Buch von Andrea Petković:Spiel, Satz, Erweckungserlebnis

Buch von Andrea Petković: Andrea Petkovic ist Tennisspielerin - und sie begleitete eine Indie-Band namens "Tennis" auf Tour. Kein Witz.

Andrea Petkovic ist Tennisspielerin - und sie begleitete eine Indie-Band namens "Tennis" auf Tour. Kein Witz.

(Foto: AFP)

Der Tennisspielerin Andrea Petković ist mit "Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht" ein exzellentes Erzähldebüt geglückt - das ist bei schreibenden Sportlerinnen und Sportlern nicht selbstverständlich.

Von Gerald Kleffmann

Der erste Schriftsteller, der sie fesselte, war Fjodor Dostojewski. Ihn entdeckte Andrea Petković eher widerwillig, als eines seiner Bücher auf einem Nachttisch lag. Sie war in Melbourne, als Tennisprofi ist man ja immer irgendwo, und so hatte sie sich für diese weite Reise "Schuld und Sühne" eingepackt. Zwei Wochen nahm sie das Buch nicht in die Hand. Aber als sie den Deckel aufklappte und den ersten Satz las, "legte sich eine allumfassende Ruhe über mein Gemüt". So erinnert sie sich.

Das war der Beginn von Petkovićs Liebe zur Literatur. Schon bald sollte sie auf den zweiten prägenden Autor stoßen. Wieder war sie in einem Hotelzimmer und bürstete sich die Haare, als ein Mann mit Brille im Fernsehen einer Interviewerin von seinem Schaffen berichtete: "Sagen Sie doch selbst, wenn sie alleine im Hotelzimmer säßen und zappten durch die Kanäle", fragte der Mann, "würden Sie sich lieber einen langatmigen, verkopften Nerd angucken, der über Literatur referiert, oder bleiben Sie bei Pamela Anderson hängen, die halb nackt am Strand Malibus entlangrennt?"

Petković schrieb den Namen jenes Mannes in ihr Notizbuch: David Foster Wallace. Sie unterstrich ihn zweimal. Nicht ahnend, dass sie durch diesen Kerl eine neue Welt kennen lernen würde. Sie tauchte ein in seine Werke. Setzte sich mit seinen Gedanken auseinander. Sogar über Tennis, ihrem Metier, hatte er brillant geschrieben, in "String Theory". Für Petković ein "Erweckungserlebnis".

Es ist tragisch, dass Foster Wallace nicht mehr lebt, aber das, was er seinerzeit bei einer nicht ganz unbedeutenden Sportlerin aus Germany ausgelöst hat, nämlich plötzliche Lust auf Literatur, hat zu einem erstaunlichen Ergebnis geführt. Das Multitalent Petković gründete im Frühjahr nicht nur einen virtuellen Bücherklub, in dem sich Nerds wie sie in die Zeilen ihrer Lieblinge fräsen. Die 33-Jährige hat nun ein eigenes Werk vorgelegt. Vielleicht steht ja Foster Wallace gerade irgendwo da oben, kämmt sich das Haar - und lächelt.

"Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht" ist ein reflektierendes, oft witziges, noch öfter nachdenkliches, weises Buch geworden. In 18 Erzählungen, die sich zu einer Collage ihres Lebens vereinen, findet sich zweifellos der Geist von Dostojewski und Foster Wallace wieder. Es geht in ihren Episoden nicht um Tennistechniken oder eine vollständige Chronologie ihrer Karriere. Es sind die großen Narrative, die sie beschäftigen und verstehen will, Glück, Unglück, Freundschaft, Liebe, Enttäuschung, Einsamkeit, Drama.

Nun ist es keine Selbstverständlichkeit, dass einem Quereinsteiger aus dem Profisport eine derartige Lebens- und Selbstreflexion gelingt. Wenn sich frühere oder aktuelle Athleten an eigene Erzählungen wagen, geht das in der Regel fürchterlich schief. Plattitüden und Redundanzen haben viele Versuche sterbenslangweilig gemacht. Oft liegt das an den Ghostwritern. In der ewigen Hitparade der unzumutbarsten Biografien führen traditionell die Fußballer, aber auch in Petkovićs Branche gab es schon mehr als genug Veröffentlichungen, die dem sportlichen Schaffen der Protagonisten nicht mal annähernd gerecht wurden.

Boris Becker zum Beispiel hat einmal mächtig danebengegriffen, als er auf einen im Society-Segment beheimateten Autor setzte. Trash war das Ergebnis. Das Selbstporträt "Open" des früheren Tennisprofis Andre Agassi wiederum gilt als Meisterwerk, zum einen, weil der Amerikaner schonungslos Zweifel, Ängste, Selbsthass und Drogenmissbrauch beichtete. Zum anderen, weil er auf J. R. Moehringer zurückgriff, einen Pulitzerpreisträger, der für ihn die Worte fand, als er die vermeintlich heile Fassade des Stars niederriss, um den wahren Menschen dahinter zu zeigen.

