Parität:Lieber mit Merkel

Die Corona-Welt ist männlich, Deutschland entfernt sich wieder weiter vom Ziel paritätischer Teilhabe. Wer das ändern will, braucht die Unterstützung der Bundeskanzlerin.

Von Cerstin Gammelin

Den Richtern in Brandenburg ist zu danken. Sie haben mit ihrem Urteil gegen das Paritätsgesetz der Landesregierung einen hellen Spot auf ein bundesweites Problem gerichtet. Nahezu unbemerkt hat sich Deutschland in den vergangenen Monaten immer weiter von dem Ziel paritätischer Teilhabe entfernt. Die Corona-Welt wird, abgesehen von der Bundeskanzlerin, als männliche wahrgenommen. Frauen als Role Models? Fehlanzeige. Nur eine von fünf Fachleuten, die das Virus erklären, ist eine Frau. Dazu Ministerpräsidenten, Ökonomen. Auch die wichtigsten Krisenmanager der Regierung sind männlich, ebenso wie es die Nachfolge im Kanzleramt der Wahrscheinlichkeitsrechnung nach sein wird. Wie bei einer Einbahnstraße geht es nur in eine Richtung. Höchste Zeit, das zu stoppen.

Die USA oder Frankreich bauen gerade in der Krise vielfältigere Führungsteams auf, in Deutschland dagegen verabschieden sich Unternehmen wie Parteien von Frauen. Von den 671 Vorständen der größten Unternehmen sind nur 68 Frauen, also 10,1 Prozent, Tendenz sinkend. Die CDU, größte deutsche Volkspartei, schafft es nicht, eine Frau als Kandidatin für den Parteivorsitz aufzustellen. Die Ministerinnen in der Koalition erobern sich trotz so wichtiger Themen wie Bildung und Klima nicht die öffentliche Bühne. Frauen verschwinden systematisch aus der öffentlichen Wahrnehmung. Es rächt sich nun, dass zu wenige Frauen an der Spitze sind, weil sie sich nicht selbst rekrutieren können - wie ihre männlichen Kollegen.

Eine Frau im Vorstand oder im Kabinett kann keine Kultur ändern

Verfechter gleichberechtigter Teilhabe suchen deshalb nach Notlösungen - eine davon ist die gesetzlich vorgeschriebene Parität auf Wahllisten. Es ist unstrittig, dass solche Gesetze nicht der goldene Weg dahin sein können. Und wohl auch, dass es in Parteien selbstverständlich sein sollte, ihre Wählerinnen auch von Frauen repräsentieren zu lassen. Leider sieht die Wahrheit anders aus: 30 Prozent Frauen im Bundestag, 20 Prozent in der Unionsfraktion. Zwei Ministerpräsidentinnen, beide von der SPD. Auffällig ist, dass laute Proteste gegen den Rückfall in patriarchische Strukturen kaum wahrgenommen werden.

Selbst wenn sich erstmals altersübergreifend prominente Frauen von Maria Furtwängler bis Marie Nasemann verbünden, bleibt das Interesse aus. Wie stark die Beharrungskräfte sind, zeigt auch das Ringen um gesetzliche Regeln in Berlin. Im Bundestag hatten viele Frauen und einige Männer versucht, Parität mit der Wahlrechtsreform festzuschreiben. Herausgekommen ist eine Arbeitsgruppe. Es werden weiter Bundestagswahlen stattfinden, ohne dass dafür gesorgt ist, dass sich mehr Frauen engagieren.

In der Wirtschaft sieht es nicht besser aus. Dort, wo in Aufsichtsräten eine feste Quote vorgeschrieben ist, arbeiten mehr Frauen. Wo es keine Quote gibt, dagegen kaum. Schafft es eine Frau in den Vorstand, ist sie oft die einzige. Geht sie wieder, rollen Krokodilstränen, sie habe es nicht geschafft. Das tatsächliche Problem aber ist, dass eine Frau im Vorstand keine Kultur ändern kann. Familienministerin Franziska Giffey hat deshalb die Quote für Aufsichtsräte erweitern und eine für Vorstände einführen wollen. Inzwischen erwägt die Koalition eine Art Tauschgeschäft: Die SPD kriegt die Quote, aber nur für öffentliche Betriebe, wenn die Union einige Steuererleichterungen bekommt. So wird ein Anliegen, das die Bundeskanzlerin als logisch bezeichnet, nämlich Parität zu schaffen, wie ein Teppich auf dem Basar hin und her gereicht.

Wie wenig Union und SPD bislang gleichberechtigte Teilhabe gefördert haben, verrät ein Blick in die Chefetagen der Bundesbeteiligungen und Körperschaften öffentlichen Rechts, von der Post über die Sparkassen bis zur Bahn. Fünfzehn Prozent der Chefposten sind mit Frauen besetzt. Das ist ein Zeugnis von Nichtsstun. Es mutet an wie ein Rückfall ins vergangene Jahrhundert, wenn trotzdem die Vorstände des Staatsbetriebes Bahn an die Bundesregierung schreiben, dass mehr Frauen in Führungsgremien der Bahn einen Wettbewerbsnachteil bescheren würden. Die Frau als Problem, geht es eigentlich noch? Kaum besser ist allerdings, wenn CDU-Politiker wie Friedrich Merz meinen, dass es gar kein großes Problem mit Frauen gebe. Schließlich habe Deutschland seit 15 Jahren eine Kanzlerin.

So kann man es sehen, wenn man ein Auge zukneift. Benutzt man beide, sieht man, dass sich an gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Strukturen wenig geändert hat. Ehegattensplitting, Mitverdienen, unzuverlässige Ganztagsschulen, zu wenige Kitas, unbezahlte Care-Arbeit - fast alles ist wie früher, als Merz noch im Bundestag war. Es besteht die Gefahr, dass erst, wenn Angela Merkel nicht mehr Kanzlerin ist, auffällt, dass sie ein Solitär war in einer männlich geprägten Welt. Dann aber ist es zu spät. Wer Parität will und eine Quote, muss das jetzt durchsetzen. Mit Angela Merkel.

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