Geldanlage:Immer mit der Ruhe

Geldanlage: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Auf dem Konto gibt es nur noch Mickerzinsen, doch vor Aktien haben viele Sparer Angst. Den Börsen-Bammel überwinden? Das geht schon. Sechs einfache Tricks.

Von Victor Gojdka

Der Blick auf das Girokonto macht vielen Sparern keine Freude: Am Ende stehen auf der Abrechnung bloß noch Magerzinsen. Aus den Augenwinkeln verfolgen viele Bürger deswegen inzwischen die Aktienbörsen und fragen sich, ob sie nicht einsteigen sollten. Doch die Lage scheint mitten in der Corona-Krise wackelig, vielen potenziellen Anlegern fehlt der Mut. Die SZ hat deshalb Tipps zusammengestellt, wie Neuanleger Mut fassen können - ohne übermütig zu werden.

Erst mal nicht zu viel wagen

Wer 5000 Euro oder 50 000 Euro auf einmal investieren will, zaudert oft: Zu wackelig scheint die aktuelle Börsenlage, zu unklar der Zeitpunkt - zu groß die Verlustgefahr, wenn es an der Börse wegen Corona noch einmal rumpeln sollte. Wer große Summen auf einmal am Parkett anlegen will, braucht also eine gehörige Portion Mut.

Viele Sparer wissen aber gar nicht, dass man für ein Börseninvestment nicht zwingend einen Riesenbetrag zur Bank bringen muss. Aktien-Sparpläne lassen sich schon ab 25 oder 50 Euro im Monat mit Geld befüllen. "Und solche Kleinbeträge zu sparen, kostet fast überhaupt keinen Mut", sagt Finanzprofessor Manfred Weber von der Universität Mannheim.

Und sogar kleine Beträge können große Kraft entfalten: Wer sich den täglichen Latte Macchiato auf dem Weg zur Arbeit für 3,50 Euro lieber spart und das Geld stattdessen jeden Monat gesammelt in einen Börsen-Weltindex anlegt, der hätte sich in den vergangenen 20 Jahren die stattliche Summe von fast 40 000 Euro ersparen können. Auf den Arbeitskaffee am Morgen zu verzichten? Kostet gar nicht so viel Mut.

Scheibchenweise investieren

Wenn Sparer stattlichere Summen an der Börse anlegen wollen, zeigt sich oft ein erstaunliches Paradox: Wenn die Kurse schon weit nach oben gelaufen sind, investieren sie nicht - weil ihnen die Aktien zu teuer erscheinen. Sind die Kurse wiederum gerade gefallen, fürchten Anleger, dass es weiter bergab geht. Und weil sie weder bei tiefen noch bei hohen Kursen den Mut fassen, investieren viele Sparer nie.

Dabei stehen sie sich selbst im Weg: Denn niemand verlangt, dass Anleger alles auf einmal investieren. Statt einen großen Batzen Geld auf einen Schlag in Aktien zu schieben, können Sparer genauso gut scheibchenweise investieren. Wer zum Beispiel 25 000 Euro anlegen will, könnte drei Jahre lang alle drei Monate jeweils nur rund 2000 Euro investieren.

So kaufen Anleger gefühlt mal zu hohen und mal zu niedrigen Kursen - und haben sich zumindest psychologisch ausgetrickst. Steigen die Börsen direkt nach dem Investment, hat man alles richtig gemacht. "Fallen die Börsen, kann man aber auch zufrieden sein", sagt Finanzprofessor Hartmut Walz von der Hochschule Ludwigshafen. Denn Anleger kaufen ihre Aktien dann billig - gewissermaßen im Sonderangebot.

Mathematiker haben zwar berechnet, dass es historisch im Schnitt besser war, alles auf einmal zu investieren. Das ist kalkulatorisch richtig, doch vielen Anlegern fehlt dazu schlicht der Mut. Bevor man sich also nie traut, sollten Sparer lieber mit der Salamitaktik an die Börse.