Mit der Einnahme von Crystal Meth kann Petković zwar nicht dienen, ein paar Mezcal zu viel sind bei ihr schon der ultimative Exzess gewesen (zumindest laut Buch), sie hat auch keinen Moehringer angeheuert. Sie entblößt sich aber auch - und sie hat jede Zeile selbst verfasst, was ihr Schaffen noch ungewöhnlicher macht.

Zugute kam Petković, dass sie schon seit Jahren, wenn es ihr Sport zuließ, Kolumnen und Essays publizierte, etwa für die FAZ, den Spiegel und das SZ Magazin, aber auch auf Englisch für das anspruchsvolle Racquet Magazine. Sie hat sich ohne großen Turniertriumph eine Fangemeinde erarbeitet, wobei nicht immer auszumachen ist, ob sie eine intellektuelle Tennisspielerin oder eine tennisspielende Intellektuelle ist. Ihr Buch beantwortet diese Frage auch nicht. In jedem Fall hat sie schwarzen Humor. "German beer makes things okay", ist seit Jahren ihr sich selbst persiflierendes Motto.

Andrea Petković, in Tuzla im heutigen Bosnien-Herzegowina geboren, in Darmstadt aufgewachsen, wo Vater Zoran Mitte der Achtzigerjahre Arbeit als Tennistrainer und später Schutz für die Familie vor dem Krieg fand, war immer anders als ihre langjährigen Weggefährtinnen Angelique Kerber, Sabine Lisicki, Julia Görges. Extrovertierter, emotionaler, suchender, aber auch mal rabaukiger. Ihr Buch ist auch als Ankunft zu verstehen, dabei will sie noch ein Jahr als Profi spielen.

Sie sieht auch die kleinen Dinge

"Alles, was ich sicher über Tennis weiß, ist, dass Tennisliebhaber auch Lebensliebhaber sind", schreibt sie. Da ist eine Athletin, die früher schon mal nach ein, zwei Fehlern auf dem Platz zusammenbrach, die in China tagelang weinte und keinen Sinn in ihrem Beruf sah, bei sich angekommen. Das spiegelt sich auch in der Sicherheit und Aufgeräumtheit ihres Erzählstils wider.

Phasenweise, vor allem wenn es explizit nicht um Tennis geht, vergisst man, dass sie "die Petko" ist, wie sie ihre Anhänger rufen. Sie ist dann einfach nur eine exzellente Kurzgeschichtenschreiberin mit der Gabe, auch kleine Dinge zu sehen, die man gerne übersieht. Besonders anschaulich wird das in jener Episode, als sie eine Musikband, die tatsächlich Tennis heißt, auf Tour durch Arizona und New Mexico begleitet und nüchtern beschreibt, wie monoton und zäh Soundchecks sind und wie wenig Energie für Sex, Drugs and Rock 'n' Roll übrig bleibt, nämlich keine.

Natürlich hat das Buch auch Schwächen, bei ihrer Liebe zum Superlativ hätte Petković jemand einfangen können. Und man spürt, dass sie manche Schilderung aus ihrem Tennisleben eher pflichtbewusst abarbeitet. Wenn sie aber frei galoppiert und ohne den Zwang zur Zuspitzung Momente dokumentarisch seziert, ergeben sich anrührende Sequenzen. Dazu zählt vor allem ihre Begegnung als junge Spielerin mit Danica, einer Begabung wie sie, voller Träume und Ängste wie sie, die doch im Tennis auf der Strecke blieb. Petković erhebt sich nicht über Danica, sondern ist da als Autorin fast nur Beobachterin und offenbart Empathie - ihr gehen Geschichten Gestrandeter nahe.

Zu denen sie sich ab und an selbst zählt. Materiell mag Petković ausgesorgt haben, sie verdiente Millionen, aber die inneren Kämpfe hörten ja nie auf. Deshalb möchte man eigentlich in ihrem nächsten Buch auch nur, dass sie sich an neue Bartresen hängt oder nächtelang durch New York streunt, ihrem "seelischen Äquivalent", und den Zufall Schicksal spielen lässt. Gerne auch, wie in diesem Buch, mit ein klein wenig literarischem Spielraum. So manch poröser Erinnerung habe sie kreativ etwas nachgeholfen.

Rollenspiele sind bei ihr indes kein Mittel zum Zweck. Dass Grenzen ineinanderfließen können, ist Ausdruck der Freiheit, die sie sich nimmt. So wurde sie auch, teils notgedrungen, sozialisiert. Sie selbst schildert offen, wie sie als Migrantenkind stets den dringenden Wunsch verspürt hatte, irgendwo dazuzugehören. Wenn man allerdings so wissbegierig und neugierig ist wie sie, gibt es eben viele Seiten, auf die man sich schlagen kann.

Das kann heute ihre Künstlerclique in New York sein und morgen ein Meeting mit ihrem Tennisteam. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, zumindest in der Welt von Andrea Petković, dass sie in ihrem Buch philosophisch Parallelen zieht zwischen den Rivalitäten der Maler Willem de Kooning und Jackson Pollock sowie der Tennis-Asse Roger Federer und Rafael Nadal - und an anderer Stelle sich besorgt mit der Frage beschäftigt, warum sie Bikinis nicht mag.

Andrea Petković: Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht. Erzählungen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 272 Seiten, 20 Euro.

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