Coronavirus:Lesen, Schreiben, Masketragen

Coronavirus: Eine Maskenpflicht an Grundschulen erschwert besonders den Erstleseunterricht.

Eine Maskenpflicht an Grundschulen erschwert besonders den Erstleseunterricht.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Immer mehr Kommunen verlangen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auch im Unterricht an Grundschulen. Eltern schlagen Alarm, und Fachleute fordern maßvolle Maßnahmen.

Von Christina Berndt

Leonie leckt immer an ihrer Maske, die wird dann ganz "nass und eklig", wie sie sagt. Felix hat am Anfang geweint, als er hörte, dass er sogar im Sportunterricht eine Maske tragen soll, aber mittlerweile hat er sich daran gewöhnt. Und Sarah hat ihre Maske sogar richtig gern, sie malt immer ein Mäusegesicht drauf. Deutschlands Grundschüler lernen nicht nur Lesen, Schreiben, Rechnen, sondern auch Masketragen. In immer mehr Bundesländern und Kommunen gilt mittlerweile eine durchgängige Maskenpflicht auch für die Jüngsten - auf dem Schulweg, auf den Fluren der Schule, während des Unterrichts, in der Pause und sogar beim Sport.

Für die Kinder heißt das: Sie leben bis zu neun Stunden täglich mit der Maske vor dem Mund, nur zum Essen darf sie runter. Das ist weitaus länger, als die allermeisten Erwachsenen Mund und Nase bedecken müssen. Dennoch ist es gut möglich, dass die Mund-Nasen-Bedeckung demnächst an allen Grundschulen deutschlandweit vom ersten bis zum letzten Klingeln gelten wird - das jedenfalls wünschen sich Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Pädagogen sehen das Maskentragen in Grundschulen kritisch

Unter Eltern ist das Unbehagen jedoch groß. Bei allem Respekt für den nötigen Schutz vor der Pandemie: Kann das für die Kleinsten gut sein? Schließlich betrachten auch Pädagogen das Maskentragen für Erst- und Zweitklässler im Unterricht kritisch: "Kinder im Erstleseunterricht sind besonders auf klare Artikulation sowohl der Lehrerin als auch der Mitschüler angewiesen", sagt etwa der Erziehungswissenschaftler und Grundschulpädagoge Jörg Ramseger von der Freien Universität Berlin. Das werde durch eine Mund-Nasen-Bedeckung zweifellos erschwert, was vor allem für Nicht-Muttersprachler ein Problem sei. Für diese Schülergruppe bedeute die Maskenpflicht im Grundschulunterricht "eine enorme Beeinträchtigung des Lernens", sagt Ramseger.

Die Elterninitiative "Familien in der Krise" hat deshalb vor Kurzem zum Protest in Wiesbaden aufgerufen, als die Stadt eine Maskenpflicht auch an Grundschulen im Unterricht verhängen wollte. "Wir verstehen, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, um die steigenden Infektionszahlen zu verringern", schreiben die Eltern. Doch dies werde zu Unrecht "auf dem Rücken der Kinder ausgetragen". Grundschulen spielten eine so kleine Rolle für die Ausbreitung der Infektion, dass diese Maßnahme weder verhältnismäßig noch zweckmäßig sei.

Dem stimmen im Großen und Ganzen auch Deutschlands Kinderärzte zu. Sie halten die Masken nicht für schädlich, aber außerhalb extremer Infektions-Hotspots auch nicht für besonders sinnvoll. "Befürchtungen, Masken könnten die Atmung beeinträchtigen, die Versorgung mit Sauerstoff gefährden oder zu einer gefährlichen Anreicherung von Kohlendioxid führen, sind unbegründet", heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte sowie der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Auch führten Masken nicht zu seelischen Problemen. "Vielmehr schützen sie das tragende Kind und eventuell auch seine Umgebung." Eltern sollten den Kindern das Masketragen empathisch erklären, zum Beispiel mit der Erklärung, dass es ältere Menschen wie Oma und Opa schützt. "Es tragen schon die Kleinsten anstandslos Masken, wenn ihnen das gut vermittelt wird", sagt die Kinder- und Jugendpsychiaterin Renate Schepker vom Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg, die die Stellungnahme mitunterzeichnet hat.

Grundschulen sind keine Infektions-Hotspots

Allerdings tragen Kinder unter zehn Jahren nach derzeitigem Kenntnisstand kaum zum Infektionsgeschehen in Deutschland bei. Deshalb sei der Nutzen der Masken an Grundschulen im Vergleich zu den Unannehmlichkeiten des stundenlangen Masketragens gering. "Grundschulen sind keine Hotspots für die Infektionen", sagt DGPI-Vorstand Johannes Hübner, stellvertretender Leiter der Kinderklinik an der Universität München. "In Gebieten mit hoher Inzidenz werden natürlich Infektionen in Schulen hineingetragen, aber es gibt bislang kein Ausbruchsgeschehen an Grundschulen." Deshalb sollte mit den Maßnahmen Maß gehalten werden. "Kinder ab 6 Jahren können optional eine Maske tragen, aber sie sollten nicht dazu gezwungen werden und sie sollten sie jederzeit abnehmen können, wenn sie dies möchten", verlangt die Stellungnahme.

Denn: "Sechs, sieben oder gar neun Stunden mit einer Maske - das ist sehr, sehr lang für ein Kind", sagt Renate Schepker. Sollte wegen zunehmender Infektionen demnächst doch eine Maskenpflicht an Grundschulen im Unterricht unumgänglich sein, dann sei es wichtig, die Regeln anzupassen. "Es muss dann für die Schüler Möglichkeiten geben, die Maske auch mal abzunehmen", fordert Reinhard Berner, der Direktor der Kinderklinik an der Universität Dresden. Berner plädiert für verkürzte Unterrichtsstunden und gestaffelte, verlängerte, maskenfreie Pausen. "Kreatives Umgehen mit Pausen kann die Belastung reduzieren", sagt auch Renate Schepker.

Eines ist jedenfalls nach Ansicht der Kinder- und Jugendärzte noch viel unangenehmer als das Masketragen auch im Unterricht: Wenn die Schüler wie im Frühjahr wieder zu Hause bleiben müssen. "Solange das Maskentragen eine Möglichkeit ist, einen Shutdown der Schulen zu verhindern", sagt Renate Schepker, "dann ist es für alle ein Gewinn."

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