Demut statt Übermut

Viele Börsenfilme haben ein unvorteilhaftes Bild verfestigt: Anleger? Das sind gewissenlose Spekulanten, die das Börsenparkett als Casino verstehen. Sich als Privatanleger unter die Fondsgranden zu begeben, erfordert in dieser Lesart einen ordentlichen Schlag Mut. Doch genau mit dieser weit verbreiteten Haltung sitzen Sparer einem teurem Irrtum auf: Seriöses Investieren an der Börse hat mit Zockerei und Übermut nichts zu tun - sondern im Gegenteil viel mit Planung und Demut.

Statt nur eine Handvoll Aktien auszuwählen und auf eine Kursrakete zu hoffen, sollten Privatanleger bei ihren Investments lieber auf eine vermeintlich langweiligere Mittelmaß-Methode setzen. Der Trick ist ganz einfach: Mit speziellen Finanzpapieren (ETF) können Sparer Welt-Börsenindizes wie dem MSCI World oder dem FTSE All World folgen. Diese Aktienkörbe umfassen oft knapp 2000 Unternehmen aus rund 30 Ländern. "Statt also die Nadel im Heuhaufen zu suchen, sollten Anleger lieber gleich den ganzen Heuhaufen kaufen", sagt Manfred Weber. Im Schnitt haben Anleger mit solchen Weltindizes in der Vergangenheit etwa sieben Prozent Rendite eingefahren - und zwar pro Jahr. Das ist keine astronomische Rendite, aber deutlich mehr als das Sparbuch bringt.

Für ein solches Mittelmaß-Investment braucht es weniger Mut als beim Wetten auf Einzeltitel. "Dass alle Unternehmen im Weltindex gleichzeitig pleite gehen, ist völlig undenkbar", sagt Finanzprofessor Weber. Und ob bei Unternehmen A der Manager wechselt oder Unternehmen B gerade in einen Skandal verstrickt ist, hat auf Weltbörsen-Indizes kaum Auswirkungen. Wer also mehr als 15 Jahre Zeit hat und zwischenzeitliche Verluste aussitzen kann, der wurde in der Vergangenheit bei Weltbörsen-Indizes unter dem Strich immer mit einer positiven Rendite belohnt.

Das Kuriose: Am Ende stehen Privatanleger mit dieser Mittelmaß-Strategie sogar besser da als die Finanzprofis mit ihren Fonds, so offenbaren es Rechnungen der Rating-Agentur Morningstar: Nur fünf Prozent der weltweit investierenden Aktienfonds haben es zwischen 2010 und 2020 geschafft, zu überleben und vergleichbare Welt-Indizes zu schlagen.

Sich an das Risiko gewöhnen

Ausgerechnet eine Schocktherapie kann für Anlege-Angsthasen sinnvoll sein. Denn Psychologen konstatieren immer wieder: Je länger Menschen einem Risiko ausgesetzt sind und je mehr sie sich damit beschäftigen, desto besser können sie damit umgehen. Sparer, die Angst vor der Börse haben, sollten daher vor ihrer Anlage den schlimmsten aller Fälle durchspielen - um sich moralisch zu rüsten.

Denn an der Börse kann es immer wieder zu Crashs kommen, allein in den vergangenen 20 Jahren stürzten die Börsen dreimal dramatisch: nach der Internetblase 2000, im Zuge der Finanzkrise 2007/08 - und in diesem Frühjahr noch einmal im Zuge der Corona-Pandemie.

Wer die Daten der vergangenen 33 Jahre für den Weltbörsen-Index MSCI World analysiert, kann sein historisches Verlustrisiko nüchtern abschätzen: Wenn Anleger ihr Geld zum ungünstigsten Zeitpunkt im Oktober 2000 in den Weltindex schoben, waren bis 2003 rund 53 Prozent ihres Investments verpufft. Bis die Sparer wieder auf null heraus waren, dauerte es bis Oktober 2013 - im schlimmsten Fall lagen Anleger mit ihrem Investment also 13 Jahre lang unter Wasser.

