Kultur in Corona-Zeiten:"Einmal durchatmen"

Kultur in Corona-Zeiten: Viel Platz im Lustspielhaus: Sophia Mann bucht die Shows für die Bühne. Während Corona ist sie vor allem damit beschäftigt, Shows abzusagen.

Viel Platz im Lustspielhaus: Sophia Mann bucht die Shows für die Bühne. Während Corona ist sie vor allem damit beschäftigt, Shows abzusagen.

(Foto: Catherina Hess)

Buchen, verschieben, absagen: Wegen der Pandemie ist das Planen von Kulturveranstaltungen unmöglich geworden. Sophia Mann vom Lustspielhaus hadert dennoch nicht mit ihrem Beruf

Von Thomas Becker

Sich mit Sophia Mann zu treffen, war nie so einfach wie in diesem Monat. Alle Bühnen zu, keine Auftritte zu organisieren: Da hat die junge Frau, die Veranstaltungen für das Lustspielhaus und den "Eulenspiegel Flying Circus" bucht, ausnahmsweise richtig viel Zeit, zumal sie und die Kolleginnen von Till Hofmanns Team wieder in Kurzarbeit sind. "Fühlt sich gerade fast an wie Urlaub", sagt sie am langen Tisch der Galerie Truk Tschechtarow, direkt neben der Lach- und Schießgesellschaft. An den Wänden hängen Zeichnungen von Rattelschneck und Gerhard Seyfried, bei einer geht es um BiW, Bürger in Wut. Selbige könnte in einem angesichts der vertrackten Virenlage in der Tat drei Mal täglich hochkochen, aber bei Sophia Mann ist kein Gramm Grimm zu spüren. "Ist auch mal gut, durchzuschnaufen und sich zu sammeln. Das war schon ein Ritt die letzten Monate, eine Wahnsinnsanspannung."

Den Satz würden wohl sehr viele Kulturschaffende unterschreiben. Was Corona in den vergangenen acht Monaten bei Künstlern, Veranstaltern, Agenturen und all den angeschlossenen Berufssparten angerichtet hat, ist kaum in Worte zu fassen. Wer nicht in Fernsehen oder Radio präsent, sondern auf Bühnenauftritte angewiesen ist, gerät in Existenznot. Bühnenbetreiber, denen man nicht mit einer reduzierten Pacht entgegenkommt, stehen vor der Schließung. Und Booker, die nichts zu buchen haben, weil kein Mensch weiß, wann es wieder Konzerte, Lesungen und Kabarettabende geben wird? Was tun die jetzt? Das Unplanbare planen? Sophia Mann sagt: "Einmal durchatmen und dann neue Konzepte entwickeln."

Konzepte entwickelt sie schon ihr halbes Leben lang, und das währt an Heiligabend 30 Jahre. Den ersten Job als Bookerin übernimmt Sophia Mann mit 14. Sie wächst in Pasing auf, mit 13 schleppt sie ihre ältere Schwester Mira - man kennt sie von der Indie-Rock-Band Candelilla - mit zu ihrem ehrenamtlichen Job beim Verein Subkultur Fürstenfeldbruck, wo ein Dutzend Jugendliche Kulturveranstaltungen im Alten Schlachthof organisiert. 2010 gewann die Einrichtung den von der SZ vergebenen Tassilo-Preis für junge Künstler und Kulturmacher im Münchner Umland. Im Vorstand damals: Sophia Mann. "Ich habe mich da sofort wohlgefühlt", sagt sie. Auch das erste Konzerterlebnis ist noch präsent: "Die Brucker Band Spotfin Soap, damals noch mit Dobré." Im Jahr darauf traut sie sich den Job der Bookerin zu. "Eine Frühjahrs- und eine Herbst-Veranstaltungsreihe, im Sommer ein zweitägiges Open Air: ordentlich viel Arbeit. Veranstaltungen, Sitzungen, aufräumen, putzen, Getränkebestellungen, Finanzen, Gema-Rechte, einfach alles, was dazugehört. Eine tolle Schule, das Beste, was mir passieren konnte: eigenständiges Arbeiten." Die ersten Telefonate mit Bands und Musikern waren learning by doing: "Ich hatte zum Glück immer schon eine tiefe Stimme, klang also älter. Wenn die Band sagte, sie brauchen ein Amp gestellt, tat ich so, als wüsste ich, um was es geht. Dabei musste ich mich erst mal schlau machen, was das überhaupt ist."

Sieben Jahre später zieht sie zum Studium - Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte - in den Münchner Osten, nabelt sich ab von Fürstenfeldbruck. Drei Jahre macht sie das Booking für das Digitalanalog-Festival im Gasteig, später die Assistenz von Gerd Baumann beim Nockherberg-Singspiel, und nach dem Bachelor ein Praktikum im Lustspielhaus. Sechs Wochen später wird ein Job frei: die Circus-Krone-Veranstaltungen und das Eulenspiegel-Festival in Passau. Ein Sprung ins kalte Wasser, "hat aber funktioniert", sagt sie.

Seit fast sieben Jahren ist sie nun im Team, das Lustspielhaus-Booking übernahm sie vor fünf Jahren. "Kabarett ist schon eine lustige Branche. Ich fühle mich da sehr wohl." Pandemie hin oder her. Den Dezember habe man zwar noch im Plan, aber mehr als abwarten könne man derzeit nicht, sagt sie: "Es war schon deprimierend, gute Konzepte für den Winter gehabt zu haben - und dann die Absage zu bekommen." Sie hatten viel Arbeit in die Saalpläne gesteckt, damit es mit den Hygienebestimmungen passt, hatten noch das Leo 17 als Veranstaltungsort erschlossen und viele Gespräche mit dem Vorverkaufspartner München Ticket geführt - "und dann war alles vom einen auf den anderen Tag umsonst", sagt Sophia Mann.

