Igor Levit:Viel Schelte und wenig Verständnis

Lesezeit: 6 min

Eine Polemik über den jüdischen Künstler, die Kritik an seiner Musik mit Kritik an seinen politischen Kommentaren in den sozialen Medien vermengte, polarisiert die Leserschaft. Die meisten finden den Artikel unerhört, wenige äußern sich positiv.

Pianist mit Auszeichnung: Igor Levit mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik. (Foto: Getty Images)

Zu " Igor Levit ist müde" vom 16. Oktober:

Levit soll sich weiter engagieren

Den Artikel von Helmut Mauró habe ich zweimal lesen müssen. Nach dem ersten Mal war ich ratlos, weil ich mir nicht sicher war, ob ich diese Meinungsäußerung als - nicht von mir geteilte - Musikkritik auffassen soll. Nach dem zweitem Lesen war ich nur noch wütend, denn dieser Text wählt zwar einen musikkritischen Einstieg, dies scheint aber nur eine Kaschierung dafür zu sein, dass der Verfasser eine subjektive Kommentierung der Person von Igor Levit vornimmt, die auf dessen politische Meinung abzielt und nur einen vordergründigen Anlass, nämlich einen Vergleich mit den pianistischen Fähigkeiten von Daniil Trifonov, sucht.

Man kann zwar ahnen, welche politischen Motive der Autor verfolgt (Es ist wohl kein Zufall, aus welcher politischen Ecke hier Beifall gezollt wird), aber es ist für mich rätselhaft, warum die SZ, deren Feuilleton ich sonst sehr schätze, dem Autor hierfür auch noch ein Forum bietet. Ich kann Igor Levit nur ermuntern, sein Engagement außerhalb des Konzertsaales fortzusetzen.

Lothar Steinborn-Reetz, Mainz

Haarsträubende Vorwürfe

Ob Igor Levit "in einer völlig anderen Liga" als Daniil Trifonov spielt und Levits Beethoven-Sonaten "eher unerheblich" sind - dazu dürfte es verschiedene Meinungen geben. Levit aber spöttisch dafür zu tadeln, dass er "Tag für Tag die rechten Feinde beschwört", ist (um das Mindeste zu sagen) taktlos. Dieser Pianist aus russisch-jüdischer Familie, aufgewachsen und ausgebildet in Deutschland, muss nicht nur auf die Bühne der Hamburger Elbphilharmonie von vier Leibwächtern geleitet werden, weil er Todesdrohungen (!) erhalten hat. Dass ihn antisemitische Gewalttaten wie die vor einer Hamburger Synagoge nicht schweigen lassen, ist nur zu begrüßen! So etwas mit "Opferanspruchsideologie" in Verbindung zu bringen und Levit "sein ceterum censeo, die AfD sei eine Nazi-Partei", vorzuwerfen, ist haarsträubend.

Dr. phil. Matthias Wegner, Hamburg

Masche zur Selbstdarstellung

Herr Mauró spricht mir mit dem Levit-Artikel so aus dem Herzen! Dieser Pianist wurde von interessierten politischen Kreisen, hoch bis zum Bundespräsidenten, zum "Gott erkoren", mit keinerlei Berechtigung. Inzwischen sind sein Twittern und seine Selbstdarstellung zu einer Masche geworden, die ihn von der Kunst längst entfernt hat. Aber er scheint der "Medienliebling" zu sein, dank "besonderer" Unterstützung.

Evelyn Hecht-Galinski, Malsburg-Marzell

Verunglimpfung eines Künstlers

Der Artikel von Helmut Mauro ist weder eine Musikkritik noch eine Kritik der politischen Aktivität der Person Igor Levits, er ist nichts mehr als die Verunglimpfung eines anerkannten Künstlers. Die angebliche Musikkritik beschränkt sich auf die dreiste Aussage, Trifonov spiele "in einer völlig anderen Liga". Diese Verurteilung wird von anderen Musikkritikern überhaupt nicht geteilt. Zudem bleibt der Autor in seiner Kritik am Musiker Levit sehr vage. (Er verfüge nicht über das perfekte Legato Trifonovs, seine Beethoven-Klaviersonaten seien eher unerheblich). Igor Levit hat mit seinen abendlichen Hauskonzerten eine breite Schicht der Bevölkerung in schwierigen Zeiten erreicht und viele Menschen, auch durch seine klugen Einführungen, erstmals mit der klassischen Musik vertraut gemacht. Dies ist ein Verdienst, von dem ein Musikkritiker nicht einmal träumen kann.