Das mag dramatisch klingen, relativiert sich aber, wenn Sparer genau darüber nachdenken. Wer nämlich länger als 13 Jahre investiert blieb, hat mit dem Welt-Index in der Vergangenheit nie einen Verlust gemacht. "Wer also lange Zeit hat, braucht weniger Mut", sagt Hartmut Walz. Zumal die meisten Anleger ja nicht all ihr Geld in Aktien investieren, sondern bloß einen Teil. Wer nur 60 Prozent in den Weltindex schob und den Rest in einem sichereren Staatsanleiheindex in Euro parkte, machte im schlimmsten Fall 28 Prozent Verlust und lag maximal 5,5 Jahre unter Wasser - brauchte also weniger Mut.

Auf das Verhältnis achten

Wer die Börse aufgrund ihrer Risiken scheut, kann das finanzielle Verlustrisiko auch mal ins Verhältnis setzen - mit überraschenden Erkenntnissen. Wer nämlich nicht an der Börse investiert, könnte genauso gut verweigern, arbeiten zu gehen. Was auf den ersten Blick absurd klingt, wird mit Blick auf Zahlen der Versicherungswirtschaft verständlich: Im Laufe des Berufslebens wird nämlich jeder Vierte zumindest vorübergehend berufsunfähig. Im Schnitt trifft es Betroffenen bereits im Alter von 44 Jahren, dennoch haben nur wenige Deutsche eine Berufsunfähigkeitsversicherung. "Das wirkliche Lebensrisiko ist die Gesundheit, nicht so sehr das Finanzrisiko", sagt Finanzprofessor Walz.

Auch ein zweiter Vergleich kann Sparern die Augen öffnen: Denn vermeintlich grundsolide Sparbücher entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Risiko-Hotspots. In der Tat können auf dem Sparbuch keine Kurscrashs das Geld in Luft auflösen, jedoch nagen die steigenden Preise am Vermögen. Wer heute 50 000 Euro auf dem Sparkonto parkt, kann damit in einigen Jahren weniger kaufen - weil Lebensmittel und Mieten tendenziell teurer werden. Auch wenn die Preise pro Jahr bloß um ein Prozent steigen sollten, wäre der Effekt langfristig dramatisch: Wenn das Geld 30 Jahre auf dem Sparbuch schlummert, wäre es am Ende 25 Prozent weniger wert - ein schleichendes Risiko, das viele nicht bemerken.

Nicht täglich auf die Börsenkurse schauen

Wer zu viel Angst vor schwankenden Kursen hat, sollte auf Smartphone oder Rechner nicht zu oft das eigene Depot checken. Wer täglich Kurse prüft, wird dabei immer wieder auch Verluste rot aufschimmern sehen. Das Problem: "Verluste spüren Sparer im Hirn doppelt so intensiv wie Gewinne", sagt Martin Weber. Und das entmutigt auf Dauer.

Wer sich über längere Zeit Tag für Tag mit der Kurzzeitbilanz der Börsen konfrontiert, dürfte die langfristige Verlustwahrscheinlichkeit deswegen überschätzen. "Ihr eigenes Gehirn trickst die Sparer aus", sagt Hartmut Walz.

Eine repräsentative Auswertung der Frankfurter Goethe-Universität zeigt eindrücklich: Anleger fokussieren sich zu sehr auf die Tagesbilanzen und schätzen deswegen die langfristigen Chancen falsch ein. Die Wahrscheinlichkeit mit einer Investition in den deutschen Börsen-Leitindex Dax nach zehn Jahren im Minus zu liegen, lag laut Studie historisch bei knapp fünf Prozent - im Schnitt schätzten die Sparer diesen Wert jedoch auf knapp 30 Prozent. Wahrscheinlich, weil sie sich vom täglichen Auf und Ab kirre machen lassen.

Anleger sollten sich also vor Augen halten, dass die Zeit an der Börse ihr Freund ist: Kurzfristig kann das Auf und Ab am Parkett durchaus zu Verlusten führen, doch langfristig blieb im historischen Schnitt oft eine gute Rendite. Und mal ehrlich: Jeden Tag die Börse zu beobachten, ist ja auch ziemlich anstrengend.

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