Fachabitur:Wechseln auf die Überholspur

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Das Fachabitur und die fachgebundene Hochschulreife eröffnen den Weg zu einem Hochschulstudium. Aber nicht jeder möchte eine akademische Ausbildung beginnen. Denn mit diesen Abschlüssen bieten sich auch andere Perspektiven.

Von Rebekka Gottl

Auf die Frage nach dem Berufswunsch gehen viele Hände im Klassenraum nach oben. Marius Klug hat bereits konkrete Vorstellungen. Der Schüler plant, Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Wetzlar zu studieren, dual. Sein Tischnachbar Hendrik Schwarz hat dasselbe vor. Die beiden 20-Jährigen schlossen an ihren Realschulabschluss zunächst eine Lehre in handwerklichen Betrieben an, bevor sie im Sommer vergangenen Jahres auf die Fachoberschule der Ferdinand-Braun-Schule in Fulda wechselten - mit dem Ziel, das Fachabitur zu machen.

Diese Szene liegt nun schon viele Monate zurück, doch an Hendriks Interessen hat sich nichts geändert: "Das Handwerkliche ist voll und ganz meine Welt", sagt er. Doch nach seiner Ausbildung zum Industriemechaniker habe er "wieder Bock auf Schule gehabt"; er wollte das praktisch Erlernte mit theoretischem Wissen untermauern. Daher berechnete er nicht nur mathematische Formeln im Klassenraum, sondern lernte auch Englischvokabeln und den Aufbau von Atomen. Diesen Mai standen die schriftlichen Abschlussprüfungen an. Bei ihnen galt es für den Zwölftklässler und seine Mitschülerinnen und Mitschüler, ihre Kenntnisse in Mathe, Deutsch, Englisch und ihrem gewählten Schwerpunktfach Maschinenbau unter Beweis zu stellen. Das Ziel der meisten von ihnen: Sich mit der frisch erworbenen Fachhochschulreife, dem Fachabitur, an einer Hochschule einzuschreiben.

Etwa 421 000 Schülerinnen und Schüler in Deutschland qualifizierten sich im Jahr 2019 nach Angaben des Statistischen Bundesamts dafür, an einer Fachhochschule oder Universität zu studieren. Vier Fünftel aller Studienberechtigten erwarben eine allgemeine Hochschulreife mit Abschluss der gymnasialen Oberstufe oder eine fachgebundene Hochschulreife, das "Abitur ohne zweite Fremdsprache". Dazu besuchten sie Berufsoberschulen oder Studienkollegs. Die Fachhochschulreife erarbeiteten sich circa 88 000 Absolventen. Die Wege zum Fachabitur sind dabei verschiedene: So wie Marius und Hendrik besuchte etwa die Hälfte ihrer Klassenkameraden die einjährige Form der Fachoberschule mit einer zuvor abgeschlossenen Berufsausbildung im Bereich Maschinenbau. Die zehn anderen Schüler hatten sich direkt nach der Realschule beworben und waren deshalb schon ein Jahr länger dabei. Die elfte Jahrgangsstufe verbrachten aber auch sie nicht allein im Klassenraum. Bevor ihre Klassenkameraden im Anschluss an deren Ausbildung Anfang der zwölften Jahrgangsstufe zu ihnen stießen, hatten die Realschulabsolventen theoretische Berechnungen und Hausaufgaben ebenfalls mit der Praxis verbunden und schnupperten als Praktikanten in technische Betriebe hinein.

Klare Ziele, klare Linie: Nachdem sie das Fachabi oder die fachgebundene Hochschulreife erworben haben, bleiben die meisten der Richtung treu, in der sie schon Praxiserfahrung haben. Das können ganz unterschiedliche Branchen und Ausbildungen sein, etwa zum Logopäden, Schreiner, Mechatroniker, Floristen oder Erzieher (v. links nach rechts im Uhrzeigersinn). (Foto: Mauritius Images, Imago(2), W. Grubitzsch, B. Thissen/dpa)

"Wichtig ist, dass der fachliche Schwerpunkt der Schule zur vorangegangenen Berufsausbildung passt", sagt Ulrike Manigel von der Anna-Freud-Schule in Berlin. Da die Fachoberschule, die sie leitet, auf Sozialwesen ausgerichtet ist, werden zur einjährigen schulischen Ausbildung ausschließlich gelernte Erzieher, Altenpfleger oder Heilpädagogen zugelassen. Auf Industriemechaniker, Technische Produktdesigner und Mechatroniker, wie sie in Hendriks Klasse zu finden sind, trifft man dort hingegen nicht. Dementsprechend angepasst sind auch die Stundenpläne. Während an der Anna-Freud-Schule Fächer wie Pädagogik und Soziologie auf dem Lehrplan stehen, wird im Fachbereich Maschinenbau Statik und Werkstofftechnik unterrichtet. Fächer wie Kunst, Musik, Geografie oder auch Geschichte und Biologie stehen nicht im Lehrplan der beiden Schulen, "was schade ist, da manche Schülerinnen und Schüler in diesen Bereichen klare Talente sind", sagt Manigel. Besonders Geschichte vermissten einige Schüler aus Hendriks Klasse - und Fächer, die kaufmännische und wirtschaftliche Grundlagen vermitteln. "Toll wäre es, in der Schule noch interdisziplinärer zu lernen", sagt Hendrik. Marius sieht in der Auswahl der Fächer jedoch viele Vorteile: "Durch den technischen Fokus haben wir uns spezielles Wissen angeeignet, auf das wir im Studium oder im Beruf zurückgreifen können", sagt er rückblickend.

