Ausmisten:Ab in die Kiste

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Seit Beginn der Pandemie wird viel geräumt und sortiert. Wie das am besten geht, erklärt eine neue Sendung auf Netflix. Unerlässliche Helfer: Schachteln, Kartons und Boxen.

Von Julia Rothhaas

Es hat sich viel verändert im vergangenen halben Jahr. Ein Beispiel, wenn auch nur eine klitzekleine Folge der Pandemie: die Kisten, die nun überall vermehrt vor den Haustüren stehen, versehen mit dem Schild "Zu verschenken". Im Pappkarton findet sich all das, was man nicht mehr braucht oder nicht mehr sehen kann, gefolgt von dem angenehmen Gedanken, dass sich vielleicht ein anderer darüber freut. Im Grunde aber, da darf man sich nichts vormachen, erspart es einem selbst vor allem den Weg zum Wertstoffhof.

Deutschland mistet aus, schließlich verbringen wir dieses Jahr mehr Zeit denn je in unserem Zuhause. Was auch bedeutet, dass die Schmuddelecken, die sich bis dahin gut ignorieren ließen, sichtbarer geworden sind. Um wenigstens etwas Kontrolle in dem 2020-Chaos zu bewahren, wird seit März geordnet, sortiert, geräumt. Der wichtigste Helfer: die Kiste. Schließlich muss der Kram ja irgendwo hin, entweder vor die Haustür - oder aber zurück in den Schrank.

Ob Kunststoffkanister aus dem Baumarkt oder mit Stoff bezogene Box vom Designer ist eigentlich egal, Hauptsache die Kiste schluckt brav Winterjacken, Kinderfotos, Steuerunterlagen, Handykabel, Stecknadeln und Ohrenstäbchen. In Sachen Konsum mag sich dieses Land seit März zurückhaltend geben, für den Kauf von Behältern aus Plastik, Pappe, Rattan und Metall gilt dies wohl eher nicht.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Schließlich ist die Kiste eine perfekte Gefährtin. Man kann ihr alles anvertrauen, sie behält es gewiss für sich und ist doch offen für unsere Neugier, wenn wir mal wieder das Bedürfnis haben, hinein zu gucken. Zudem ist sie geduldig: Das alte löchrige Sweatshirt kann noch nicht weg? Vielleicht machen wir doch mal wieder einen Dia-Abend? Kein Problem, beruhigt sie, pack alles in mich rein, ich halte dicht. Aus den Augen, aus dem Sinn, und schon sieht jedes Chaos ordentlich aus.

Nun hat die Kiste sogar eine eigene Show bekommen, in der sie fast heilig gesprochen wird. Seit Anfang September läuft auf Netflix "The Home Edit: Jetzt wird aufgeräumt". Der britische Guardian fasst den Erfolg der Serie so zusammen: "Mehr 2020 passt in diesem Jahr nicht in eine Sendung".

Das Prinzip ist schnell erklärt. Joanna Teplin und Clea Shearer aus Nashville/Tennessee sortieren den Hausrat von Menschen. Das Aufräumen nehmen sie so ernst, dass man glauben könnte, es gehe nicht darum, den geeigneten Platz für Handtaschen zu finden, sondern einen Impfstoff gegen das Corona-Virus. Die beiden Frauen begutachten in den acht Folgen der ersten Staffel Vorratsschrank, Garage oder Kinderzimmer und sortieren dann alles aufs Penibelste. Nichts kommt einfach so zurück in die Schublade, sondern je nach Produktgruppe zunächst in eine durchsichtige Kiste aus Kunststoff. Das soll dazu animieren, auf lange Sicht Ordnung zu halten. Es klingt banal und ist es auch: Stifte kommen in die Stiftebox. Haargummis in die Haargummibox. Socken in die Sockenbox. Selbst die Haferflocken müssen aus der Verpackung in einen Schuber für Haferflocken. Darüberhinaus wird alles nach Farben sortiert: Bücher, Kleider, Paprika. Das ist wichtig, schließlich sind die beiden Frauen auch auf Instagram vertreten. Und mehr als vier Millionen Follower schauen ihnen zu.

Gut an der Kiste: wegwerfen muss man nichts

Bereits vor der Sendung war "The Home Edit" ein gut gehendes Dienstleistungsunternehmen (Stundenlohn fürs Ausmisten von 185 US-Dollar an aufwärts). Teplin und Shearer haben mehrere Bestseller geschrieben und ein eigenes, inzwischen regelmäßig vergriffenes Kisten-Sortiment für den ultimativen US-Ordnungsmogul "The Container Store" entworfen. Doch für ihren großen Erfolg vor der Kamera dürften nun vor allem die Prominenten gesorgt haben, die sich von den beiden das Kammerl richten lassen. Kloé Kardashian brauchte Sortierhilfe bei ihren künstlichen Haarsträhnen und zahlreichen Kinderautos, Eva Longoria kam mit den T-Shirts ihres Sohnes nicht zurecht und Reese Witherspoon (die diese Sendung gleich auch produziert) wollte ihre Filmkleider nicht selbst in den Schrank hängen.

Neu ist die Vermarktung des kollektiven Ordnunghaltens allerdings nicht. Zunächst tauchte im Netz vor einigen Jahren das "Shelfie" auf, das Menschen reihenweise dazu animierte, ein Selfie ihrer perfekt arrangierten Kosmetikartikel oder der nach Farben sortierten Bücher im Regal zu machen. Dem folgte Marie Kondo mit eigener Sendung und Buch, die so rigoros ausmistete, dass alles in den Müll flog, was seinem Besitzer nicht wenigstens ein bisschen "joy" brachte. Im Gegensatz zu der Japanerin müssen die Kunden von "The Home Edit" nun aber gar nichts wegschmeißen, sondern einfach nur in eine Kiste packen. Dieses Prinzip dürfte denjenigen Zuschauern entgegenkommen, die sich seit Jahren erfolgreich gegen den radikalen Schritt zum Müllcontainer wehren.

Die Sendung ist nur wohl dosiert auszuhalten, weil jede Bewegung der Ausmisterinnen einhergeht mit lautem Gekreische, und man beizeiten "First World Problems" mit einem Messer in den Bildschirm kratzen will, wenn etwa hitzig darüber diskutiert wird, wie man Milchflaschen am besten in den Kühlschrank stellt. Doch zurück bleibt der Wunsch, auch sein eigenes Leben in Schachteln, Boxen und Kartons zu packen, damit sich das Chaos im Großen und Kleinen besser aushalten lässt. Als erstes wird eingelagert: Das Jahr 2020, das kommt in die Kiste ganz hinten im Schrank.

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