SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Eine Reise ins Niemalsland

Street Art im Werksviertel

Das Werk 9 zieren Werke von Taina, Lapiz, Felix Rodewaldt, Köbes und Gjör Bareé.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das Werksviertel ist einer der besten Orte, um die Arbeit bekannter Street-Art-Künstler zu bestaunen. Farbige Trümmer am Wegesrand zeugen von der Vergänglichkeit ihrer Kunst.

Von Laura Kaufmann

Museen bleiben im November geschlossen, auf Kunst aber muss niemand verzichten. Erst recht nicht in München, schließlich nahm die Geschichte der Street-Art hier ihren Lauf. Einer der Protagonisten damals war Mathias Köhler, besser bekannt als "Loomit", der 1985 mit ein paar Gleichgesinnten eine komplette S-Bahn verzierte. Die S-Bahn ging als "Geltendorfer Zug" in die Geschichte ein und machte auf die Graffiti-Szene aufmerksam. Heute ist Street-Art in der ganzen Stadt sichtbar und erwünscht. Firmen lassen sich ihre Fassaden mit Auftragsarbeiten verschönern, traditionell toben sich Künstler an der Wall of Fame am Schlachthof aus, und früher eher triste Orte, etwa unterhalb der Donnersberger- oder Candidbrücke, fungieren heute als Open-Air-Galerien.

Zu vielen spannenden Kunstwerken gibt es geführte Touren, zum Beispiel die Streetart-Safaris von Martin Arz, wenn die Stadt nicht gerade im "Lockdown light" darniederliegt. Im Moment gilt es, sich die Kunst allein zu erlaufen. Mit einem Spaziergang durchs Werksviertel etwa, derzeit einer der besten Orte, um großes Können zu bewundern. Hier darf nicht einfach so gesprüht werden. Grob kann man sagen, dass Street-Art-Guru Loomit kuratiert, der schon auf dem Gelände sprühte, als es noch Kunstpark Ost hieß. Somit ist ein gewisser Standard garantiert. Loomit ist international gut vernetzt und bringt interessante Künstler auf das Gelände.

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt: In schwarz-weiß sind nur die wenigsten Kunstwerke hier gehalten - dafür fallen sie so fast auf.

In schwarz-weiß sind nur die wenigsten Kunstwerke hier gehalten - dafür fallen sie so fast auf.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ein Rundgang beginnt am Eingang des Container Collectives, wo sich Atelier- und Friedenstraße treffen. Die Pop-up-Stadt aus Schiffscontainern ist mit Kunst bedeckt, vieles davon, der Tiger am Eingang zum Beispiel, ist von Loomit selbst, anderes von Freunden wie von Lesie, einem in Griechenland aufgewachsenen, nun in München lebenden Künstler, der seine Werke in schwarz-weiß hält. Bei den Toiletten sind die illustratorisch anmutenden Figuren von ihm, Badenixen und Seemänner, auch im restlichen Werksviertel sind seine Werke öfter zu entdecken.

Lässt man das Container Collective hinter sich und folgt den stillgelegten Gleisen die Speicherstraße entlang, liegt linker Hand, gegenüber dem Werk 7, ein kleines, über und über in Farbe getauchtes Haus, das Lesie mitgestaltet hat. Ein Astronaut schwebt über eine Wand, Astronauten symbolisieren für ihn Freiheit, Mut und die Erforschung des Ungewissen. Auch einen Wal hat er dort gelassen und anderes Meeresgetier, umgeben mit wundersamen Formeln und Zeichen.

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt: Die Blumenfrau stammt von beastiestylez.

Die Blumenfrau stammt von beastiestylez.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auf dem Werk 7 selbst fällt ein knallbuntes Werk voller Pommes und Pillen, Wellen und Wolken ins Auge, das das Künstler-Duo Papa Gallosch während eines Live-Paintings zur Kunstmesse Stroke Art Fair vor zwei Jahren gemacht hat, nebenan hat der russische Künstler Sergey Akramov einen beinahe kubistisch anmutenden Blätterwald hinterlassen. Daneben hat sich schon 1999 der berühmte New Yorker Writer Seen mit einem Schriftzug verewigt.

Im Werksviertel mischen sich die Epochen und Stilrichtungen: Die Collagen von Désha Nujsongsinn, erkennbar am "I choose the art way"-Herz, sind aus gefundenen Papierresten gefertigt, manche Künstler hinterlassen "Stencils", durch Schablonen gesprühte Bilder. Kalligrafische Werke stehen neben fotorealistischen, sogar Kacheln werden geklebt, aber dazu später. Weiter geht der Spaziergang, ein Blick auf die Seite des Technikums. Hier haben Lesie und Loomit im Frühjahr gemeinsam eine Wand gestaltet, Loomit eine wie aus dem Himmel gestanzte Friedenstaube, Lesie die Geschichte einer Vogel-Frau und eines Falken, den sie zu fangen versucht.

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt: Ein gemeinsames Werk von Lesie und Loomit.

Ein gemeinsames Werk von Lesie und Loomit.

(Foto: Stephan Rumpf)

Zurück auf die Speicherstraße. Ein Blick über die Schulter zeigt das Mural des Freisinger Künstlers Matthias Mross, der gerade in Paris ausgestellt hat, an einer Hauswand. Überdimensionale Hühner, deren Köpfe in einem Futternapf stecken.

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt: Matthias Mross malt gerne überdimensionale Hühner.

Matthias Mross malt gerne überdimensionale Hühner.

(Foto: Stephan Rumpf)

Schon aber kratzen die Bagger an dem Gebäude. Auf dem Werksviertel wird abgerissen und hochgezogen, die Maschinen stehen nicht still. Farbige Trümmer am Wegesrand zeugen von gewesener Street-Art, die Vergänglichkeit ist ein ständiger Begleiter der Kunst im öffentlichen Raum. Was heute noch beeindruckt, ist morgen schon Staub. Wie ein Niemalsland mit weiten Kiesflächen, wo einst Diskotheken standen, Bauzäunen, die jeden Tag ihre Stellung zu wechseln scheinen und glänzenden Neubauten zwischen halb abgerissenen Gebäuden liegt das Werksviertel vor dem Spaziergänger, ein Ort wie aus einer Kunstinstallation; es würde nicht weiter verwundern, wenn Schauspielerin Tilda Swinton vorbeimarschierte und ein Manifesto vor sich hinmurmelte. Stattdessen aber streunen nur vereinzelt vor allem junge Menschen zwischen den Kunstwerken herum und machen Selfies.

Das Werk 9, in dem Wolfgang Nöth vor langer und doch gar nicht so langer Zeit noch Trödel unters Volk brachte, ist ein Highlight des Street-Art-Spaziergangs. Seitlich sichtbar ist ein Werk der Künstlerin Taina. Überdimensionierte, mangaartige Kuschelmonster sind bei einem "Hands off the Wall"-Festival entstanden, das sich über die Rückseite des Werks 9 erstreckt, dorthin geht es noch vorbei an meterhohen Werken von Lapiz, Felix Rodewaldt, Köbes, Gjör Bareé, Lion Fleischmann und Nazca. Das "Hands off the Wall"-Festival hat erst vor wenigen Wochen stattgefunden, die Farbe ist beinahe frisch. Kuratiert hat es die österreichische Künstlerin Chinagirl Tile.

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt: Abstand halten - das gilt zumindest für die Monster an der Wand nicht.

Abstand halten - das gilt zumindest für die Monster an der Wand nicht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Besonderheit: Nur Frauen haben sich auf der beeindruckenden Mauer ausgetobt, denn Frauen müssen in der Kunstszene um ihre Sichtbarkeit kämpfen. Chinagirl Tiles Werk, mittig, hebt sich durch die Technik von anderen ab. Sie klebt zuvor gebrannte 3-D-Kacheln zu Objekten, hier sind es Füchse. Die Berlinerin Hera hat charakteristisch eine Rehfrau mit Kind hinterlassen, Anna T-Iron eine politische Botschaft, "Leave nooo one behind!"

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt: Chinagirl klebt Objekte wie den Fuchs aus 3-D-Kacheln.

Chinagirl klebt Objekte wie den Fuchs aus 3-D-Kacheln.

(Foto: Stephan Rumpf)

Nach ausgiebigem Betrachten ist es Zeit, mit einem Schlenker über Werk 5 und Werk 1 den Rückzug anzutreten. Hier fällt ein Mural in apartem Stil ins Auge, ein gelber Mann wie ein schlecht gelaunter Charakter aus den "Simpsons" mit Pferd. Er stammt von Os Gêmeos, brasilianischen Zwillingsbrüdern, die zu den bedeutendsten Street-Art-Künstlern ihres Landes avanciert sind. Zurück durchs Container Collective, wo der Spruch "Nothing lasts but a beautiful heart" einen Container schmückt. Die Kunst hier mag vergänglich sein. Der Eindruck bleibt.

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