Leverkusen - Gladbach:Anderthalb Stunden Action-Unterhaltung

Leverkusen - Gladbach: Per Skorpion-Kick zum Tor: Valentino Lazaro bei seinem Treffer zum 3:4.

Per Skorpion-Kick zum Tor: Valentino Lazaro bei seinem Treffer zum 3:4.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Nach freudlosem Start in die Saison besinnt sich die Bundesliga am siebten Spieltag auf ihren Daseinszweck. Das zeigt besonders das spektakuläre 4:3 zwischen Leverkusen und Gladbach.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Beinahe hätte Matthias Ginter noch alles kaputt gemacht, aber der 26 Jahre alte Verteidiger ist ja nicht nur Nationalspieler, sondern auch ein kluger Kopf. Er hat auf seinen Mitspieler gehört und damit den Moment gerettet, der Valentino Lazaro weltberühmt machen sollte und nebenbei dazu beitrug, die Reputation von Borussia Mönchengladbach, Bayer Leverkusen, der Bundesliga und vermutlich auch der Bundesrepublik Deutschland zu heben. Bevor es so weit kam, war Folgendes geschehen: Ginter, Gladbachs führender Abwehrspezialist, hatte längst seinen Wachtposten in der Verteidigung verlassen und eine neue Stelle als Aushilfsangreifer im Sturmzentrum angenommen, wo er nun die Flanke von Patrick Herrmann erwartete. Vielleicht, so sah es von draußen aus, könnte aus dieser Szene etwas werden, vielleicht würde Borussia dann den 2:4-Rückstand doch noch drehen, der Abend war verrückt genug für ein spektakuläres Comeback in der Nachspielzeit.

Ginter, ein anerkannt erstklassiger Kopfballspieler, bewegte sich also in die Flugbahn des Balles, da erreichte ihn ein Zwischenruf: "Lass ihn!", hieß es hinter seinem Rücken. Ginter bremste und gab damit den Weg frei für Valentino Lazaro, der sich mit großem Schwung in die Luft warf und zum Skorpion-Kick ansetzte wie einst Alfredo Di Stefano, Fritz Walter und Zlatan Ibrahimovic. Wie die ganze Welt durch die millionenfache Verbreitung der Videobilder sehr bald erfuhr, traf er den Ball perfekt und erzielte somit ein nach allen Kriterien der Kunst perfektes Tor. Bloß eine Sache stimmte nicht daran: Mehr als den Anschluss stellte er damit nicht her, Lazaros Borussen verloren ihr Duell mit Bayer Leverkusen 3:4. Immerhin spricht es für den Schützen, dass er nach seinem ausstellungswürdigen Treffer keine Zeit mit egozentrischem Jubel verschwendete.

Erst vor ein paar Monaten hat sich der 24 Jahre alte Profi aus Graz der Borussia angeschlossen. Lazaro hatte ein Jahr hinter sich, das ihm den großen Karrieresprung verschaffen sollte, doch Inter Mailand wusste nicht viel mit ihm anzufangen, obwohl man mehr als 20 Millionen Euro Ablöse an Hertha BSC bezahlt hatte. Schon nach einem halben Jahr schickte ihn Inter als Leiharbeiter auf die Insel, zu Newcastle United. Im Sommer folgte der Wechsel an den Niederrhein, wo er noch keine Hauptrolle einnehmen konnte, auch in Leverkusen war er bloß Einwechselspieler, doch verschaffte ihm sein Tor jetzt wenigstens einen Oscar als bester Nebendarsteller.

