Kabinett:"Die nächsten vier Wochen sind entscheidend"

Kabinett: Viele Gelegenheiten - mehrere Varianten: Ministerpräsident Markus Söder lässt sich, auch als Botschaft an die bayerischen Bürger, gerne mit Maske fotografieren.

Viele Gelegenheiten - mehrere Varianten: Ministerpräsident Markus Söder lässt sich, auch als Botschaft an die bayerischen Bürger, gerne mit Maske fotografieren.

(Foto: Peter Kneffel (3), Sven Hoppe (3)/beide dpa)

Ministerpräsident Söder zeichnet ein dramatisches Bild der Corona-Lage und fordert bundesweit einheitliche Maßnahmen. Rückendeckung kommt von Leopoldina-Präsident Gerald Haug.

Von Andreas Glas

Etwas ist anders an diesem Dienstag. Am Pult in der Mitte steht Markus Söder (CSU), das kennt man, aber links und rechts: keine Ministerin, kein Minister, wie sonst bei den Pressekonferenzen nach der Kabinettssitzung. Ein ungewohntes Bild, aber eines mit Botschaft, das hat vor allem mit dem Mann zu tun, der links neben dem Ministerpräsidenten steht: Gerald Haug, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, "dem Wissenschaftsgremium schlechthin", sagt Söder, damit auch jeder die Botschaft versteht. Das Bild, das Söder transportieren will, sagt: Die Wissenschaft steht an meiner Seite, steht zu meiner Politik in der Corona-Krise.

Söder, das wird schnell klar, sucht Rückendeckung für die Verhandlungen, die an diesem Mittwoch in Berlin stattfinden, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder über den weiteren Kurs in der Pandemie berät. Die Debatte könne "historische Dimensionen" haben, sagte Kanzleramtschef Helge Braun. Bei Söder hört sich das am Dienstag so an: "Wir brauchen jetzt einen Ruck, indem wir uns ehrlich machen." Ehrlich machen, das heißt für Söder, "der Wahrheit ins Auge schauen", dass die Infektionszahlen rasch steigen, "die nächsten vier Wochen sind entscheidend", um nicht die Kontrolle zu verlieren. Es brauche jetzt dringend und bundesweit "ein echtes, klares Regelwerk für alle", eines, das "die Bevölkerung auch versteht", sagt Söder.

Das ist ja die Erfahrung, die auch Söder in den vergangenen Wochen machen musste: Dass kaum ein Mensch mehr durchblickt, welche Regeln in welchem Bundesland gerade gelten. Geht es nach Söder, soll demnächst überall in der Republik das gelten, was er den Bayern bereits verordnet hat: mehr Maske, weniger Alkohol, weniger private Feiern. Er trägt diesen Dreiklang seit Wochen vor sich her, auch an diesem Dienstag. Was Söder nicht so gern vor sich her trägt: dass auch in Bayern längst nicht mehr alle die Regeln verstehen. Und dass es Regeln gibt, die sehr widersprüchlich daherkommen.

Wie er sich einen bundeseinheitlichen Regelkatalog ohne Widersprüche vorstellt, sagt Söder nicht, jedenfalls nicht im Detail. Was die "große Linie" angeht, hat er aber seine Vorstellungen. Er spricht sich dafür aus, die Maskenpflicht auszuweiten, etwa an öffentlichen Plätzen, in öffentlichen Gebäuden oder in Aufzügen. Auch private Feiern müssten heruntergefahren werden. Alles "unabhängig davon, ob die Zahlen etwas niedriger oder höher sind", sagt Söder. Das würde bedeuten, dass in Regionen mit relativ niedrigen Infektionszahlen bald dieselben Regeln gelten könnten wie in den Hotspots: also Maskenpflicht und Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen, frühere Sperrstunden, strengere Vorschriften für private Feiern.

Vor allem beim Thema Maske bekommt Söder dann auch die erwünschte Rückendeckung von Leopoldina-Präsident Haug. Der schlägt etwa eine Maskenpflicht vor, die ab 35 Neuinfektionen pro 100000 Einwohner binnen sieben Tage "auch draußen" gelten soll. Auch Haug plädiert für "einheitliche Eskalationsstufen und Grenzwerte", für "klare, verständliche und einheitliche Regeln". Nur so könne man Menschen dazu motivieren, sich und andere vor dem Virus zu schützen. Die Infektionslage nennt Haug "dramatisch". Die Chance, bundesweit unter 10 000 Neuinfektionen pro Tag zu bleiben, sieht er bereits verstrichen. Bei der Bund-Länder-Konferenz am Mittwoch werde es nun darum gehen, "ob wir unter 20 000 Neuinfektionen bleiben können", sagt Haug.

Weniger gut klappt das mit der Rückendeckung für Söder beim Thema Beherbergungsverbote, die in Bayern und anderswo für all diejenigen gelten, die ohne negativen Test aus Corona-Hotspots in anderen Bundesländern einreisen. Er selbst habe nur deshalb zum Kabinettsbesuch nach München kommen können, weil hier sein Cousin wohne, sagt Haug. In ein Hotel hätte er sich nicht einbuchen dürfen, da er zuvor in Berlin gewesen sei. Haug versucht gar nicht erst zu verbergen, dass er Beherbergungsverbote auch aus wissenschaftlicher Sicht für fragwürdig hält. "Jede Medizin hat Nebenwirkungen und hier sind die Nebenwirkungen sehr stark", sagt er, "wir wollen das wirtschaftliche Leben ja aufrechterhalten." Haug plädiert dafür, das Beherbergungsverbot "nach den Herbstferien auch wieder sein" zu lassen.

Auch Söder selbst klingt plötzlich nicht mehr allzu überzeugt von den Beherbergungsverboten. Die Verbote seien ja ohnehin nur "für die Herbstferien gedacht" gewesen, sagt er. Auch bei den Verhandlungen in Berlin wird Söder wohl nicht auf den Verboten beharren. Man müsse da "noch mal in Ruhe drüber reden und dann entscheiden, wie es damit weitergeht". Auf die Verbote sei er aber "in keinster Weise persönlich auf Dauer festgelegt. Er habe "kein Problem", darüber noch einmal zu diskutieren, sagt Söder. Auch Susanne Breit-Keßler, die bei der Pressekonferenz rechts neben Söder steht, sieht die Beherbergungsverbote kritisch. Dass die Menschen nicht mehr wüssten, wo sie hinfahren und übernachten dürften, das sei alles schon sehr "konfus", sagt die frühere Münchner Regionalbischöfin und Vorsitzende des Dreierrates Grundrechtsschutz, der die Staatsregierung dabei unterstützen soll, die Balance zwischen Infektionsschutz und Freiheit zu bewahren.

Was den Infektionsschutz angeht, wird Bayern in den kommenden Tagen weitere 2000 Beamtenanwärter und Polizisten abordnen, die in den Gesundheitsämtern helfen sollen, Ansteckungsketten nachzuverfolgen. Der Freistaat habe sich zudem zehn Millionen Schnelltests gesichert, sagt Söder. Nichts hält der Ministerpräsident derweil von der Idee, die Weihnachtsferien zu verlängern und die Ferien im Sommer entsprechend zu kürzen. Die Schule sei im Moment "schon anstrengend genug", sagt Söder. Es sei jetzt nicht die Zeit, sich mit "zusätzlichen Dingen" zu befassen, die Verunsicherung auslösen könnten.

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