Kritik:Madonna? Madonna.

Melanie Demers

Trash-Ikone auf dem Laufsteg: Die Performerin Mélanie Demers lässt fast alle Hüllen fallen.

(Foto: Christian Brault; Marie Claire D)

Departures: Mélanie Demers mit "Icône Pop" im Schwere Reiter

Von Eva-Elisabeth Fischer

"Mal bist du der Hund, mal bist du der Baum. Jetzt grad sind wir der Baum," sagt Walter Heun mit der ihm eigenen Gelassenheit. Er meint damit das Minus, das heuer seine Joint Adventures einfahren würden. Corona-bedingt, was sonst. Mit den Jahren hat Heun unter der Marke Joint Adventures ein internationales Netzwerk geschaffen, das sämtliche Aspekte der Förderung und Präsentation von zeitgenössischem Tanz abdeckt. Die derzeitige Gastspielreihe aus Kanada unter dem Titel "Departures" gehört dazu. Derentwegen muss sich Heun aber trotz der drastisch minimierten Zuschauerzahlen keine grauen Haare wachsen lassen. Denn die Gastspiele laufen unter Access to Dance, dem Programm zur Förderung und Stärkung des zeitgenössischen Tanzes in Bayern. Das bekommt Fördermittel von der Stadt und dem Freistaat. Hinzu kommt hier die großzügige Unterstützung Québecs an Geld und geldwerten Mitteln.

Vier von sechs Aufführungen sind bisher über die Bühne gegangen. Dabei konnte man sich wieder einmal davon überzeugen, dass die Kreativität in der im Wesentlichen auf Montreal konzentrierten Szene auch nach fast 40 Jahren nicht versiegt. Die Performerin und Choreografin Mélanie Demers ist auch schon seit zwölf Jahren zugange und wirkt dabei mädchenhaft jung. Sie präsentiert sich als Trash-, Pop- und Drama-Queen im Schwere Reiter mit ihrer vier Jahre alten, in Bassano del Grappa uraufgeführten "Icône Pop". 40 Zuschauer nehmen beidseitig entlang eines gedachten Laufstegs Platz. An einem Ende singt und spielt die Sängerin und Komponistin Mykalle Bieliski Schwebend-Betörendes. Am anderen Ende posiert Mélanie Demers als eine nicht unbedingt unberührte Jungfrau Maria im Türrahmen über einem Treppchen.

Sie trägt Heiligenschein, Sonnenbrille, Robe und Endlosgoldkette. Sie ruft und sucht nach jemandem, zischt schließlich, ein übergriffiges Muttertier, "come to Mama" und meldet damit schon die aufgefächerte Vielfalt von Frauenklischees zwischen der Gottesmutter Maria und der Popgöttin Beyoncé an, die sie durch einen Striptease entlarven wird. Sie legt die Kette ab - eine klirrende Fessel, während das wundervoll drapierte Kleid als blitzblaue Baumarktplane zu Boden trudelt. Darunter ein Billigslip mit rot-weißem Zackenmuster und der mit Klebeband fixierte Plastikbusen. Letzterer passt, viel zu hell, gar nicht zu Mélanie Demers' dunkler Haut, die sie hier, exzentrisch zuckend und unter konvulsivischem Lallen als heidnische schwarze Madonna in einem ununterbrochenen, im Grunde herzerweichend keuschem "Als Ob" ausstellt. Das Ganze hält einen 35 kurzweilige Minuten bei der Stange. Faszinierend.

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