Kurzkritik:Zitherwandel

Das Neue Kollektiv München erforscht den Klang des Klimas

Von Egbert Tholl

Matthias Kranebitter hat ein schönes Stück mit einem noch schöneren Titel geschrieben, es heißt "Die Auflösung traditioneller Stubenmusik in die Geometrie des Alpenhauptkamms" und klingt genau so, auch wenn man sich zunächst darunter wenig vorstellen kann. Für Martin Mallaun jedoch ist das völlig selbstverständlich. Der Tiroler studierte Zither und Botanik, arbeitet als Botaniker und Zitherspieler und erklärt im Schwere Reiter, wie wissenschaftliche Messwerte über einen Algorithmus entlang der Geometrie eben des Alpenhauptkamms geordnet und zu Tönen werden können. In Kranebitters Komposition klingt das dann so, als rutschten Reste traditioneller Volksmusik umgeben von ein paar Kuhglocken, elektronischem Geschepper und dem Gelächter einer Klarinette rauschend ins Tal.

Das NKM, das Neue Kollektiv München, hat zwei schöne Abende zeitgenössischer Musik zusammenkomponiert, der eine war den Werken von Komponistinnen gewidmet, der andere dem Klima. Zu diesem brachte Mallaun ein paar erlesene Exemplare aus seiner Zither-Sammlung mit und spricht dann auch über die Artenvielfalt im Hochgebirge, die vom Klimawandel bedroht ist, was er seit 2001 untersucht. Die fünf Werke des Abends kreisen um dieses Thema auf unterschiedlich weit entfernten Bahnen, sie alle sind geistreich, basieren auf teils abenteuerlichen Kompositionsideen und stellen gern Live-Elektronik der Zither gegenüber. Bei Marco Döttlingers "graben/wischen/Feder" kann das dann auch zusammengehen: Sein Stück für E-Zither klingt wie ein Alpenblues ohne blaue Noten.

Zwei Uraufführungen gibt es auch, eine von Alexander Strauch, eine von Christoph Reiserer. Strauchs "Wiener messen, messen und messen" verbindet ein Nachtfalter-artiges Streichtrio mit in Klang umgewandelten Temperaturmessungen von 1745 bis heute; Reiserer lässt leicht performativ die Allgegenwart der Wechselstrom-Frequenz erkunden, ein g - klingt schräg, ist es auch, aber gut!

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