Prantls Blick:Der Anfang einer neuen Friedensbewegung?

Friedenstaube auf einem Aufnäher *** Peace dove on a patch

Friedenstaube auf einem Aufnäher: In den 80ern war die weiße Taube auf blauem Grund Symbol der Friedensbewegung.

(Foto: imago images/Christian Ohde)

Keine deutschen Waffen mehr in den Händen von Kindersoldaten, keine Rüstungsexporte in Konfliktländer: 40 Jahre nach dem Krefelder Appell will der Frankfurter Appell die Abrüstung wieder voranbringen.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Auf dem Papier steht Deutschland vorzüglich da. Auf dem Papier gibt es in der Bundesrepublik viele politische Grundsätze und Richtlinien zur Kontrolle von deutschen Rüstungsexporten. Einige dieser Grundsätze sind relativ neu. Sie lesen sich sehr gut; sie sind aber nicht gut, weil es sich nicht um rechtsverbindliche Regeln handelt.

Unter das strenge Kriegswaffenkontrollgesetz fällt nur ein kleiner Teil der Rüstungsgüter; die große Mehrheit der Rüstungsgüter fällt unter das Außenwirtschaftsgesetz. Pistolen, Revolver und die meisten Gewehrmodelle ("Kleinwaffen" genannt) werden nach diesem vergleichsweise lockeren Gesetz behandelt. In den "Politischen Grundsätzen" der Bundesregierung von 2019 wird dazu ausgeführt, dass es ein übergeordnetes Ziel der staatlichen Rüstungsexportpolitik sei, das Risiko der Weiterverbreitung dieser sogenannten Kleinwaffen und der leichten Waffen zu minimieren.

Löchrigkeit und Halbherzigkeit

Es wäre schön, wenn es so wäre; es ist aber nicht so. Die genannten Grundsätze können von der Bundesregierung und von den Rüstungsfirmen ohne rechtliches Risiko ignoriert werden. In Wirklichkeit ähnelt das deutsche Konstrukt der Rüstungskontrolle daher nach wie vor einem Schweizer Käse. Opfer der alten Löchrigkeit und der neuen Halbherzigkeit sind Menschen wie Innocent Opwonya aus Uganda. Er war noch keine zehn Jahre alt, als er als Kindersoldat rekrutiert wurde. Die Waffe, mit der er kämpfen musste, war ein deutsches Sturmgewehr.

Innocent Opwonya berichtet heute, Jahre später, so darüber: "Als mein zehnter Geburtstag nahte, trat der Teufel über meine Türschwelle. Ich wurde nachts von der Lord's Resistance Army entführt und zu einem ihrer Verstecke in der Darfur-Region im heutigen Südsudan gebracht. Ich war noch so jung und musste mit ansehen, wie mein Vater direkt vor meinen Augen erschossen wurde, als er versuchte, mir zu helfen. Ich hatte keine Alternative, ich musste eine Waffe in die Hand nehmen und um mein Überleben kämpfen. Die Waffe, die ich von den Rebellen bekam, war ein deutsches G-3-Sturmgewehr."

Deutsche Waffen für Kinderrechtsverletzer

Die Studie, welche die beiden Hilfsorganisationen Brot für die Welt und Terres des Hommes soeben dazu vorgelegt haben, heißt: "Kleinwaffen in kleinen Händen"; der Untertitel: "Deutsche Rüstungsexporte verletzen Kinderrechte". Darin geht es vor allem um die Rüstungsexporte, die schwere Verletzungen von Kinderrechten begünstigen.

Es ist dies eine sehr brisante Studie, weil sich Deutschland als treibende Kraft sieht bei den Bemühungen zum Schutz von Kindern in Konfliktregionen - und sich etwas darauf zugutehält. Die Studie sieht das anders: Sie zeigt auf, welche fatalen Auswirkungen bewaffnete Gewalt in Krisengebieten auf Kinder und Jugendliche hat; und sie legt dar, dass fast alle Staaten, denen von den Vereinten Nationen schwere Kinderrechtsverletzungen vorgeworfen werden, seit 2014 deutsche Waffen erhalten haben. Das ist das Fazit vom Autor der Studie, Christopher Steinmetz, vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit.

Ein umfassendes Rüstungsexportkontrollgesetz

Seine Studie dokumentiert deutsche Genehmigungen für Rüstungsexporte in zahlreiche Konfliktländer - und macht deutlich, dass Deutschland damit gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen verstößt. In den Jahren von 2015 bis 2019 hat Deutschland allein an Länder der saudisch-geführten Militärkoalition im Jemen Rüstungsexporte im Wert von mehr als 6,3 Milliarden Euro genehmigt.

