Anschlag in Wien:"In der Kommunikation etwas schiefgegangen"

Anschlag in Wien: Österreich trauert um die Opfer: Blumen und Kerzen am Anschlagsort in Wien.

Österreich trauert um die Opfer: Blumen und Kerzen am Anschlagsort in Wien.

(Foto: Joe Klamar/AFP)

Der Attentäter von Wien hätte eventuell gestoppt werden können - wenn die österreichischen Sicherheitsbehörden anders agiert hätten.

Von Oliver Das Gupta und Cathrin Kahlweit, Wien

In Wien verschärft sich zwei Tage nach dem Terroranschlag vom Montag, bei dem fünf Menschen starben und mehr als 20 schwer verletzt wurden, der politische Streit über Versäumnisse und Fehleinschätzungen von Österreichs Behörden.

Der Täter Kujtim F., ein 20-jähriger Wiener mit einem österreichischen und einem nordmazedonischen Pass, war gegen 20 Uhr in der Wiener Innenstadt schwer bewaffnet unterwegs gewesen und hatte in der Nähe der Synagoge wahllos auf Menschen geschossen.

Er hatte sich 2018 dem IS anschließen wollen und vergeblich versucht, über die Türkei nach Syrien einzureisen, wurde aber festgenommen. 2019 wurde er zu 22 Monaten Haft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt, aber, wie es das Gesetz vorsieht, vorzeitig auf Bewährung entlassen.

Nach der Haft hatte sich F. nach Angaben des Innenministeriums weiter unbemerkt radikalisiert und offenbar mit Unterstützung von Sympathisanten aus Österreich und der Schweiz den Anschlag vorbereitet. In Zürich waren am Dienstag zwei Schweizer festgenommen worden, die Kontakt zur islamistischen Szene, darunter zu einem bekannten Hassprediger, sowie zum Attentäter selbst hatten.

Mit ihm hatten sie sich nach Angaben der Schweizer Justizministerin auch getroffen. Darüber hinaus verhaftete die österreichische Polizei 16 Männer in Wien und Niederösterreich, die womöglich Verbindungen in die islamistische Szene und zum Attentäter hatten. Offenbar unterhielt Kujtim F. auch Kontakte nach Deutschland.

Nun tauchen erhebliche Zweifel auf, dass die Radikalisierung von F. tatsächlich unbemerkt geblieben ist. Wie SZ, WDR und NDR am Dienstag erfahren hatten und wie das Innenministerium bestätigte, war der Täter bereits im Juli 2020 gemeinsam mit einem Bekannten in die Slowakei gefahren und hatte dort versucht, Munition für die automatische Waffe, eine Zastava M70 aus Serbien, zu kaufen, die er nach Erkenntnis der Ermittler in Wien einsetzte.

Weil er aber keinen Waffenschein hatte, erhielt er die Munition nicht. Die slowakische Polizei teilte am Dienstag mit, der Geheimdienst des Landes habe diese Information den Wiener Behörden unverzüglich mitgeteilt. Laut der Zeitung Kurier wurde das Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) in Wien informiert.

Die Staatsanwaltschaft Wien bekam aber nach eigenen Angaben erst in der Tatnacht, also nach dem Anschlag, Bescheid, dass der 20-Jährige versucht hatte, sich Munition für sein automatisches Gewehr zu besorgen. Ein Polizist, so die Sprecherin des Justizministeriums gegenüber dem ORF, habe dem diensthabenden Staatsanwalt erst in der Nacht eine entsprechende Mitteilung gemacht.

Eine Sprecherin des Innenministeriums, dem das BVT untersteht, räumte ein, die Landesbehörde sei grundsätzlich für die Gefahrenabwehr und Überwachung nach der Haftentlassung auf Bewährung zuständig und müsse die Staatsanwaltschaft "unverzüglich informieren, wenn sich aus Beobachtungen der Verdacht einer Straftat ergibt". Dies ist aber offenbar nicht geschehen. Hätte die Justiz früher entsprechende Hinweise bekommen, wäre F. womöglich wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen wieder in Haft gekommen.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bestätigte in einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag, dass es "Kommunikationsfehler" bezüglich der Slowakei-Fahrt des Täters gegeben habe. Der slowakische Geheimdienst habe tatsächlich den BVT informiert, in der weiteren Folge sei da "aber etwas schiefgegangen". Eine Untersuchung müsse nun klären, wo die Fehler lagen.

Nehammer äußerte sich jedoch nicht zu weitergehenden Spekulationen darüber, dass der Täter womöglich doch observiert worden war. Mehrere Tageszeitungen hatten am Mittwoch berichtet, dass wenige Stunden nach der Tat eine groß angelegte Antiterroraktion unter dem Decknamen "Ramses" geplant gewesen sei; ein "groß angelegter Zugriff" sei just für Dienstagmorgen vorgesehen. Womöglich habe F. davon Wind bekommen und daher früher als geplant losgeschlagen.

FPÖ attackiert Innenminister

FPÖ-Fraktionschef Herbert Kickl beförderte entsprechende Spekulationen auf einer Pressekonferenz. Es mache ihn "stutzig", dass die Ermittler den Täter nicht nur umgehend unschädlich gemacht hätten, sondern auch ungewöhnlich schnell weitere Hausdurchsuchungen durchgeführt hätten. Die FPÖ habe Hinweise darauf, dass der Täter doch unter aktiver Beobachtung des Verfassungsschutzes gestanden habe und womöglich im Rahmen von zwei verdeckten Operationen mit den Namen "Ansar" und "Zulu" überwacht worden sei.

Darauf deuteten auch die Durchsuchungsbeschlüsse hin, die mögliche Unterstützer der salafistischen Szene zuordneten. In diesen Beschlüssen werde auch auf den versuchten Munitionskauf hingewiesen; die Polizei habe also davon gewusst.

Die Aktion "Ramses", die als groß angelegte Razzia am Dienstag geplant gewesen sei, sei womöglich verraten worden. Nehammer wies Kickls Äußerungen zurück und beschuldigte diesen, das BVT in seiner Zeit als Innenminister "zerstört" zu haben.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Nehammer hatten nach der Tat noch eine andere Front aufgemacht und scharfe Kritik daran geübt, dass der Täter vorzeitig aus dem Gefängnis freigekommen sei.

Kurz sagte, der "Terroranschlag hätte so nicht stattfinden können", wenn der Täter nicht vorzeitig freigekommen wäre, "insofern war diese Entscheidung definitiv falsch". Die grüne Justizministerin Alma Zadić, die zum fraglichen Zeitpunkt noch gar nicht im Amt war, konterte, das Gesetz schreibe diesen Schritt vor.

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