Stilkritik:John King, König der Karten

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Derzeit der beste Welterklärer der Welt: John King. (Foto: Erik S. Lesser/dpa)

Den Wahnsinn der US-Wahl zerlegt keiner so elegant in seine geografischen Einzelteile wie der TV-Experte von CNN. Gibt es überhaupt etwas, was die fleischgewordene Analysemaschine nicht wie auf Knopfdruck runterrattern kann?

Von Martin Schneider

Nach vier Tagen besteht absolut kein Zweifel mehr, dass John King einem alles erklären könnte. Die US-Wahl, die Bundesliga-Tabelle, die Welt, einen Kühlschrank - egal. Er würde sich davorstellen, die Fingerkuppen aneinanderlegen, dann auf Wahlkarte/Tabelle/Welt/Kühlschrank deuten und in atemberaubendem Tempo analysieren, dass Fulton County zu 94 Prozent ausgezählt sei, Bayern seinen Vorsprung auf vier Punkte ausgebaut habe, der BVB aber mit Siegen in Augsburg und Mainz vorbeiziehen könne, sich die afrikanische Kontinentalplatte um ein paar Zentimeter nach Norden verschoben habe und man ja sehr deutlich sehen könne, dass die Menge an Milch um 20 Prozent gesunken ist.

Danach würde er ganz seriös in die Kamera gucken.

Irgendwie muss man ja einen Weg durch diesen Wahnsinn namens US-Wahl-TV-Übertragung finden, und auf CNN steht John King, 57, offiziell Chief National Correspondent, aber in Wirklichkeit seit vier Tagen einfach nur guter Freund im Wohnzimmer, vor seiner "Magic Wall" genannten Wahlkarte, auf der die Ergebnisse einlaufen, und sorgt dafür, dass man sich in Allegheny County plötzlich besser auskennt als im eigenen Landkreis.

Im deutschen Fernsehen hat aber auch noch nie jemand so liebevoll über das SPD-Ergebnis im Rems-Murr-Kreis gesprochen (Schon stellt man sich Kings Stimme vor: "They need to win the suburbs!"). ARD und ZDF denken ja, dass Zahlen langweilig sind. John King dagegen findet es total spannend zu erwähnen, dass Maricopa County den Ausschlag für die Demokraten in Arizona geben könnte, weil sich die Demografie dort verändert hat und mehr junge Leute wegen der hohen Mieten aus Kalifornien dorthin gezogen sind, und dies Joe Biden elf Wahlmännerstimmen bringen könnte, weswegen Donald Trump Georgia gewinnen muss, wo es aber aktuell wegen der Briefwähler in DeKalb County schlecht aussieht, das könne man auch anhand der Daten von 2016 feststellen, aber noch sei es zu früh, und übrigens dies und, ach ja, auch das. "That's why it is fun", sagt er dann noch gern.

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