Handball:Es knirscht erheblich

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Beim Debüt von Bundestrainer Alfred Gislason müht sich die deutsche Auswahl gegen dezimierte Bosnier. Erst mit einer Hereinnahme wird die Abwehr stabiler.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

515 Tage Entzug sind eine Ewigkeit für einen Handball-Besessenen wie Alfred Gislason. 17 Monate hat der 61 Jahre alte Isländer warten müssen, als Trainer wieder am Rande eines Handballspiels zu stehen. Sein letzter Einsatz war beim Bundesligaspiel des THW Kiel gegen Hannover-Burgdorf am 9. Juni 2019 gewesen. Seine erste Partie seit damals war am Donnerstag in Düsseldorf das EM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Bosnien-Herzegowina. Nach neun Monaten Untätigkeit als Bundestrainer sah der nahe Magdeburg lebende Gislason seine Auswahl gegen Corona-geplagte und deshalb nur zu elft angereiste Bosnier allerdings in bedenklicher Form. Spät, nach 38 Minuten, gingen sie beim 15:14 erstmals in Führung. Am Ende gewannen sie gegen ermüdende, aber weiter hartnäckige Gäste mühsam 25:21 (9:13). "Das war nicht der Auftritt, den ich mir gewünscht hatte, aber genau der, den ich ein bisschen befürchtet hatte", sagte Gislason. Schon am Sonntag (15.15 Uhr, ZDF) spielen sie in Estland um weitere Punkte für die Qualifikation zur EM 2022.

Bei seinem verspäteten Debüt hatte es der Trainer Gislason ausgerechnet mit einem Gegner zu tun, der sich gegen die Austragung gewehrt hatte wie eine Katze gegen ein Wannenbad. Der halbe Kader war den Bosniern wegen Corona ausgefallen, aber ihr Antrag auf Spielverlegung wurde von der Europäischen Handball-Föderation abgelehnt. Man will dort wegspielen lassen, was wegzuspielen ist, weil niemand weiß, was die Zukunft bringt in einem immer enger werdenden Terminkalender.

Die Bosnier traten also mit einem Rumpfteam an: Zehn Feldspieler und genau einen Torwart hatten sie dabei, den Flensburger Benjamin Buric. "Ich darf 60 Minuten durchspielen", sagte er vor dem Anpfiff lakonisch. Relevanter als ihre Quantität aber war die Frage, ob sie die Motivation aufbrachten, sich nach dieser Vorgeschichte der deutschen Mannschaft entschlossen entgegenzustellen. Die Antwort lautete: absolut. Nach vier Minuten führten die Gäste 2:0, nach einer Viertelstunde 6:2. Buric hatte Spaß daran, seinen Bundesliga-Kollegen die Tour zu vermasseln. Nach jedem seiner gehaltenen Bälle sprangen auf der bosnischen Ersatzbank vier Spieler jubelnd auf. Zur Pause lag die deutsche Mannschaft, in der es erheblich knirschte, 9:13 hinten.

Juri Knorr, 20, der erste deutsche A-Nationalspieler, der im neuen Jahrtausend geboren wurde, hatte sich im Gegensatz zu den Bosniern besonders auf das Spiel gefreut. Für den Mindener Rückraumspieler war es eine Ehre, mit Handballpromis wie Johannes Bitter, Uwe Gensheimer oder Patrick Wiencek zusammenzuspielen, denn die, das hatte er vor der Partie etwas wehmütig gesagt, "sind die Helden meiner Kindheit". Knorr bekam im zentralen und linken Rückraum etliche Einsatzminuten. "Er könnte endlich mal wieder ein klassischer deutscher Mittelmann sein", sagt Gislason über den gebürtigen Flensburger, auf dem große Hoffnungen ruhen.

Doch im ersten A-Länderspiel konnte er nicht die ganz großen Akzente setzen. Die Mannschaft, mit nur 45 Prozent Wurfeffizienz im ersten Durchgang, kämpfte sich heran. Bosniens Ivan Karacic knickte in der 34. Minute übel um, danach hatte der Gegner nur noch neun Feldspieler. Als Karacic fehlte und die Kräfte schwanden, mussten die Bosnier die Deutschen ziehen lassen. "Ich war überrascht, wie nervös und hektisch wir in der ersten Halbzeit im Angriff waren", sagte Gislason nachher, "in der zweiten Hälfte lief es deutlich flüssiger." In der Abwehr habe die Hereinnahme von Finn Lemke Stabilität gegeben. Linksaußen Gensheimer klang nicht gerade zerknirscht. Er freue sich schlichtweg über die beiden Punkte, sagte er: "Das war sicher nicht unser bestes Spiel - zu hektisch im Rückstand, zu ungeduldig. Aber mit der zweiten Hälfte können wir schon zufrieden sein."

© SZ vom 06.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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