Lüften an Schulen:Mit Jacke und Mütze im Klassenzimmer

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Fenster auf, Aerosole raus: Künftig müssen sich Schüler auch im Klassenzimmer warm einpacken - am besten so wie dieses Mädchen in Reykjavik.

(Foto: Danita Delimont/imago)

Huch, der Herbst ist da, und in den stoßgelüfteten Schulen frieren die Kinder. Hätte man da nicht rechtzeitig andere Lösungen finden können? Jetzt hilft nur das Zwiebelprinzip - und "Wind of Change".

Von Ramona Dinauer

Der Himmel über Wuppertal ist grau, die Luft im Klassenzimmer kühl. Zwölf Grad Außentemperatur, so erzählt es Dorothee Kleinherbers-Boden es am Telefon. Die Schulleiterin der Else-Lasker-Schüler-Gesamtschule hat in ihrer letzten Philosophiestunde in der elften Klasse erst mal ihre Strickjacke zuknöpfen müssen, weil die Schülerinnen und Schüler bereits selbständig die Fenster aufgerissen hatten. Sie wollten es so, sagt die Schulleiterin. Trotz herbstlicher Temperaturen. Vor den Sommerferien musste sie vier Klassen nach einzelnen Corona-Infektionen in Quarantäne schicken. "Dadurch ist den Schülern noch deutlicher bewusst geworden, wie wichtig die Hygienekonzepte sind", sagt Kleinherbers-Boden, "sie wollen nicht noch mal auf das gemeinsame Lernen verzichten müssen." Lieber gemeinsam frieren, als sich im warmen Zuhause alleine den Schulstoff einzuverleiben.

Die Fenster müssen nicht die ganze Stunde geöffnet sein. Alle 20 Minuten mindestens drei Minuten lüften, das hat die Kultusministerkonferenz Ende September empfohlen. Die hohe Kunst des Stoßlüftens wird wohl in den meisten Klassen in Deutschland praktiziert, so sich die Fenster in den Klassenzimmern überhaupt öffnen lassen. Zusätzlich sollten die Lehrer und Lehrerinnen in den Pausen Querlüften - sprich sowohl Fenster als auch Türen offen halten und so Durchzug erzeugen. Virologen, Hygieneexperten und Strömungsmechaniker sowie Vertreter des Umweltbundesamtes, der Kommunen, der Bildungsgewerkschaften und des Bundeselternrats haben diese Vorgaben erarbeitet.

Alle 20 Minuten wird der Unterricht unterbrochen

Auch der Philologenverband hält ein solches Lüftungskonzept für sinnvoll, erklärt die Vorsitzende, Susanne Lin-Klitzing, vor allem dann, wenn keine zusätzlichen Raumluftreiniger zur Verfügung stehen. "Das viele Lüften bedeutet zwar kein Erfrieren, aber in jedem Falle veränderte Bedingungen allein schon durch die Unterbrechung des Unterrichts alle 20 Minuten." Da der Abstand in Klassenräumen nicht immer gewahrt werden könne, sei es umso wichtiger, dass möglicherweise infektiöse Aerosole aus den Zimmern hinausgeweht werden können.

Allerdings ist die Luft von draußen nicht nur virenfrei, sondern jetzt, da der Herbst da ist, auch ungemütlich kühl. Und der Winter kommt erst noch. Neben der Luftqualität könne deshalb auch ein Verpackungsprinzip aus der Natur seinen Platz im Klassenzimmer finden - das Zwiebelschalenprinzip. Unterhemd, Shirt, Pulli, vielleicht eine Ski-Unterhose unter der Jeans. Und am besten die Jacke, die sonst am Garderobenhaken vor der Klassenzimmertür auf die Pause wartet, über die Stuhllehne hängen. Ein Schal gehört in jeden gut gepackten Corona-Schulranzen. Und wie wäre es mit einer dünnen Mütze für drinnen? Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) fasste die Lage jüngst in einem Schreiben an die Schüler kurz und bündig zusammen: "Zieht euch warm genug an."

