Klimaschutz:Nahrungsmittelproduktion allein kann das 1,5-Grad-Ziel sprengen

Bayern, Mais-Aussaat in Rammingen 24.04.2020, Rammingen bei Bad Wörishofen, Ein Landwirt pflügt seinen Acker um. 24.04.2

Maisfelder in Rammingen im Unterallgäu. Würden die Menschen weniger tierische Produkte konsumieren und effizienter Landwirtschaft betreiben, könnte der Treibhausgasausstoß des Agrarsektors deutlich sinken.

(Foto: imago images/MiS)

Um die Paris-Ziele einzuhalten, müssten sich Landwirtschaft und Ernährung erheblich verändern, haben Forscher berechnet.

Von Marlene Weiß

Der Treibhausgasausstoß allein aus der weltweiten Erzeugung von Nahrungsmitteln könnte bereits das verbleibende Emissionsbudget sprengen, um die Erwärmung der Erde auf 1,5 Grad zu begrenzen. Selbst wenn sämtliche Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe außerhalb des Lebensmittelsektors ab sofort eingestellt würden, berichten Forscher um Michael Clark von der University of Oxford in Science, würde die Lebensmittelproduktion aus heutiger Sicht das Ziel im Alleingang unmöglich machen - zwischen 2051 und 2063 wäre das Budget verbraucht. Abhilfe schaffen könnte nur ein schnelles Umsteuern sowohl in der Landwirtschaft als auch bei den Ernährungsgewohnheiten.

Die Erzeugung von Nahrungsmitteln trägt auf vielerlei Weise zum Klimawandel bei: Die Rodung von Waldflächen, das Trockenlegen von Moorböden oder das Umpflügen kohlenstoffreicher Wiesenböden lässt CO₂ und das extrem klimaschädliche Lachgas (N₂O) entweichen. Der Einsatz von Dünger produziert noch mehr dieser Treibhausgase und obendrein Methan. Auch Wiederkäuer wie Kühe, Schafe und Ziegen stoßen Methan aus, das in ihrem Verdauungssystem entsteht, und das Klimagas entweicht zudem aus nassen Reisfeldern. Zu alledem kommt noch das CO₂ aus fossilen Brennstoffen, die in der Lebensmittelproduktion eingesetzt werden, vom Diesel für den Traktor bis zum Energieverbrauch der Wurstfabrik.

Fachkollegen bewerten die Studie positiv, die Annahmen zu den möglichen Ertragssteigerungen könnten aber zu hoch gegriffen sein

Die Wissenschaftler haben für ihre Rechnung diverse aktuelle Trends fortgesetzt und Annahmen gemacht: Mit zunehmendem Wohlstand werden noch mehr Fleisch und Milchprodukte konsumiert, die Weltbevölkerung wächst weiter, die Lebensmittelverschwendung bleibt konstant, die Produktivität der Landwirtschaft nimmt weiter zu. Unter diesen Annahmen kommen sie für die Jahre 2020 bis 2100 auf eine durch die verschiedenen lang- und kurzlebigen Treibhausgase bedingte Erwärmung, die der von 1356 Milliarden Tonnen CO₂ entspricht. Das ist etwa so viel, wie derzeit in knapp 30 Jahren außerhalb des Lebensmittelsektors emittiert wird.

Es kann allerdings auch ganz anders kommen: Würden die Menschen sich gesünder ernähren, weniger tierische Produkte konsumieren, die Lebensmittelverschwendung halbieren, effizienter Landwirtschaft betreiben, die Erträge noch mehr steigern oder sogar alles zusammen, könnte der Ausstoß der Landwirtschaft den Forschern zufolge deutlich sinken, bis hin zu Klimaneutralität und darüber hinaus - in diesem Fall würde der Lebensmittelsektor sogar mehr CO₂ aufnehmen, als er produziert.

Die jüngste Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU reicht nicht aus

Experten bewerten die Studie grundsätzlich positiv, wobei die Annahmen zu den möglichen Ertragssteigerungen eher zu hoch gegriffen sein dürften und große Unsicherheiten in den Berechnungen nicht angegeben seien, wie Florian Schierhorn vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) in Halle moniert. "Es ist eher unrealistisch, dass sich die langjährigen Ertragstrends in der Zukunft fortsetzen", sagt er. "Die Erträge in vielen wichtigen Agrarnationen steigen kaum noch."

Lob gibt es von Fachkollegen dafür, dass die Autoren den im Klimaschutz auch politisch oft zu wenig beachteten Agrarsektor herausstellen. "Wenn die EU wie vorgesehen ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken will, müssen auch die Emissionen aus dem Agrarsektor deutlich sinken", sagt Clemens Scheer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Allerdings zweifelt er daran, ob die jüngste Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) dieses Ziel erreicht, denn momentan wird der weitaus größte Anteil der Landwirtschaftssubventionen pauschal pro bewirtschafteter Fläche verteilt, unabhängig davon, was der Bauer dort tut oder lässt. "Um einen effizienten Klimaschutz zu gewährleisten, sollten pauschale Flächenprämien durch Zahlungen für klimawirksame Umweltauflagen, sogenannte Eco-Schemes, ersetzt werden", sagt Scheer.

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