"Antenne":Klinge der Zeit

Wie bekommt man den Krieg in die Sprache? Neue Gedichte des ukrainischen Schriftstellers Serhij Zhadan.

Von Nico Bleutge

"Antenne": Serhij Zhadan: Antenne. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 144 Seiten, 14 Euro.

Serhij Zhadan: Antenne. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 144 Seiten, 14 Euro.

In der feuchten Luft nimmt man die Gerüche besonders gut wahr. Die Soldaten, die aus dem Süden gekommen sind, riechen nach Brand, nach Zigarettenrauch, und alles füllt sich sofort mit dem schweren Dunst nasser Kleidung. In seinem Roman "Internat" beschreibt Serhij Zhadan den Krieg als etwas, das direkt am Körper ansetzt, das dicht und atmosphärisch ist und sich mit all seiner Härte so fest in die Wahrnehmung und die Erinnerung einschreibt, dass man es ein Leben lang nicht mehr vergisst. Zhadan, der im Osten der Ukraine geboren wurde und seit vielen Jahren in Charkiw lebt, hat die Kämpfe im Donbass von Beginn an nicht nur in seiner Prosa, sondern auch in seinen Gedichten dargestellt. "Gedichte und Prosa aus dem Krieg" hieß sein letzter Band "Warum ich nicht im Netz bin" im Untertitel. Darin versammelt er lyrische Porträts von Menschen, die den Krieg erlebt haben, von Händlern, Juwelieren, Anwälten, aber auch von Marodeuren oder verwirrten Künstlern.

Wie holt man den Krieg in die Sprache? Wie fasst man das Gefühl der Bedrohung, die Angst, wie zieht man der Sprache die Zerstörung ein? In den stärksten Gedichten seines neuen Bandes versucht es Zhadan mit wahrnehmungsgenauen Szenen, die er metaphorisch anreichert. Heiße Sommerluft, eine staubige Straße. Reisende rennen durch die Stadt, hasten zum Bahnhof, um den Nachtzug zu erreichen. Doch schon früh verändert sich die Perspektive: "Die Bienen holen sich den Honig einfach / aus dem kindlichen Atem". Ein kleiner Schwenk in der Aufladung der Wörter genügt, und die Biene, von jeher Sinnbild für den Dichter, holt uns mitten ins Gedicht und ins Schreiben.

Neue Zeiten brechen an, die Ernte der Geschichte wird eingebracht

Doch leider ist das nur die eine Seite dieses Bandes. "Antenne" heißt er, und er umfasst nicht allein Gedichte des 2018 in der Ukraine erschienenen Buches gleichen Titels, Zhadan hat eigens für die deutsche Ausgabe einen kleinen Prosatext geschrieben, der sich mit dem Tod seines Vaters beschäftigt. Vor allem aber hat er den fast 60 Seiten an Antenne-Gedichten noch einmal den gleichen Umfang an Gedichten aus seinem jüngsten Gedichtband "Schiffsverzeichnis" vorangestellt. Und hier ist ein anderer Ton prägend. Es sind Gesänge, die mal an Hymnen, mal an Popsongs erinnern. Darin bedichtet er meist pathetisch Nacht und Liebe, Religion und Tiere, vor allem aber das Gedicht selbst.

"Du beobachtest die menschliche Welt wie der Kinderarzt die Knirpse im Park", schreibt er in seinem kleinen Einleitungstext, "mit Liebe und mit der Bereitschaft, eine Diagnose zu stellen." Das ist ein schöner Einfall. Nur schiebt sich die Bereitschaft zur Diagnose trotz aller Liebe immer wieder überdeutlich in den Vordergrund. So liest man Sätze wie "Ostukraine, Ende des zweiten Jahrtausends. / Die Welt quillt über vor Musik und Feuer." Oder: "Neue Zeiten brechen an, / die Ernte der Geschichte wird eingebracht." Immer wieder führt der Be-hauptungscharakter der Sätze auch zu schiefen Vergleichen ("Die Hügel liegen da / wie Menschen in der Holz-klasse"), gern verknüpft mit einem sehr eigenen Frauenbild: ("Ich liebe diese Bäume, erwachsenen Frauen / gleich, die ihr Laub abwerfen wie Illusionen"). Andernorts notiert Zhadan: "Dichtung beginnt dort, / wo dein Wortschatz endet". Doch statt sich auf die Suche nach einer wirklich eigenen Sprache jenseits des Alltagswortschatzes zu machen, greift er immer wieder zu klischeehaften Bildern und Formulierungen, die jedenfalls in der deutschen Übersetzung zu Genitivmetaphern wie "Rauch der Freiheit" oder "Klinge der Zeit" werden. Und statt seine Sprache wie in den Antenne-Gedichten zu reduzieren und ein Gedicht zu schreiben, das "aus Schweigen und Stille" besteht, beschwört er es nur in raunenden Worten. Claudia Dathe hat die freie Rhythmik der Zeilen gut ins Deutsche gebracht, gegen den hohen Verkünderton der "Atemzüge und Küsse" kommt aber auch die Übersetzung nicht an.

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