der Linearen Algebra. (Foto: HANDOUT/AFP)

Damit eröffnete sich ein ganz neuer Ausblick auf die unendlichen Möglichkeiten des Universums - und Astrophysiker wussten ihn bald zu nutzen. In den folgenden Jahren wurde immer klarer, dass sich viele Beobachtungen nur erklären lassen, wenn man von gigantischen, "supermassiven" Schwarzen Löchern mit mehr als einer Million Sonnenmassen im Zentrum vieler Galaxien ausgeht. Nur so lassen sich etwa Quasare interpretieren, ferne Galaxien, die enorme Energiemengen hinaus ins All schleudern: Die Energie wird frei, wenn ein riesiges Schwarzes Loch Materie aufheizt und verschlingt.

Es dauerte nicht lang, bis auch der Verdacht auf ein ähnliches Objekt direkt vor unserer Haustür sich aufdrängte: Auch im Herzen der Milchstraße, in einer Region namens Sagittarius A* im Sternbild Schütze, vermuten Astronomen seit Langem ein supermassives Schwarzes Loch. Aber lange schien es vollkommen undenkbar, ein solches Objekt jemals einigermaßen direkt zu beobachten.

Doch in den Neunzigern wurde es möglich, erstmals wenigstens die Umgebung von Sagittarius A* präzise zu überwachen, und das, obwohl sie nicht größer ist als das Sonnensystem und hinter jeder Menge galaktischer Staubwolken verborgen. Die neue Nobelpreisträgerin Andrea Ghez nutzte das Keck-Observatorium auf Hawaii, um die Bewegung von Sternen rund um das galaktische Zentrum im nahen Infrarotbereich zu überwachen - bei dieser Wellenlänge stört der Staub weniger. Das Team um Reinhard Genzel tat Ähnliches mit dem Very Large Telescope in Chile.

Andrea Mia Ghez erzählte mal einer Bloggerin, dass die Apollo-Missionen sie als Kind dazu motiviert hätten, Wissenschaftlerin zu werden. (Foto: Christopher Dibble/AFP)

Nach jahrelanger Beobachtung, die bis heute immer weiter verfeinert wird, konnten beide Gruppen feststellen, dass die Sterne im Herzen der Galaxie mit hoher Geschwindigkeit um ein extrem kompaktes, massereiches Objekt rotieren. Nach allem, was man weiß, kann das eigentlich nur ein supermassives Schwarzes Loch von rund vier Millionen Sonnenmassen sein.

Noch ist diese Arbeit längst nicht beendet, das Abenteuer der Erforschung Schwarzer Löcher fängt im Grunde eben erst an. Bei der eilends einberufenen Pressekonferenz in Garching erzählte ein bestens gelaunter Reinhard Genzel am Dienstag von den neuen, noch besseren Ergebnissen, die er sich vom geplanten europäischen Extremely Large Telescope (ELT) erhofft, das 2025 den Betrieb aufnehmen soll.

Hinzu kommen die Erfolge der Gravitationswellen-Astronomie, an die man sich längst schon gewöhnt haben mag, die aber vor wenigen Jahren auch noch undenkbar gewesen wären: Mit steter Regelmäßigkeit fangen die Detektoren inzwischen Signale von Kollisionen Schwarzer Löcher und anderer Objekte auf. Die Beobachtung und Analyse Schwarzer Löcher ist ein zentraler Teil der modernen Astronomie und Kosmologie geworden. "Diese mysteriösen Himmelsphänomene zu verstehen ist entscheidend, wenn wir verstehen wollen, wie unser Universum entstand und wie es eines Tages enden wird", sagt Grahame Blair vom britischen Science and Technology Facilities Council.

Der ganz große Durchbruch der vergangenen Jahre im Bereich der Schwarzen Löcher geht leer aus

Zwar sind nun Fachkollegen voll des Lobes über die Entscheidung des Nobelpreiskomitees, alle drei Preisträger genießen höchsten Respekt. Und doch ist die Entscheidung in mancher Hinsicht eine Überraschung. Zum einen, weil rein statistisch betrachtet eigentlich eher die Quantenphysik dran gewesen wäre. Die Astronomie hat schließlich erst kürzlich zwei Nobelpreise eingesammelt, nämlich den unvermeidlichen 2017 für die Entdeckung von Gravitationswellen sowie den im vergangenen Jahr für Exoplaneten. Hinzu kommt, dass der ganz große Durchbruch der vergangenen Jahre im Bereich der Schwarzen Löcher nun leer ausgeht: das erste direkte Bild eines Schwarzen Lochs, das im April 2019 um die Welt ging, aufgenommen vom internationalen Gemeinschaftsprojekt Event Horizon Telescope (EHT) im Zentrum der Galaxie M87.

Zwar galt ein Preis für diese Arbeit aus verschiedenen Gründen als unwahrscheinlich - es wäre schwergefallen, aus der riesigen Kollaboration höchstens drei Preisträger auszuwählen, auch war die verwendete Technik im Grunde nicht neu. Trotzdem mag es für so manchen in der EHT-Kollaboration bitter sein, dass der Preis nun so knapp an ihnen vorbeigeht. In der Begründung wird ihre Arbeit gewürdigt, aber den Preis für den - indirekten - Nachweis eines supermassiven Schwarzen Lochs erhalten nicht sie, sondern Ghez und Genzel.

Aber die meisten nehmen es sportlich bis demütig. "Dieser Preis ist absolut verdient", sagt Anton Zensus vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Vorsitzender des EHT-Kollaborationsrats. "Beide Gruppen haben lange, harte Arbeit geleistet und ganz dicke Bretter gebohrt." Außerdem freut sich Zensus, dass überhaupt ein Preis an sein Feld geht - das sei auch für ihn und seine Kollegen eine Genugtuung.

Eigentlich hätte die EHT-Gruppe inzwischen längst auch ihr eigenes Bild vom Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße veröffentlicht haben wollen, die Daten sind seit 2017 da. Aber noch ist die Auswertung nicht abgeschlossen. "Wir arbeiten weiter mit Hochdruck daran, unsere Daten zu Sagittarius A* auszuwerten, aber es ist einfach sehr schwierig", sagt Zensus. Hinzu komme die hohe Messlatte, weil Genzel und Ghez bereits so viele Beobachtungen gemacht haben: "Das Ergebnis, das wir präsentieren, wird überprüft werden anhand der vielen Dinge, die man schon weiß." Wenn da etwas nicht zusammenpasst, kann man sich schnell blamieren. Denn dank der Arbeit der neuen Nobelpreisträger hat man schließlich schon eine ganz gute Vorstellung von den erstaunlichen Vorgängen im Zentrum der Milchstraße - im Grunde direkt vor unserer Haustür, und doch so weit entfernt.

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