Dabei hatte dieses außerordentliche Spiel das außerordentliche Tor gar nicht mal nötig. Leverkusens Trainer Peter Bosz hatte mit Recht das große Ganze im Blick, als er mit leicht entrücktem Seufzen feststellte: "Jeder Fußball-Liebhaber muss dieses Spiel gesehen haben. Weil: Da war so viel drin!" Tatsächlich hat die Partie wie eine Werbeveranstaltung zugunsten des deutschen Profifußballs ausgesehen. Sie begann in der ersten Minute mit einer steil vorgebrachten Speed-Attacke der Leverkusener und endete in der Nachspielzeit mit einem letzten verzweifelten Flankenball der Borussen, den Lukas Hradecky aus der Luft pflückte. Zwischendurch gab es kaum eine Sekunde Ruhe und Stillstand, und trotzdem war es kein atemloses Gerenne und Gehetze zweier auf Pressing, Gegenpressing und noch mehr Pressing abgerichteten Einsatztruppen, sondern das Treffen zweier Teams, die den Sinn des Spiels im Angriff und im Toreschießen sehen.

Der verblüffend geglückte siebte Spieltag

Selbst Schiedsrichter Harm Osmers, der leider genötigt war, die jederzeit aufregende Begegnung zu beenden, trug zu deren Gelingen bei. Man hatte ihn nicht gesehen und nicht gehört, die Bühne überließ er den Spielern, und die machten das Beste daraus. Die Leverkusener freilich noch mehr als die Gäste, weshalb Marco Rose später große Mühe hatte, seine schlechte Laune zu verbergen. Er habe das Spiel nicht genießen können, sagte er im Kontrast zu seinem Leverkusener Kollegen: "Wenn man verliert, ist das ganz schwer." Den Sieg des Gegners nannte er fairerweise "verdient", die Leistung seiner Mannschaft bezeichnete er als "sehr ordentlich". Letzteres war nicht als Kompliment gemeint.

Leverkusen hatte insgesamt mehr zu bieten: mehr Tempo, mehr Einfallsreichtum, mehr Siegeswille, mehr Treffer - und mindestens einen Torwartfehler weniger. Yann Sommer hatte Bayer beim 2:2 kurz vor der Pause unterstützt, sein Pendant Hradecky hingegen konnte zweimal entscheidend eingreifen. Gegen Marcus Thuram und gegen Lars Stindl verhinderte er jeweils das 2:3. "Die besseren, größeren, klareren Chancen" habe sein Team gehabt, merkte Rose wahrheitsgemäß an, doch die größere Hitze ging von Bayer aus. Peter Bosz gab wieder, was er vor der Partie seinen just vom Europacup aus Israel zurückgekehrten Spielern gesagt hatte: "Wir gehen voll drauf. Wir machen Hochdruck. Wir lassen die nicht aufbauen. Wir geben denen keine Zeit am Ball." Angeberei des holländischen Trainers war das nicht, sondern bloß die Aufklärung darüber, wie dieses Spektakel zustande gekommen war.

Am Ende hatte das Spiel dann auch mehr zu bieten als anderthalb Stunden Action-Unterhaltung. Es setzte die Botschaft fort, die der verblüffend geglückte siebte Spieltag bereits am Samstag auf allen Ebenen gesendet hatte: Unter anderem ganz oben bei Dortmund gegen Bayern (2:3), ganz unten bei Mainz gegen Schalke (2:2) und mittendrin bei Stuttgart gegen Frankfurt (2:2). Hier und da war nach dem vorwiegend freudlosen Start in die Geisterspielsaison schon die Sinnfrage gestellt worden. Die Bundesliga zog sich mit all den ermauerten und erpressten 1:1 bereits selbst in Zweifel. Am Wochenende hat sie sich auf ihren Daseinszweck besonnen. Tore soll sie liefern, Freude soll sie machen und das Leben feiern, gerade in dieser trüben Zeit.

Valentino Lazaros Tor, logischer Kandidat für die Jahresbestenliste, hat dann sogar den bedrückten Trainer Marco Rose ein bisschen froh gemacht. "Das freut natürlich jeden Fußball-Liebhaber, und dann kannst du schon mal ganz kurz schmunzeln", bekannte er.

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