Lüften an Schulen: Alle 20 Minuten geht in den Klassenzimmern das große Einpacken los - gefolgt vom großen Auspacken fünf Minuten später.

Alle 20 Minuten geht in den Klassenzimmern das große Einpacken los - gefolgt vom großen Auspacken fünf Minuten später.

(Foto: Imago)

Eltern, die ihre Kinder bislang nicht schon im Oktober in mehrere Kleiderlagen gehüllt haben, fangen im ersten Corona-Winter nun womöglich jetzt schon damit an. Und in der Schule geht dann alle 20 Minuten das große Einpacken los, dicht gefolgt vom Wiederauspacken. Jacke an, Jacke aus. Mit der Daunenjacke zwischen den Lüftungspausen im Klassenraum schwitzen, sei schließlich auch keine Lösung, sagt Kleinherbers-Boden.

Damit das Schalenwechseln und Fensteröffnen auch ja dem empfohlenen Rhythmus folgt, stellt man in der Else-Lasker-Schüler-Schule einen Wecker auf dem Smartphone. "Das macht den Schülern auch Spaß, weil sie eine wichtige Aufgabe bekommen und ihr Handy behalten dürfen", erzählt die Schulleiterin. Dennoch müsse sich das Lüftungskonzept noch einspielen. Dabei können Rituale helfen, meint Philologenverband-Vorsitzende Lin-Klitzing. Zu jedem Stoßlüften könnte zum Beispiel das Lied "Wind of Change" gespielt werden. Fünf Minuten und zehn Sekunden dauert der Song der Scorpions, fast genau die empfohlene Stoßlüften-Zeit. Die Wende-Hymne aus dem Herbst 1989 wird zur Frischluft-Hymne im Corona-Herbst 2020.

"Mit Jacke und Schal im Unterricht zu sitzen ist vielleicht nicht schön, aber im Vergleich zu einer möglichen Infektion das geringere Übel", sagt Joshua Grasmüller, Landesschülersprecher für die bayerischen Gymnasien. Als kurzfristige Maßnahme sei das Lüften auch im Winter eine gute Sache, aber langfristig könne das ja wohl nicht die einzige Lösung sein. Bereits in den Sommerferien hätte man sich um bauliche Maßnahmen zum Infektionsschutz in Schulen kümmern müssen, findet der 18-Jährige.

Zur Not auch noch mit Wärmeflasche

In diesem Punkt ist er sich mit Lin-Klitzing einig. In vielen Klassenräumen, sagt die Philologenverband-Chefin, könne man die Fenster nicht öffnen. Diese seien damit für den Unterricht in Corona-Zeiten unbrauchbar. Dabei würde wegen der Abstandsregelungen jedes Klassenzimmer dringend benötigt. Plexiglasscheiben zum Aufstellen zwischen den Schülerinnen und Schülern oder Lüftungsgeräte sucht man in so gut wie allen Räumen meist vergeblich.

Solche Anschaffungen stehen an der Else-Lasker-Schüler-Schule weit unten auf der Wunschliste. Ganz oben: dichte Fenster. Seit 30 Jahren wurden die Fenster nicht erneuert, selbst wenn sie geschlossen sind, dringt Winterluft herein. Um das auszugleichen, laufen in der Wuppertaler Schule im Winter die Heizungen ohnehin dauerhaft auf höchster Stufe. "So wird es bei uns auch nach dem Lüften schnell wieder warm", sagt Schulleiterin Kleinherbers-Boden mit einem Anflug von Galgenhumor. Ein paar Wärmflaschen, die im Sekretariat schon vor Corona meist für Schülerinnen mit Regelschmerzen bereitlagen, werden dieser Tage umso öfter befüllt. Als Ergänzung für den Zwiebel-Look.

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