Nun werde man nur noch kurzfristig entscheiden, sagt Mann, bis Frühjahr womöglich gar keine Bühne mehr öffnen und sich auf den Open-Air-Sommer konzentrieren. Ihr Chef Till Hofmann sagt am Telefon: "Das Indoor-Programm halten wir auf Stand-by, falls es losgehen sollte. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das im Dezember gleich wieder klappt." Im Sommer habe es ja gut funktioniert. "Da haben die Leute auch keine Angst, weil's eben draußen ist. Es fühlt sich jedenfalls gut an, erst mal so zu planen: Wir buchen jetzt den nächsten ,Eulenspiegel Flying Circus': 120 Tage im Innenhof des Deutschen Museums, von Mai bis Ende September. Wir werden viel mit Hannes Ringlstetter, Herzblut und unbekannteren Bands machen", sagt er. Es sei spannend, mit kleinen Festivals neu anzufangen. "Und es ist gut, dass da auch mal Vorlauf ist. Im Sommer haben wir alles innerhalb von zwei Wochen organisiert."

Gerade ist er auf dem Weg nach Deggendorf: neue Spielplätze erschließen. Unverzichtbar sei die permanente Suche nach größeren Räumen, betont auch Sophia Mann. "Wir fragen uns schon: Wie zukunftsträchtig sind Lustspielhaus und Lach- und Schießgesellschaft mit ihren durch die Bestuhlung ja doch beengten Verhältnissen? Auch wenn ein Impfstoff da ist, glaube ich nicht, dass die Leute Lust haben werden, zu sechst an einem Tisch zu sitzen, wenn man sich nicht kennt." Mit den derzeit geltenden Abstandsregeln sehen die möglichen Zuschauerzahlen in den Kabarettbühnen des Till-Hofmann-Reiches so aus: 80 statt 260 im Lustspielhaus, 35 statt 110 in der Lach- und Schießgesellschaft, 35 statt 100 im Vereinsheim, 160 statt 500 im Leo 17. Doch derzeit steht überall erst mal die Null, und die leuchtet eher rot als schwarz.

Immerhin sei das ewige on-off der vergangenen Monate besser geworden, sagt Sophia Mann: "Im Frühjahr hatten wir noch gedacht, dass man im Mai wieder spielen kann, dass sich das in ein paar Wochen erledigt hat." Man habe von Woche zu Woche geplant, was ganz schön anstrengend war. Jetzt sei es angenehmer zu wissen: Im November ist einfach nichts. So gebe es immerhin Klarheit. "Wir haben ja schon schöne Sachen realisiert - da kann man froh drüber sein." Sommerurlaub hatte Sophia Mann keinen geplant: "Das hätte heuer auch nicht geklappt." Eine Woche im September war sie in Italien: "Schön, mal fern von allem zu sein. Aber ich stand trotzdem die ganze Zeit unter Strom, war mit dem Kopf bei den anstehenden Großveranstaltungen." Zum Beispiel bei Hazel Brugger, Anfang Oktober im Circus Krone. Vier Shows an zwei Tagen waren geplant, alle Kunden benachrichtigt, wer an welcher Veranstaltung teilnehmen darf: "Wir hätten eine Sondergenehmigung für 350 Plätze gebraucht statt der erlaubten 200", sagt Mann, "waren auch optimistisch, auf 350 hochgehen zu dürfen, weil Philharmonie und Staatsoper schon vor 500 Zuschauern gespielt hatten - und dann mussten wir allen Gästen einen Tag vorher wieder absagen." Wie man da optimistisch bleibt? "Klar war da zunächst Frustration. Aber wir haben alle eine gute Energie, einen guten Teamgeist, und Tills niederbayerische Mentalität pusht uns immer wieder. Er findet immer Lösungen, und wir vertrauen ihm alle, dass das irgendwie über die Bühne geht und er uns da quasi durchbringt", sagt Sophia Mann.

Hofmann hatte gleich zu Beginn von Lockdown eins die Idee zur BR-Sendung "Trost, Kraft und Kolleginnen", womit sein Team dann fünf Wochen beschäftigt war. "Sonst hätte es keine Arbeit gegeben, und wir wären alle zu Hause gesessen", erzählt Mann. Ober-Optimist Hofmann witzelt derweil: "Ich hock' ja meistens im Baadercafé mit dem Baumann. Genau weiß ich auch nicht, was die so arbeiten im Büro. Haut jedenfalls gut hin. Good energy 2020." Sophia Mann sagt: "Mit Till sind wir schon in einer privilegierten Situation, im Gegensatz zu manch Anderen. Ich hoffe nur, dass bei denen die Hilfen jetzt auch mal ankommen, die es schwerer haben, gehört zu werden." Auch die Künstler-Agenturen, mit denen sie ständig in Kontakt ist, treffe die Krise besonders hart: "Viele hadern mit ihrer Existenz. Manche junge Agenturen haben noch keine Rücklagen gebildet." Noch habe niemand aufgegeben, auch dank der Perspektive im nächsten Sommer. "Auch bei denen steckt so viel Herzblut drin. Die sagen: 'Ich möchte einfach nichts anderes arbeiten. Das ist einfach mein Leben!'"

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