Ganz schlimm und unerträglich wird der Artikel dann in seinem Hauptteil, der Kritik an den politischen Aktivitäten Levits. Mauró übergeht vollkommen, dass Levit wegen seiner berechtigten Kritik an faschistischen und antisemitischen Tendenzen selbst Ziel von rechtsextremem Hass geworden ist und sich dagegen zu Recht wehrt. Dies als "Opferanspruchsideologie" zu bezeichnen, verwechselt Opfer und Täter und ist schlichtweg inakzeptabel.

Mauró begibt sich hier auf das Niveau von Alice Weidel, die auf ähnliche Weise Levits Aktivitäten verurteilt. Nach Maurós Ansicht dürfen sich Künstler nicht politisch äußern und gegen Angriffe wehren. Auch Daniel Barenboim wird deswegen in einem Halbsatz abgekanzelt. Dass Levit wegen seiner Hauskonzerte und politischen Aktivitäten auch noch das Bundesverdienstkreuz erhält, ist seiner Ansicht nach die Höhe und bringt ihn dazu, dem "um Künstlerkontakte stets bemühten Bundespräsidenten" auch noch eins auszuwischen. Tiefer als dieser von der SZ-Redaktion entschuldigend als "Polemik" bezeichnete Artikel kann es kaum noch gehen. Es ist schlicht die unqualifizierte und billige Herabsetzung eines herausragenden Pianisten und politisch aktiven Mitbürgers.

Johann Schoo, Luxemburg

Grauzone für Antisemitismus

Die privaten und politischen Scharmützel des Herrn Mauró unter dem Deckmantel "Musikkritik". Und das in der SZ. CD-Einspielungen und Pianisten gegeneinander auszuspielen, Daniil Trifonov in diesem üblen Spiel so schäbig zu benutzen, das ist widerlich, billig und absolut unprofessionell. Als geradezu alarmierend erlebe ich die Äußerungen von Herrn Mauró zur Thematik Antisemitismus. Dass solche Grauzonen in der SZ möglich sind, ist erschreckend.

Renate Burkhardt, Rossdorf

Jeder darf sich politisch äußern

Nach der Lektüre des Artikels bleibt die Frage: Steht es einem Musikkritiker zu, jemandem, in diesem Fall einem mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Pianisten, das Recht abzusprechen, sich politisch zu äußern und sich gegen widerliche Anfeindungen und Bedrohungen zur Wehr zu setzen? Igor Levit sollte als Bürger doch dasselbe Recht haben, seine Meinung frei zu äußern, wie jeder andere Bürger, ob in einer Talkshow oder auf Twitter!

Dass Herrn Mauró das Legatospiel des Pianisten Levit nicht gefällt und er Interpretationen von Trifonov vorzieht, sei ihm natürlich zugestanden. Nicht jedoch, die Art und Weise zu kritisieren, wie sich ein Künstler als Staatsbürger äußert, und dies mit dessen musikalischen Leistungen zu vermischen. Man merkt die Absicht und fragt sich, was hinter dieser Bosheit steckt! Es ist widerlich! Das hat mit Musikkritik nichts zu tun. Die Art und Weise, wie hier versucht wird, die Leistung und Auszeichnungen eines Künstlers abzuwerten, ist für Herrn Mauró beschämend. Aber "wer oft und laut schreit, wird wahrgenommen", wie Herr Mauró selbst schreibt, leider auch er als Musikkritiker.

Helmut Fietzek, Dießen am Ammersee

Hier ist die Grenze überschritten

Der Artikel ist völlig indiskutabel und eines Blattes wie der SZ schlicht unwürdig. Selbstverständlich dürfen Künstler kritisiert werden, aber wenn letztlich sogar deren Verhalten außerhalb von Theater und Konzertsaal im Feuilleton thematisiert wird, dazu mit völlig unbelegten Begrifflichkeiten wie "Opferanspruchsideologie", dann scheint die Grenze nicht nur des guten Geschmacks- und Urteilsvermögens, welche der Autor mit erheblicher - nein: mit überheblicher - Lautstärke und eben doch zu Unrecht für sich beansprucht, sondern auch die Grenze des Hinnehmbaren überschritten.

Achim Lotz, Hamburg

Verdiente Anerkennung

Schon mit der Überschrift des Artikels wird der Eindruck erweckt, der Künstler Levit sei am Ende; dabei sind es die seit Langem zunehmenden antisemistischen Untaten und Verbrechen, die ihn zermürbt haben dürften. Igor Levit hat gerade jetzt in der Corona-Pandemie mit öffentlichen Auftritten einen herausragenden Beitrag zur Wiederbelebung musikalischer Aufführungen geleistet und hat nicht zuletzt dafür öffentliche Anerkennung verdient. Der Schmähartikel von Herrn Mauró disqualifiziert sich selbst.

