Technische Universität:Feuer und Flamme für den Start

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Ein Teil der Studenten, die sich an dem Projekt Cryosphere der Technischen Universität in Garching beteiligen, mit ihrem Prototyp, der in den kommenden Tagen einem Test im Luft- und Raumfahrtzentrum unterzogen wird. (Foto: Kenneth Tagscherer/oh)

Studenten der TU in Garching testen ihr selbst konstruiertes Raketentriebwerk beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in der Nähe von Hamburg - ein Meilenstein auf dem Weg zum geplanten Einsatz des Flugkörpers im kommenden Jahr.

Von Patrik Stäbler, Garching

Das Hantieren mit Zahlen ist für die Studierenden aus Garching etwas Alltägliches - zumal wenn sie sich innerhalb der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt treffen, kurz WARR. Dann ist etwa von anvisierten Flughöhen die Rede, von mehrfacher Schallgeschwindigkeit oder Maximalbeschleunigung.

Jene Zahl jedoch, die den etwa 20 jungen Menschen in den vergangenen Wochen die größten Sorgen bereitete, hatte nichts mit den technischen Details ihrer Rakete zu tun - sondern mit einem Virus namens Corona. Gemeint ist die Sieben-Tage-Inzidenz, die in München kürzlich den Wert von 50 übertraf. Was für die WARR-Studierenden bedeutete: Der geplante Test ihres Raketentriebwerks in Niedersachsen geriet plötzlich in Gefahr.

"München war ja zeitweise ein Risikogebiet, deshalb wussten wir nicht, ob wir überhaupt nach Niedersachsen fahren dürfen", sagt Projektleiter Gregor Döhner. "Kurzzeitig war schon eine große Nervosität im Team zu spüren." Schließlich hatten die Studierenden mit ihrem Kooperationspartner, der Firma AMDC, für den Testlauf einen Termin beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Trauen reserviert, 90 Kilometer südlich von Hamburg.

"Das hätten wir nicht ohne Weiteres verschieben können", sagt Döhner. "Sondern dann hätten wir bis Frühjahr 2021 warten müssen." Was wiederum den anvisierten Termin für den Start ihrer Rakete gefährdet hätte. Doch zu ihrer Erleichterung ist die Inzidenzzahl für München zwischenzeitlich wieder zurückgegangen. So steht dem Test in dieser und der nächsten Woche - Stand jetzt - nichts mehr im Wege.

Dabei haben die WARR-Studierenden auf dem Campus der Technischen Universität München (TUM) in Garching eigentlich einen eigenen Prüfstand. Doch dieser sei für den gewaltigen Schub des Triebwerks nicht ausgelegt, sagt Döhner. Allein der Schalldruck - "wir rechnen mit 120 Dezibel in einem Radius von 80 Metern" - würde die umliegenden Glasfassaden zerstören.

Auch für die bis zu sieben Meter lange Flamme sei die Rampe in Garching schlicht zu klein. Deshalb werden die Studierenden am Montag in aller Frühe ihr Triebwerk samt Aufbau in einen Kleintransporter sowie einen Kastenwagen verladen und knapp 700 Kilometer nach Norden fahren.

Dort steht am Dienstag der Aufbau und am Mittwoch ein erster Test ohne Zündung an, bevor am Donnerstag die sogenannte Hotfire-Kampagne startet. Bedeutet: Vier Zündungen an vier Tagen - erst zehn, dann 15 Sekunden lang. Getestet wird dabei in einem speziellen Labor mitten im Wald und hinter einem Erdwall. Ein Teil der Studierenden wird die Zündungen aus dem benachbarten Bunker verfolgen; die übrigen bleiben in dem mehrere hundert Meter entfernten Hauptgebäude - aus Sicherheitsgründen.

Anhand der Erkenntnisse aus den vier Tests will die WARR-Gruppe ihr Triebwerk im Anschluss optimieren, ehe im Frühjahr die dritte und letzte Hotfire-Kampagne ansteht. Ein halbes Jahr später soll dann die WARR Ex-3 starten, eine fünf Meter große Hybridrakete, die mit flüssigem Sauerstoff und Hydroxyl-Terminiertem Polybutadin angetrieben wird. Das Ziel der Garchinger ist eine Flughöhe von 35 Kilometern, womit sie den europäischen Rekord für Amateurraketen einstellen würden. Und auf dem Weg dorthin sei die Testreihe in Trauen ein "Meilenstein", sagt Gregor Döhner.

"Im Grunde wie ein Vollzeitjob"

Für diesen haben die Studierenden in den vergangenen Wochen zahllose Stunden gearbeitet, nicht selten bis in die Nacht. "Für unser Kernteam war das im Grunde wie ein Vollzeitjob", sagt der Projektleiter. Dabei besteht die komplette Mannschaft aus Studierenden, zumeist der Luft- und Raumfahrttechnik sowie des Maschinenbaus. "Im Studium lernen wir viel in der Theorie und haben auch Praxiskurse", sagt Döhner. "Aber kein Kurs kann das Fachwissen vermitteln, das man bekommt, wenn man ein echtes Bauteil einer Rakete in der Hand hält oder die Zündung eines Triebwerks sieht."

Dazu komme der Spaß am Tüfteln und "die Gemeinschaft an sich", deretwegen die jungen Menschen sich in ihrer Freizeit an der WARR beteiligen. Diese Studierendengruppe der TUM wurde 1962 mit dem Schwerpunkt Raketenbau gegründet. Bereits 1974 feierte sie ihren bisher größten Erfolg: den Start der Barbarella, der ersten deutschen Hybridrakete, die heute im Deutschen Museum ausgestellt ist.

In der Folge kamen innerhalb der WARR weitere Projektgruppen hinzu, etwa Satellitentechnik, Weltraumaufzüge und Hyperloop, eine Art Magnetbahn in einem luftleeren Röhrensystem. Hier feierten die Studenten zuletzt große Erfolge, indem sie mehrfach den Hyperloop-Wettbewerb der US-Raumfahrtfirma Space X von Tesla-Chef Elon Musk gewannen.

Doch auch die Raketenbauer der WARR haben kürzlich für Schlagzeilen gesorgt - oder genauer gesagt: drei ehemalige Mitglieder der Projektgruppe. Sie haben 2018 die Raumfahrtfirma Isar Aerospace gegründet, die inzwischen 100 Mitarbeiter zählt und Anfang September im Beisein von Ministerpräsidenten Markus Söder eine Produktionshalle in Ottobrunn eröffnet hat. "Einige von uns kennen die Gründer noch aus ihrer Zeit bei der WARR", sagt Gregor Döhner. "Da ist es natürlich toll zu sehen, wie sich Isar Aerospace entwickelt hat. Für viele von uns ist das auch eine zusätzliche Motivation."

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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