EU-Haushalt:Die Front bröckelt

Das EU-Parlament diskutiert mit den Mitgliedstaaten über Haushalt und Corona-Topf. Die Gespräche ziehen sich, es drohen Verzögerungen - und nun fallen wichtige Abgeordnete ihrem Chefverhandler in den Rücken.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Brief an den "Lieben Herrn van Overtveldt" hält sich nicht mit Höflichkeiten auf: "Wir sind irritiert", schreiben die Autoren direkt zu Beginn, und zwar darüber, wie Johan van Overtveldt, der Vorsitzende des Haushaltsauschusses im Europaparlament, mit den EU-Mitgliedstaaten über den Brüsseler Etat und den Corona-Hilfstopf verhandle. Absender sind Daniel Caspary und Angelika Niebler, die Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, sowie Markus Pieper, ihr parlamentarischer Geschäftsführer. Der Brief liegt der Süddeutschen Zeitung vor; mit ihm wendet sich eine wichtige Gruppierung innerhalb des Parlaments gegen ihren eigenen Chefverhandler - das dürfte seine Position bei den Gesprächen mit den Staaten schwächen.

Hier steht an diesem Mittwochabend die nächste Runde an: Der Belgier van Overtveldt, der im Parlament einer konservativeren Fraktion angehört als die CDU/CSU-Kollegen, und fünf weitere Abgeordnete treffen wieder den deutschen EU-Botschafter Michael Clauß. Da Deutschland im Juli die rotierende Ratspräsidentschaft übernommen hat, führt der Diplomat die Verhandlungen für alle 27 Länder. Bevor der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR), der grobe EU-Etat für die Jahre bis 2027, und der Corona-Hilfstopf in Kraft treten können, muss das Parlament zustimmen. Beim historischen Gipfel im Juli einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf einen MFR von 1074 Milliarden Euro plus 750 Milliarden Euro für den Wiederaufbaufonds, also den Corona-Topf. Doch die Abgeordneten verlangen mehr Geld und Nachbesserungen bei den Regeln - und die Gespräche zwischen Clauß und van Overtveldt ziehen sich nun schon seit zwei Monaten hin.

Lieber schärfere Regeln als neue Milliarden

Schwierigster Streitpunkt ist die Forderung der Parlamentarier, wichtige EU-Programme wie Erasmus zum Studentenaustausch um 39 Milliarden Euro aufzustocken. Um das zu erreichen, will van Overtveldt unter anderem das MFR-Volumen um neun Milliarden Euro erhöhen; außerdem sollen Zinszahlungen für den schuldenfinanzierten Corona-Topf nicht den EU-Etat belasten. Aber Clauß lehnt das ab, weil für solche Änderungen ein neuer EU-Gipfel nötig sei, wie er sagt.

Bitter für van Overtveldt: Die CDU/CSU-Gruppe - mit Abstand die größte nationale Delegation in der EVP, der Fraktion der europäischen Christdemokraten - folgt der Argumentation des Diplomaten. In dem Brief klagen die Abgeordneten, dass es einen neuen, üppigeren Gipfelbeschluss gebe, sei "extrem unwahrscheinlich und kann zu sehr großen Verzögerungen führen".

Bereits jetzt ist klar, dass der neue Etat und der Corona-Topf nicht wie geplant im Januar bereitstehen werden - dafür haben die Verhandlungen schon zu viel Zeit in Anspruch genommen. Insbesondere EU-Abgeordnete aus südeuropäischen Staaten, die stark vom Wiederaufbaufonds profitieren sollen, geraten deswegen in der Heimat unter Druck, den Haushalt nicht länger zu blockieren.

Die CDU/CSU-Gruppe fordert in ihrem Schreiben andere Prioritäten: Anstatt auf ein Aufstocken des MFR zu drängen, sollte van Overtveldt besser anstreben, härtere Regeln für die Verwendung der Milliardenzuschüsse aus dem Wiederaufbaufonds durchzusetzen - "und ein entsprechendes Vetorecht des Parlaments", wenn Regierungen Gelder nicht vernünftig nutzen. Zudem bekräftigen die Christdemokraten, dass ein wirksamer Mechanismus nötig sei, der die Auszahlung stoppt, wenn im Empfängerland der Rechtsstaat nicht funktioniert. Über dieses Thema verhandelt jedoch nicht van Overtveldt mit den Mitgliedstaaten. Diese Gespräche finden getrennt davon statt; am Dienstag stand die dritte Runde an.

Mitunterzeichner Pieper hofft auf ein Einlenken van Overtveldts: "Mehr Verbindlichkeit bei den 750 Milliarden Euro im Wiederaufbaufonds sind für Europas Zukunft viel wichtiger als wenige Milliarden mehr im EU-Haushalt", sagte er der SZ.

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