Drei Faktoren befördern die ungehinderte Verbreitung deutscher Waffen und deutscher Munition: Lizenzproduktion, unkontrollierte Weitergabe und Munitionsexporte. Diese Erkenntnis muss Auswirkungen haben auf die deutsche Rüstungsexportpolitik: Es braucht nicht nur ein Kriegswaffenkontrollgesetz, es braucht ein umfassendes Rüstungsexportkontrollgesetz, das auch die Exporte sogenannter "Kleinwaffen" wie Sturmgewehre verbietet; es braucht einen Stopp aller Rüstungsexporte in kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten.

Ein Impfstoff für den Frieden

Womöglich ist diese neue Studie die Initialzündung für einen neuen Friedensappell, der "Abrüsten statt Aufrüsten" heißt. Eine Initiative dieses Namens (getragen unter anderem von Vertretern der Welthungerhilfe, von Greenpeace, DGB, IG-Metall, Ver.di, dem Friedensratschlag, dem Deutschen Kulturrat und Fridays for Future) hat im Oktober einen "Frankfurter Appell" publiziert und ruft zum bundesweiten Aktionstag am 5. Dezember auf; er soll die Proteste gegen die Haushaltsberatungen des Bundestags einleiten, bei denen es unter anderem um die Steigerung der Rüstungsausgaben geht - zum Beispiel für waffenbestückte Drohnen; oder für das Technische Luft-Verteidigungs-System TLVS; Experten schätzen dessen Kosten bis zum Jahr 2030 auf 13 Milliarden Euro.

Ausrüsten und abrüsten - statt aufrüsten

Der neue "Frankfurter Appell" bezieht sich ausdrücklich auf den "Krefelder Appell" gegen den Nato-Doppelbeschluss, der jetzt genau vierzig Jahre alt ist. Diesem Krefelder Appell haben sich damals, im Jahr 1980, fünf Millionen Menschen angeschlossen; er spielte eine wichtige Rolle für die damalige Friedensbewegung. Der Krefelder Appell hatte sich in den frühen achtziger Jahren gegen die Stationierung von neuen atomaren Mittelstreckenraketen in Westeuropa gewandt.

Damals, es war die Zeit der Menschenketten und der Friedensfackeln, war der Pazifismus eine Massenbewegung; die halbe Republik bestand aus atomwaffenfreien Zonen und jeder zweite Deutsche hatte große Sympathien für die Friedensbewegung. Der Sticker mit der weißen Taube auf blauem Grund war damals auch so eine Art Mitgliedsausweis für eine Massenbewegung, die für die Mehrheitskultur der achtziger Jahre stand.

"Auf- und Hochrüstung ist keine Antwort", heißt es in dem Appell

Die neue Friedensinitiative wendet sich gegen das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für militärische Zwecke auszugeben. Die Zwei-Prozent-Zahl ist ziemlich irrational; rational ist aber die Rechnung, die sich dem anschließt: Deutschland müsste 70 bis 80 Milliarden Euro für Aufrüstung ausgeben, horrend mehr als die aktuellen 50 Milliarden. Die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat in einer Grundsatzrede noch vor der US-Wahl der Nato und den USA versprochen, dass die deutschen Verteidigungsausgaben steigen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diese Zusage bekräftigt.

Der "Frankfurter Appell" hält dagegen: "Auf- und Hochrüstung ist keine Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit. Sie verschärft die Gefahr neuer Kriege und verschwendet wertvolle Ressourcen, die für eine friedliche Weltordnung dringend gebraucht werden - für den Klimaschutz, die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Entwicklungszusammenarbeit und die Verwirklichung der Menschenrechte." Die doppelte Gefahr eines "Selbstmords der menschlichen Zivilisation" sei denkbar geworden - durch die Hochrüstung und durch die ungelösten sozialen und ökologischen Krisen.

Die marode Bundeswehr: Aufrüstung, Abrüstung und Ausrüstung

Zwischen Aufrüstung und Abrüstung gibt es allerdings noch etwas Drittes: die Ausrüstung. Die Bundeswehr ist fraglos marode - materiell und organisatorisch. Um das zu ändern, braucht es die finanziellen Mittel dafür, aus Verantwortung für die Soldaten. Die Soldatinnen und Soldaten, die im Auftrag der Bundeswehr arbeiten, sollten so ausgerüstet werden, dass sie "aus den Einsätzen auch so zurückkommen, dass sie von ihren Kindern wieder begrüßt werden können", sagt Henning Otte, der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Also ausrüsten und abrüsten.

175 000 Unterschriften hat die neue Friedensinitiative schon gegen die Aufrüstung gesammelt. Bis zu den fünf Millionen von vor vierzig Jahren ist es noch ein Stück.

Derzeit redet alle Welt von einem Impfstoff gegen Corona. Vielleicht sind Initiativen wie "Abrüsten statt Aufrüsten" ein Impfstoff für den Frieden.

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