Serie "Patria" nach Roman von Aramburu:Keine Helden, nirgends

Serie "Patria" nach Roman von Aramburu: Der strömende Regen ist eines der Leitmotive in Patria: Bittori (Elena Irureta) hält ihren ermordeten Ehemann Txato in Armen.

Der strömende Regen ist eines der Leitmotive in Patria: Bittori (Elena Irureta) hält ihren ermordeten Ehemann Txato in Armen.

(Foto: HBO Europe)

Die spanische Serie "Patria" erzählt, wie der Eta-Terror im Baskenland Familien zerstört hat. Sie sorgt für kontroverse Diskussionen - was die Qualität der Produktion aber nicht schmälert.

Von Karin Janker

"Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein Feigling bist?", fragt Txato seinen Freund Joixan. Und Joixan, ein großer, ein wenig gebückter Mann mit traurigen Augen und leiser Stimme, antwortet: "Das muss mir niemand sagen." Er weiß selbst, dass er kein Held ist. Joxian wagt es nicht mehr, seinen besten Freund Txato zu grüßen, seit dieser von der Eta bedroht wird. Helden gibt es ohnehin nicht in diesem baskischen Dorf, in dem Patria spielt. Nur die Möchtegern-Freiheitskämpfer, denen sich Joxians ältester Sohn angeschlossen hat.

Patria, die erste Produktion von HBO España, hat in diesen Tagen nicht nur auf dem Filmfestival von San Sebastián, sondern auch im spanischen Fernsehen ihre groß beworbene Premiere gefeiert. Die achtteilige Serie von Aitor Gabilondo, eine gelungene Adaption von Fernando Aramburus gleichnamigem Roman, rührt an einer Wunde in der jüngeren europäischen Geschichte, die sich noch nicht geschlossen hat. Patria erzählt vom Eta-Terror im Baskenland, dem von 1960 bis 2011 mehr als 800 Menschen zum Opfer gefallen sind. Und davon, wie dieser Terror Freundschaften, Familien, ein ganzes Dorf zerfetzt.

Die Serie erzeugt wohl mehr Aufmerksamkeit als jede Plakette

"Wir sind alle Teil dieser Geschichte", lautet der Werbeslogan für die Serie in Spanien. San Sebastián könnte als Ort für die Premiere nicht passender sein: In den Straßen der Stadt starben 107 Menschen als Eta-Opfer. Aufmerksamkeit wird ihnen aber erst jetzt zuteil. Etwa dem Mädchen Begoña Urroz, das mit anderthalb Jahren durch eine Kofferbombe getötet wurde. "Den Opfern gebührt Präsenz im öffentlichen Raum", sagte vor wenigen Tagen der Bürgermeister von San Sebastián, als er eine Plakette für Begoña enthüllte. Die Serie erzeugt diese Aufmerksamkeit, vielleicht noch besser als eine Plakette.

Die Eta-Geschichte wird in Spanien nach wie vor kontrovers diskutiert. Das beweist schon die Aufregung vor dem Start der Serie. Ein Werbeplakat provozierte Boykottaufrufe gegen HBO, nicht nur der Autor Fernando Aramburu, auch Politiker sahen sich zu Stellungnahmen genötigt. Die Empörung richtete sich gegen ein Doppelplakat mit Filmszenen: auf der einen Seite eine Frau im strömenden Regen mit ihrem toten Ehemann in den Armen - auf der anderen ein nackter Eta-Häftling auf dem Boden kauernd, dahinter rauchende Polizisten. Das Plakat relativiere den Schmerz der Opfer und die Verbrechen der Terroristen, so der Vorwurf, den auch Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska vorbrachte. Die Serie entkräftet ihn allerdings schnell.

Im Zentrum von Patria stehen zwei Frauen: Bittori und Miren. Bittori (Elena Irureta) ist die Ehefrau des Unternehmers Txato, der von der Eta ermordet wird; Miren (Ane Gabarain) die Mutter seines mutmaßlichen Mörders. Die beiden sind Nachbarinnen, doch sie stehen auf unterschiedlichen Seiten. Beiden zerstört der Terror ihre Familien, die sie mit aller Kraft versuchen zusammenzuhalten. Heldinnen sind auch sie nicht.

Serie "Patria" nach Roman von Aramburu: Einst waren Miren und Bittori Freundinnen, der Eta-Terror macht sie zu Feindinnen.

Einst waren Miren und Bittori Freundinnen, der Eta-Terror macht sie zu Feindinnen.

(Foto: HBO Europe)

"Du weißt nicht, wie es ist, Mutter zu sein." Dieser Satz ist das Zentrum der Serie, fernab vom Politischen. Was empfindet eine Mutter, deren Sohn zum Verbrecher wird? Und was eine Mutter, deren Familie durch einen politischen Mord für immer traumatisiert wird?

Terror hinterlässt nur Verlierer. Das zeigt Patria in eindrücklichen Bildern, mit einer zurückhaltenden, wirksam eingesetzten Filmmusik und vor allem einer grandiosen Besetzung. Elena Irureta und Ane Gabarain schaffen mit Bittori und Miren charismatische Hauptfiguren. Dabei sind zwei Hausfrauen in ihren 60ern für heutige Sehgewohnheiten recht ungewöhnliche Protagonistinnen. Umso beeindruckender ist, was die Schauspielerinnen aus ihren Figuren durch bloßes Minenspiel herausarbeiten.

Die acht Episoden erzählen in Rückblenden und Perspektivwechseln, so werden die Zeitebenen ineinander verschränkt. Die Erzählweise entfaltet eine ähnliche Sogwirkung wie schon Aramburus Roman. Patria bleibt der Vorlage treu und nutzt zugleich das Potenzial des Serienformats. So wird die Figurenentwicklung zum eigentlichen Spannungsmoment. Aus dem Hintergrund der rauen baskischen Landschaft schälen sich die Charaktere heraus, bis man sie am Ende ganz nah vor sich hat, mit ihren Narben und Furchen, und nicht wieder vergessen will.

Mit der Romanvorlage, einem internationalen Bestseller, haben die Macher von Patria ihren Stoff geschickt gewählt. Das erste Projekt von HBO España sollte für Furore sorgen. Bereits 2017 hatte der Drehbuchautor und Produzent Gabilondo die Filmrechte an Aramburus Roman erworben. Kurz darauf verkündete HBO España, das damals gerade gestartet war, die Serie zu produzieren. Es sollte ein europäisches Vorzeigeprojekt werden in jenem Haus, das die Sopranos und The Wire hervorgebracht hat. Doch dann kam Corona und die für Mai angesetzte Premiere wurde zehn Tage vor dem Termin abgesagt. Spanien befand sich im Alarmzustand.

Dass die Serie jetzt die Kritiker recht einhellig begeistert, dürfte ein gutes Omen für HBO España sein. Dabei ist Patria keineswegs auf den spanischen Markt festgelegt. Im Gegenteil: Der Schmerz, von dem die Serie erzählt, ihre Figuren, die tief berühren, und die Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit würden auch einem deutschen Publikum ans Herz gehen. Man darf also hoffen, dass ein Termin für die Deutschlandpremiere nicht allzu lange auf sich warten lässt.

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