SZ-Kolumne "Alles Gute":Es werde Licht!

Alvin Ailey - American Dance Theater

Was beim Tanztheater längst möglich ist, gilt nun auch für das Büro daheim.

(Foto: Kay Nietfeld/picture alliance / dpa)

An diesem Wochenende ist wieder Zeitumstellung. Und es ist Corona. Zum Glück heißt das für manche auch Home-Office - und die Arbeitsatmosphäre endlich selbst bestimmen.

Von Martin Zips

Vor Corona, man muss sich das einmal vorstellen, gab es Menschen, die ihre Herbst-Winter-Depression mit einer Lichtdusche bekämpften. Mit einer Lichtdusche! Künstliche Helligkeit aus der Steckdose. Die Menschen machten das, weil sie es vor lauter Bürokram nicht geschafft hatten, ihre Tagesdosis an Licht irgendwo anders aufzutanken. Deshalb stellten sie sich so ein Leuchtgerät neben den Computer. 50 Zentimeter Abstand, 30 Minuten, 10 000 Lux - laut Bedienungsanleitung sollte das doch reichen, fürs kleine Glück. Leider sprangen sofort danach wieder die Billigneonröhren an im schlecht gelüfteten Büro. Da war die Depression groß. "Auch das kleinste Licht hat sein Atmosphärchen", heißt es bei Marie von Ebner-Eschenbach. Sie kannte offenbar die Leuchtstoffröhre noch nicht.

Dann, immer noch vor Corona, hatte man irgendwann die Idee, seine 10 000 Lux am Fahrrad einzusammeln. Morgens eine halbe Stunde auf dem Weg in die Arbeit, abends eine halbe Stunde zurück. So werde man das menschenverachtende Arbeitslicht für den Rest des Tages schon aushalten, glaubte man. Aber dann war plötzlich Zeitumstellung und morgens wurde es zwar früher hell, aber abends auch früher dunkel. Lustiger hat einen das auch nicht gemacht. "Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben", heißt es in Rilkes Gedicht vom "Herbsttag". Es ist einsam, im Nebel zu wandern.

Corona und Alltag
(Foto: Steffen Mackert)

An diesem Wochenende ist wieder Zeitumstellung. Und es ist Corona. Und fast überall Risikogebiet. Manche haben das Glück, Home-Office machen zu können. Zum ersten Mal in seinem Berufsleben hat man dann im zu Ende gehenden Jahr die Möglichkeit, sein Arbeitsatmosphärchen selbst zu bestimmen. Zum Beispiel, indem man seine Schreibtischlampe mal kurz da und dorthin dreht. Oder während einer Stoßlüftung die Nase maskenlos aus dem Fenster streckt, damit sie nicht mehr an Monitor oder Handy klebt. Ja, manche verlassen sogar gelegentlich das Haus! Und, interessant, am Ende des Tages haben sie selbst unter dem dauerverhangenen Münchner Herbsthimmel irgendwie den Eindruck, ihre 10 000 Lux doch noch bekommen zu haben.

Ist das Leben nicht herrlich, wenn man es mal nicht im fahlen Dauerschein der Büro-Leuchtstoffröhre verbringt? Für Maler wie William Turner oder Caspar David Friedrich wäre die der Tod gewesen. Kaltes, grelles Licht gehört in Gruselfilme, wie denen von Friedrich W. Murnau oder in die Kunstwerke von Bruce Nauman. Es gehört nach Las Vegas, auf den Times Square und den Piccadilly Circus. Der Mensch aber braucht sein kleines Atmosphärchen, möchte er nicht der Wehmut verfallen. So kann ihm selbst die Zeitumstellung, deren Abschaffung bedauerlicherweise selbst Jean-Claude Juncker nicht gelang, nicht das Geringste anhaben.

In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure wöchentlich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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