Europa:Erpressern darf man nicht nachgeben

Mateusz Morawiecki, Viktor Orban

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (links) und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orbán müssen befürchten, dass die EU-Kommission bald Geld zurückhält.

(Foto: Czarek Sokolowski/AP)

Die EU wird Regierungen, die Richter drangsalieren, bald die Fördermittel kappen können. Gut so. Auch wenn Ungarn und Polen nun im Gegenzug den Etat blockieren, am Ende müssen sie einlenken.

Kommentar von Björn Finke, Brüssel

Das Gezanke zieht sich seit Monaten hin, aber nun kam endlich der Tag der Wahrheit. Am Montag machten die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten den Weg frei für den ebenso umstrittenen wie revolutionären Rechtsstaatsmechanismus: Regierungen, die Richter drangsalieren und ihr Handeln über das Gesetz stellen, drohen in Zukunft Kürzungen der EU-Fördergelder. Das sind exzellente Nachrichten für Europa - und schlechte für die zunehmend autoritären Regierungen in Polen und Ungarn. Warschau und Budapest waren wenig überraschend gegen die neue Regelung, wurden jedoch überstimmt und wollen jetzt zurückschlagen: indem sie den EU-Etat für die kommenden sieben Jahre und den Corona-Hilfstopf blockieren.

Damit eskaliert dieser Streit, und der Einsatz ist hoch, denn jede Verzögerung bedeutet, dass dringend benötigte Hilfszahlungen aus Brüssel später ankommen werden in klammen Staaten wie Italien. Eine wichtige Rolle übernimmt hier die Bundesregierung. Berlin führt die Verhandlungen, da Deutschland noch bis Jahresende die Ratspräsidentschaft innehat. Und Berlin hat trotz aller Risiken zu Recht entschieden, die Konfrontation mit Polen und Ungarn zu suchen und nicht klein beizugeben. Manche Kämpfe lohnen sich, auch wenn der Preis heftig ist - und dieser Kampf fällt definitiv in diese Kategorie.

Die Sanktionen hätten noch schärfer ausfallen können

Zwar verfügt die EU bereits über einen Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Aber diese sogenannten Artikel-7-Verfahren haben sich bei Polen und Ungarn als kraftlos erwiesen. Nötig ist daher eine Klausel, die einfacher anzuwenden ist und die Übeltäter da trifft, wo es wirklich wehtut: bei den Fördermilliarden aus Brüssel. Der neue Mechanismus ist nicht perfekt, er hätte noch härter ausfallen können, doch er ist eine deutliche Verbesserung zum Status quo. Genau deswegen lehnen ihn die Regierungen in Polen und Ungarn so vehement ab. Ihr Widerstand ist ein Ritterschlag für die Klausel.

Sich den beiden Erpressern zu beugen, um Verzögerungen beim Etat zu vermeiden, ist keine Option. Denn damit würde sich die EU vom Anspruch verabschieden, eine Wertegemeinschaft zu sein. Zugleich wäre es eine Zumutung für die Steuerzahler jener Staaten, aus denen die meisten Fördermilliarden stammen, zum Beispiel Deutschland oder die Niederlande. Es ist gut, dass reiche Staaten ärmere unterstützen - aber es muss verhindert werden, dass autoritäre Regierungen das Geld nutzen, um ihre Macht zu zementieren und Oligarchenfreunde zu päppeln.

Polen und Ungarn brauchen einen gesichtswahrenden Rückzug

Zudem spricht für eine harte Linie, dass der Kampf leicht zu gewinnen ist. Polen und Ungarn sind erzürnt über den Rechtsstaatsmechanismus, doch sie werden Corona-Topf und Etat nicht ewig aufhalten. Schließlich würden sie sich damit selbst schaden: Die von ihnen gehasste Klausel kommt so oder so; Warschau und Budapest können nur noch entscheiden, ob die EU-Gelder pünktlich fließen werden oder nicht. Jede Verzögerung träfe auch sie - beim normalen Haushalt wie beim Corona-Fonds gehören sie zu den großen bis größten Profiteuren.

Die spannende Frage ist daher, ob und wie es Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki, den Regierungschefs aus Ungarn und Polen, gelingt, eine gesichtswahrende Wende hinzulegen. Bei der Suche nach einem nicht zu würdelosen Rückzug können ihnen ihre EU-Kollegen, etwa Angela Merkel, behilflich sein. Aber nachgeben in der Sache dürfen sie nicht.

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FILE PHOTO: EU leaders summit in Brussels

Leserdiskussion
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