Deutsche Nationalmannschaft:Löw wird maximal gefordert sein

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Kann Bundestrainer Löw dem deutschen Fußball noch etwas geben? Das werden die nächsten Monate zeigen. (Foto: dpa)

Die nächsten Monate werden Trainermonate - und sie werden zeigen, ob der Bundestrainer dem deutschen Fußball noch etwas geben kann.

Kommentar von Christof Kneer

Beim ersten Tor kam der Ball von Kai Havertz zu Timo Werner, der mit links ins entfernte Toreck traf. Das zweite Tor legte Kai Havertz sich selbst vor, eine Balleroberung, ein Sprint, ein eisgekühlter Abschluss. Beim dritten Tor kam der Ball von Timo Werner, und Serge Gnabry hieb den Ball dann mit der Hacke ins Tor. Beim "Tor des Monats" gibt es normalerweise fünf Tore zur Auswahl, und gemäß den jahrhundertealten Regeln dieser Rubrik müsste nun eigentlich noch ein Tor von der Mittellinie präsentiert werden und eines von einem putzigen Amateurplatz, das mit einer wackligen Kamera aufgenommen wurde. Der Favorit bliebe wohl trotzdem die Kennziffer 3: das Hackentor von Gnabry.

Der Zuschauer Joachim Löw wäre gut beraten, nicht mitzuwählen. Er gilt als befangen, und er genießt außerdem den wettbewerbsverzerrenden Vorteil, die ersten drei Tore live im Stadion gesehen zu haben - am Dienstag, beim 3:3 seiner Nationalmannschaft gegen die Schweiz.

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Das ist ja in all den Debatten, die diesem Spiel folgten, etwas untergegangen: dass Löw zwar auch drei Gegentore des Monats erlebt hat - aber es war in den drei Oktober-Länderspielen eben auch nicht zu übersehen, wie viel hinreißendes Talent in Löws Offensive steckt. Zu Gnabry, Werner, Havertz kommt noch Leroy Sané hinzu, und es gab in den Spielen sogar ernstzunehmende Hinweise darauf, dass man sich den Fußballer Julian Draxler doch nicht nur eingebildet hat. Draxler wirkte fast so zielstrebig wie der 18-jährige Draxler, dem man mal eine große Zukunft voraussagte, bevor es sich die Zukunft noch mal überlegt hat. Auf den ersten Blick wirkt es, als unterrichte Löw zwei unterschiedliche Teams - ein offensives, das man im nächsten Sommer mit großem Besitzerstolz zur EM schicken kann; und ein defensives, für das man sich, Stand jetzt, eher genieren müsste. Aber natürlich sind das unzulässige Zuspitzungen, die durch die aufgeregten Nachtkritiken nach dem Spiel verschärft wurden. Löw sind nach diesen drei Spielen kuriose Dinge vorgeworfen worden, er rotiere zu viel, habe noch kein System gefunden - zur Fairness gehört aber festzuhalten, dass Löw eher nichts für die Coronapause kann, die ihn und sein Team zu monatelanger Tatenlosigkeit verurteilte. Dass er das erste Testspiel dann mal zum Testen nutzt: Okay, das sollte eigentlich genehmigt sein.

Es werden eher die nächsten Monate sein, an denen sich dieser Trainer nun messen lassen muss. Es werden Trainermonate werden, so wie die EM ein Trainerturnier werden wird: Viel wird davon abhängen, ob Löw dem deutschen Fußball noch mal etwas geben kann. Ob er sich noch mal zur Turnierform strafft, ob er pragmatische (nicht: dogmatische) Lösungen findet - und ob er sich noch mal an seine Anfänge als klassischer Fußballlehrer erinnert. Als solcher wird er maximal gefordert sein, wenn es darum geht, Offensive und Defensive zu einem harmonischen Ganzen zusammen zu coachen.

Allerdings wird sich Löw auf seine alten Bundestrainertage noch an ein neues Muster gewöhnen müssen. Der Plan, sich über Trainingslager und Vorrunde allmählich in Turnierform zu spielen, dürfte kaum aufgehen: Der verrückte Corona-Terminkalender wird kein so ausgedehntes Üben erlauben wie sonst, und in der Vorrunde warten gleich Frankreich und Portugal. Umso mehr wird Löw den Spielort München nutzen und darauf vertrauen müssen, was in dieser Kabine sonst so gelehrt wird: Bayern-Trainer Hansi Flick wird ihm freundlicherweise ein funktionstüchtiges Bayern-Modul überlassen (Neuer, Süle, Kimmich, Goretzka, Sané, Gnabry), das Löw dann in sein DFB-Konstrukt einfügen darf. Und wer weiß, vielleicht steht in der Heimkabine dann plötzlich auch noch Thomas Müller.

© SZ vom 17.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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