Fachabiturienten können sich theoretisch für alle Studiengänge immatrikulieren, die von Fachhochschulen angeboten werden. Dennoch bleiben die meisten der Fachrichtung treu, die sie während der Schulzeit gewählt haben. Um etwa an der Hochschule Hannover Soziale Arbeit studieren zu dürfen, müssten Maschinenbau-Absolventen wie Hendrik lediglich den geforderten Numerus clausus auf dem Abschlusszeugnis und ein mehrwöchiges Vorpraktikum in einer sozialen Einrichtung vorweisen. "Die meisten Studierenden mit Fachhochschulreife schreiben sich aber in technische Fächer ein", sagt Marina Schlünz, Vizepräsidentin der Hochschule Hannover. Wie auch viele andere Fachhochschulen, kurz FH, bezeichnet sich diese als "Hochschule für angewandte Wissenschaften". Schlünz schätzt, dass ungefähr 60 Prozent der dort Studierenden das Fachabitur haben - und dass sie das Studium seltener abbrechen als ihre Kommilitonen mit allgemeiner Hochschulreife. Wer eine Ausbildung absolviert habe, sei "gefestigter im Lebensweg", erklärt die Vizepräsidentin. Somit sei das Fachabitur besonders geeignet für alle, die ein Bachelorstudium an einer Fachhochschule anstreben.

Für Hendrik Schwarz und Marius Klug von der Ferndinand-Braun-Schule jedenfalls genügt die Fachhochschulreife voll und ganz. Denn bereits durch ihre Berufsausbildung und die Wahl des Schwerpunktfachs in der Schule haben sie sich für eine bestimmte Fachrichtung entschieden, die sie im Studium und im Beruf weiterhin verfolgen werden. Mehr als eine breite schulische Allgemeinbildung, wie sie in der gymnasialen Oberstufe vermittelt wird, zählt für die beiden 20-Jährigen die technische Ausrichtung der Fachoberschule - als Vorbereitung auf ein duales Studium.

Ein ehemaliger Schüler, der gemeinsam mit Marius und Hendrik lernte, wusste ebenfalls bereits in der Vorbereitungsphase auf das Fachabitur genau, wo es für ihn beruflich hingehen soll: Er möchte gerne als Berufsschullehrer arbeiten, "um so einen entspannten Job wie Sie zu haben", wie er es gegenüber einem seiner Lehrer formulierte. In den meisten Bundesländern ist das Lehramtsstudium allerdings Universitäten vorbehalten, studienberechtigt sind nur Abiturienten. Die Fachhochschulreife garantiert zwar den uneingeschränkten Zugang zu deutschen Fachhochschulen, selten aber zu Universitäten. Für Fachabiturienten gibt es grundsätzlich keine Möglichkeit, in Studiengänge zu kommen, die ausschließlich an Unis angeboten werden. Denn dort ist die allgemeine Hochschulreife eine wesentliche Zulassungsvoraussetzung. Ausnahmeregelungen gibt es jedoch in Hessen und Niedersachsen. An zahlreichen Universitäten in den beiden Bundesländern können Fachabiturienten auch Bachelorstudiengänge aufnehmen, wobei die konkreten Voraussetzungen der einzelnen Universitäten variieren.

"Mit dem Bachelorabschluss der Fachhochschule oder der Business School können Studierende außerdem oft problemlos für den Master an die Uni wechseln", fährt Marina Schlünz fort. Fächer wie Medizin, Pharmazie, Jura oder Lehramt, die nicht mit dem Bachelor, sondern mit dem Staatsexamen abschließen, sind für Absolventen mit Fachhochschulreife hingegen nicht zugänglich. Allerdings wurde das Lehramtsstudium, das für den Schuldienst an beruflichen Schulen qualifiziert, an den Universitäten in Hessen bereits auf das gestufte Bachelor-Master-System umgestellt. Wegen dieser landesspezifischen Regelung kann Hendriks Klassenkamerad auch mit dem Fachabitur Berufsschullehrer werden.

Doch nicht alle in Hendriks Klasse liebäugelten mit einem Studium. Die 18-jährige Lisa Klüh beispielsweise hatte sich, noch bevor sie die Fachabitur-Prüfungen machte, bereits einen Ausbildungsplatz als Forstwirtin im heimischen Wald gesichert. Einer ihrer Mitstreiter bei der Vorbereitung auf das Fachabitur, Robin Göbel, strebt indes eine Karriere bei der Polizei an. Zeitweise habe er überlegt, die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife dranzuhängen. Mit abgeschlossener Berufsausbildung und Fachabitur würde er den Abschluss nach einem weiteren Schuljahr in der Tasche haben. "Doch wofür?", sagt Göbel. Weder wolle er Rechtswissenschaften studieren noch ziehe es ihn für ein geisteswissenschaftliches Studium an die Universität. Nicht wenige seiner Klassenkameraden stimmten ihm zu: Für das, was sie beruflich vorhaben, reiche das Fachabitur vollkommen aus.

© SZ vom 16.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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