Prozess in München:Mann soll Freundin 156 Mal vergewaltigt haben

Vor Gericht beschreibt der Angeklagte den Geschlechtsverkehr als stets "einvernehmlich". Die Staatsanwaltschaft wirft ihm zudem vor, seine Tochter mit sadistischen Methoden verletzt und misshandelt zu haben.

Von Susi Wimmer

Der Hindi-Dolmetscher übersetzt nicht Wort für Wort. Der Angeklagte versteht nur rudimentär die deutsche Sprache. Alle Fragen vor dem Landgericht München I müssen ständig wiederholt werden, ein Widerspruch reiht sich an den nächsten. Ob das an dem Mann auf der Anklagebank liegt, oder an Verständigungsproblemen, wird nicht ganz klar. Nur in einem ist sich Tarlochan S. ganz sicher: Er hatte nie gewaltsamen Geschlechtsverkehr mit seiner Partnerin, "nur einvernehmlich". Die Staatsanwaltschaft ist da ganz anderer Ansicht. Sie wirft dem 42-Jährigen vor, seine Lebensgefährtin mindestens 156 Mal vergewaltigt, sowie sie und die gemeinsame Tochter teils mit sadistischen Methoden verletzt und misshandelt zu haben.

Tarlochan S. ist ein wuchtiger Mann, schwarzes Haar, schwarzer Bart. Als er von den Justizbeamten in den Gerichtssaal geführt wird, hält er sich zum Schutz vor den Fotografen ein Blatt Papier vor das Gesicht. Selbst als diese längst den Saal verlassen haben und die Sitzung beginnt, hockt er immer noch da und hält das Papier fest. S. stammt aus Indien, und allein schon herauszufinden, wie lange er dort die Schule besucht hat, bedarf größerer Anstrengung seitens der Jugendschutzkammer. Am Ende sind es sechs Schulklassen, ehe er als Bauer auf dem Land arbeitete und eine Ausbildung zum Schweißer in Jalandhar im indischen Bundesstaat Punjab absolvierte. "Mein Ziel war Deutschland", sagt er. Vor 17 Jahren kam er hier an, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, lernte 2006 Michelle P. (Namen der Frauen geändert) kennen und erhielt ein Bleiberecht.

Das Kennenlern-Datum ist so ziemlich das Einzige, worin die Ausführungen der Anklageschrift und die Worte von Tarlochan S. übereinstimmen. Bis heute, so führt er aus, würde er die Beziehung zu seiner Freundin als "schön" bezeichnen, "13 Jahre lang, sie war eine gute Frau".

Als Michelle P. zur Polizei ging und Anzeige erstattete, erzählte sie eine andere Geschichte. Dass sie schnell schwanger gewesen sei, die gemeinsame Tochter Julia 2007 zur Welt kam - und dass ihr Lebensgefährte anfing zu trinken. 2013 soll er laut Anklage täglich größere Mengen Alkohol konsumiert haben und dann aggressiv geworden sein. "Nein", sagt er vor Gericht, "ich habe nie übermäßig Alkohol getrunken." Selbst als der psychiatrische Gutachter Matthias Hollweg ihn mit den hohen Leberwerten konfrontiert, schüttelt S. den Kopf. Er sei kein Alkoholiker, trinke vielleicht einmal im Monat ein bis zwei Bier. Und wenn er aggressiv werde, "dann nur verbal".

Auch die gemeinsame Tochter soll der Angeklagte geschlagen und misshandelt haben

Die Staatsanwaltschaft listet ab dem Jahr 2010 Gewalttaten auf wie das Zerreißen von Kleidung und Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Frau. Allein zwischen 2010 und 2016 soll Tarlochan S. seine Partnerin "in der Regel mindestens zweimal wöchentlich" vergewaltigt haben. Mindestens 156 Mal, so die Anklage, soll er sich an Michelle P. vergangen haben, während er mit Kopfhörern Pornos schaute. Angeklagt sind außerdem Schläge mit der flachen Hand gegen Mutter und Tochter. Einmal soll er Michelle P. so heftig geohrfeigt haben, dass ihre Brille durch den Raum flog. Die Tochter soll er an den Ohren gezogen haben, einmal so heftig, dass die Haut am Ohrläppchen einriss. Die Wunde soll über mehrere Wochen lang nicht abgeheilt sein. Und einmal soll er Julia P. gezwungen haben, sich selbst so lange und heftig am Ohr zu ziehen, bis es erneut blutete.

Die Staatsanwaltschaft schrieb, der Angeklagte habe aus "gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung gegenüber seiner Tochter" gehandelt. 2019 soll Tarlochan S. gedroht haben, die beiden Frauen umzubringen, sollten sie gegen ihn aussagen. Ein paar Tage später wollte er Michelle P. zu einer Falschaussage anstiften.

Verteidigerin Birgit Schwerdt lässt ihren Mandanten dann von seinem Leben erzählen, dass er seit Jahren in einem Schwabinger Lokal als Koch arbeitet, und auch von der Tatsache, dass seine Beziehung mit Michelle P. ab 2015 nicht mehr ganz so harmonisch verlief. Was eventuell daran liegen könnte, dass S. bei einem seiner vielen Besuche in Indien eine andere Frau geheiratet und mir ihr zwei Kinder gezeugt hatte. "War sie da nicht sehr, sehr wütend und verletzt", fragt Nebenklage-Anwältin Eva Loy-Birzer nach. "Sie leidet auch unter Krankheiten, etwa Asthma und anderes", weicht der Angeklagte aus.

Ende 2019 wollte Tarlochan S. seine indische Familie nach Deutschland holen. "Weil sie hier durch ihre Tochter Julia einen Aufenthalt haben", hält ihm Eva Loy-Birzer vor. Zu dieser Zeit auch ging Michelle P. zur Polizei und erstattete Anzeige gegen ihren Lebensgefährten. Tarlochan S. wurde am 31. Oktober 2019 festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die indische Familie blieb in Indien. Am nächsten Verhandlungstag soll Michelle P. aussagen.

Zur SZ-Startseite

Prozess
:Keine Leichen, aber viele Hinweise

Eine Frau und ihre Tochter verschwinden spurlos, die Ermittler gehen von Mord aus und belasten den angeklagten Ehemann schwer.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: