Erinnerung an Reichspogromnacht:"Wir vergessen nicht"

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Corona-bedingt konnte die Feier nicht wie sonst am Gedenkstein für die alte Hauptsynagoge stattfinden. (Foto: Stephan Rumpf)

Vor 82 Jahren klirrten in München die Scheiben, die Synagoge brannte: Gedacht wird der Reichspogromnacht und der Opfer des NS-Regimes diesmal digital. Wie wichtig das ist, das zeigt der wieder zunehmende Antisemitismus.

Von Isabel Bernstein

Es war eine ungewohnte Form des Erinnerns. Anders als sonst wurde in diesem Jahr nicht real am Gedenkstein für die alte Münchner Hauptsynagoge, sondern digital der Reichspogromnacht und der Opfer des NS-Regimes gedacht. Dass dieses Erinnern aber auch in diesem Jahr wichtig ist, machte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gleich zu Beginn des Gedenkakts deutlich: Gerade Rechtsextreme versuchten, die aktuelle Corona-Krise für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sie und Islamisten benutzten "die Pandemie, um mit gezielten Verschwörungsfantasien den Judenhass weiter anzuheizen".

Er erinnerte an die Übergriffe auf einen Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde, Shmuel Aharon Brodman, und den Jugendtrainer des TSV Maccabi München, Max Brym, in diesem Jahr und sagte: "Jüdische Menschen leben in Deutschland gefährlicher als andere."

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In der Reichspogromnacht in der Nacht auf den 10. November 1938 sei deutschlandweit staatlich verordneter Terror gegenüber Juden verübt worden; Terror, dem kein öffentlicher Aufschrei gefolgt sei, so Reiter. Er rief dazu auf, wachsam gegenüber Antisemitismus zu sein: "Es reicht nicht mehr aus, angesichts der ständigen Attacken auf Jüdinnen und Juden das Unheil nur ebenso regelmäßig öffentlich anzuprangern und dann wieder zur Tagesordnung überzugehen. Es kann und darf nicht sein, dass antisemitische Parolen im Alltag unwidersprochen bleiben und Jüdinnen und Juden bei antisemitischen Übergriffen alleingelassen werden."

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, die ihre Rede ebenso wie Dieter Reiter im "Gang der Erinnerung" vor einer Wand mit den Namen von 4500 vom NS-Regime ermordeten Juden hielt, machte klar, wie wichtig die Erinnerung an die Reichspogromnacht seien: "Wir vergessen nicht, wie heute vor 82 Jahren auch hier in München die Scheiben klirrten, wie die Synagoge brannte und wie jüdische Menschen misshandelt, verschleppt und ermordet wurden."

Nach Reden des Historikers Andreas Heusler und des Psychiaters und Gründungsmitglieds der Gedenkinitiative für die "Euthanasie"-Opfer, Professor Michael von Cranach, wurde in diesem Jahr insbesondere der 191 jüdischen Patienten von Heil- und Pflegeanstalten sowie von Behinderteneinrichtungen erinnert, die am 20. September 1940 über die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar in die Tötungsanstalt Hartheim nach Österreich deportiert und dort ermordet wurden.

Der Antisemitismus, der das Morden damals angetrieben habe, sei auch heute noch nicht überwunden, warnte Charlotte Knobloch. Oder, wie es Oberbürgermeister Dieter Reiter mit den Worten des israelischen Staatspräsident Reuven Rivlin sagte: Der Kampf gegen Antisemitismus sei "kein Kampf, der ein für allemal gewonnen werden kann".

© SZ vom 10.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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