Dr. Birgit Fennerund Dr. Peter Triefenbach, Berlin

Sein Marketing ist entlarvt

Mit dem Beitrag hat Herr Mauró das ebenso schlichte wie höchst erfolgreiche Marketingkonzept von Igor Levit entschlüsselt. Mit dem Kampf gegen rechts und gegen Nazis lässt sich im Berliner Juste Milieu und anderswo gefahrlos und gratis eine gut monetarisierbare Gefolgschaft aufbauen. Das ist legitim und zeitgemäß, aber alles andere als mutig. Wer in der überwältigenden Mehrheit unseres Landes ist nicht gegen Nazis und gegen rassistisch motivierte Verbrechen? Levit weiß sich bei seinem vermeintlich furchtlosen Kampf auf Twitter eingebettet im lauwarmen Mainstream unserer Zeit zu inszenieren.

Selbstgefällig feiert man sich dort gegenseitig ab, während gleichzeitig jeder Abweichler im Stile totalitärer Cancel-Culture-Kontrolleure gnadenlos in die Schranken gewiesen wird. Unsere einst demokratische Debattenkultur, geprägt von Anstand und Respekt gegenüber der Meinung Andersdenkender, gelangt hierbei gerade unter die Räder. Ein Blick bei Twitter auf die Beiträge zu diesem Artikel zeigt anschaulich, wie sich Stimmung und Sprache gewandelt haben.

Antisemitismus wird Mauró unterstellt, der - sorgfältiges Lesen des Beitrages vorausgesetzt - weder konkret belegt wird, noch bei diesem Artikel belegbar ist, aber als Keule immer gut geeignet ist, den renommierten Autor des Beitrages zu vernichten. Moralisch und materiell. Das ist perfide, taugt aber heutzutage als probates Mittel, für Ordnung und Ruhe im Saal zu sorgen. Aber wenn wir nun schon beim Thema sind: Bei vielen der unerschrockenen Kämpfer "gegen rechts" fällt auf, dass sie in Fragen des islamischen Antisemitismus und des Antisemitismus des linken Milieus sehr schweigsam sind, und das, obwohl er täglich vor unseren Augen praktiziert wird. Da verlässt sie dann der Mut. Aus Müdigkeit oder aus ideologischen Gründen?

Matthias Düwel, Berg/Starnberg

Jüdisches Leben gefährden?

Der Artikel über Igor Levit hat mich tief getroffen. Als Nachkomme von im Dritten Reich Verfolgten fühlt es sich bedrohlich an, wenn in der SZ (!) die öffentliche Positionierung eines Juden derart kritisiert wird. Gerade in einer Zeit, in der Antisemiten im Deutschen Bundestag sitzen und massive neonazistische Umtriebe in den Sicherheitsbehörden festzustellen sind, einen jüdischen Künstler und Public intellectual dermaßen in den Senkel zu stellen, ja ihm sein Dasein als solcher abzusprechen, ist ungeheuerlich. Will die SZ jüdisches Leben in Deutschland marginalisieren, mundtot machen, gefährden?

Sandro Simon, Köln

Fiese Giftspritze

Der Autor des Textes versucht überaus fadenscheinig vorzutäuschen, dass es ihm um echte Musikkritik geht, indem er Igor Levit mit Daniil Trifonov vergleicht (zweifellos auch ein phänomenaler Pianist!). Das tut er allerdings auf dem Niveau von Kindergartenkindern ("Mein Papa ist viiiiel toller als deiner!"), also: Trifonovs Legato ist (angeblich) viiiiel toller als das von Igor Levit. Ach ja, wirklich? Damit versucht Herr Mauró meines Erachtens nur die eigentliche niederträchtige Intention seines Textes zu verschleiern: nämlich Gift zu verspritzen gegen den jüdischen Künstler Levit, der sich lautstark und eloquent gegen Antisemitismus und Rassismus zur Wehr setzt. Als ob ein Pianist nur Klavier spielen dürfte und ansonsten gefälligst den Mund zu halten habe ... So ein Stück hat in der SZ nichts verloren. Ich empfehle jedem, der sich wie ich über diese "Musikkritik" geärgert hat, die Replik von Bernhard Neuhoff auf BR-online.

Winfried Off, Gablingen

© SZ vom 21.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: