SZ-Kolumne "Alles Gute":Die Wiederentdeckung der Spontaneität

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Die Party ist vorbei: In der Pandemie ist selbst eine kleine Geburtstagsfeier schwierig. (Foto: Nick Zonna/Imago Images/Independent Photo)

Ein Pandemie-Geburtstag, bevor die Zahlen wieder nach oben schnellen. Das negative Testergebnis kommt kurz vor den Gästen. Und die sind, Corona sei dank, ziemlich spontan.

Von Anna Fischhaber

Ein ganz normaler Pandemie-Geburtstag, kurz bevor die Zahl der Infektionen wieder nach oben schnellt. Ganz allein will man nicht bleiben, die Voraussetzungen sind zu günstig. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist noch mal unter 50 gefallen, Herbstsonne angekündigt und die Terrasse groß genug für die Familie, die drei engsten Freunde, den inneren Zirkel. Doch dann gibt es einen Corona-Verdacht im Kindergarten des älteren Sohnes, in der anderen Gruppe zwar, auf dem Flur nebenan, aber klingt der Husten des jüngeren Sohnes nicht auch verdächtig trocken? Am Tag vorher also noch schnell mit beiden Kindern ins improvisierte Testzelt auf dem Balkon des Hausarztes, sicher ist sicher, wer will schon den eigenen Geburtstag als Corona-Event in Erinnerung behalten? Bis zu 48 Stunden soll es dauern, bis das Ergebnis kommt, die kleine Feier ist bis zuletzt unsicher. Und die Gäste? Reagieren entspannt.

Klar, Freibäder waren in diesem Jahr eine exklusive Veranstaltung, Internetzugang und Deutsch vorausgesetzt. Wer nicht im Dauerregen schwimmen wollte, stellte sich seinen Wecker, um, wenn die Tage mit Gut-Wetter-Garantie freigeschaltet worden waren, sofort eines der Online-Tickets zu ergattern. Egal ob Museum oder Restaurant, jeden Auswärtsbesuch muss man bis heute gut planen, Hygienebeschränkungen einkalkulieren, Befindlichkeiten der Begleitung sowieso. Gleichzeitig ist etwas entstanden, das wir im durchgetakteten Großstadtfamilienleben zwischen Büro, Kinderturnen und Yogakurs längst verlernt hatten: Spontaneität.

(Foto: Steffen Mackert)

Während der Corona-Beschränkungen im Frühjahr dehnte sich die freie Zeit wie ein Kaugummi. Manche fühlten sich einsam, unsicher, bedroht. Andere befreit. Das Tagesziel nach der Arbeit: in den Park nebenan spazieren, ohne Plan, in jedem Fall ohne Sozialstress. Dann kam die Sonne, und proportional zum Sinken der Corona-Infektionskurve füllte sich der Kalender wieder.

Der Sommer ist gerade erst vorbei, doch die Tendenz ist längst klar. Keine Hotelübernachtungen, kein Hallenfußball, es wird auch ein Herbst ohne Plan. Das Leben im Jetzt schafft aber auch Raum. Nicht unbedingt für Feiern vielleicht, aber zum Beispiel, um die wenigen wirklich guten Freunde zu sehen, ohne Wochen im Voraus nach Dutzenden Nachrichten ein Treffen ausgemacht zu haben, das dann zwischen Joggingrunde mit der Nachbarin und Elternabend doch nur nervt. Manchmal reicht die spontane Frage: Was macht ihr nachher? Und wenn alles zu viel wird, genügt ein dezenter Huster. Oder ein Corona-Verdacht auf dem Flur nebenan.

Die kleine Geburtstagsfeier findet am Ende übrigens wirklich statt. Das negative Testergebnis kommt zwei Stunden vor den Gästen. Sie hatten ja sonst nichts geplant.

In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure wöchentlich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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