Abriss eines Ladenzentrums:Medizinische Versorgungslücke in Neuabing

Abriss eines Ladenzentrums: Meike Tissen und Tanja Goldbrunner betreiben eine Gemeinschaftspraxis im Ladenzentrum an der Wiesentfelser Straße.

Meike Tissen und Tanja Goldbrunner betreiben eine Gemeinschaftspraxis im Ladenzentrum an der Wiesentfelser Straße.

(Foto: Robert Haas)

2022 wird das Ladenzentrum an der Wiesentfelser Straße abgerissen. Die dort ansässigen Mediziner und Apotheker können frühestens 2023 neue Räume in Freiham bekommen. Die Patienten laufen Gefahr, ihre vertrauten Ärzte zu verlieren.

Von Ellen Draxel, Neuaubing

Angst um die künftige medizinische Versorgung im Viertel lässt Ärzte aus Neuaubing Alarm schlagen. An zwei Standorten wurden Praxen schon vor Monaten gekündigt. Alternativen haben sich bis heute nicht gefunden - trotz intensiver Suche. "Ich werde mehrmals am Tag von meinen Patienten gefragt: ,Nicht wahr, Frau Doktor, Sie bleiben doch da, Sie gehen nicht weg'?" berichtet Tanja Goldbrunner. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Meike Tissen betreibt die Hausärztin eine Praxis an der Wiesentfelser Straße 68. Sie weiß: "Die Angst, den vertrauten Arzt in der Nachbarschaft zu verlieren, treibt die Leute echt um." Manche Patienten besuchen die Praxis schon seit 50 Jahren. "Die", sagt Goldbrunner, "kann ich doch jetzt nicht alleine lassen".

Der Ort, an dem die Allgemeinmedizinerinnen praktizieren, befindet sich in einem Ladenzentrum, das 2022 abgerissen werden soll. Der Termin war Goldbrunner und Tissen bereits bekannt, als sie die Praxis vor drei Jahren von ihrem Vorgänger übernahmen. Nur waren die beiden damals fest davon überzeugt, als "Grundversorger" problemlos alternative Räume in der nahen Umgebung zu bekommen, insbesondere in Freiham. Auch die anderen medizinischen Mieter des Ladenzentrums, eine weitere Internistin, zwei Zahnarztpraxen, eine Physiotherapeutin und eine Apotheke, dachten so. Tatsache aber ist: Von 2022 an gibt es - Stand jetzt - keine adäquaten, fertiggestellten Räume in Freiham-Nord, in die sie umziehen könnten. Bei einem Treffen mit Vertretern von Stadt, Stadtteilmanagement und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und Gewofag habe man zwar "sehr konstruktiv" gesprochen, lobt Goldbrunner. Allein: "Es kristallisierte sich heraus, dass es keine sofortige Lösung gibt." Weshalb alle Mieter bis auf die Internistin, die ins Ärztehaus nach Freiham-Süd zieht, noch "auf der Suche" sind.

Im Sommer hatte die Gewofag Goldbrunner und Tissen bereits kleinere Gewerbeflächen in Freiham angeboten. Doch die Medizinerinnen brauchen zusammenhängende 250 Quadratmeter im Erdgeschoss. Und die GWG, der das Ladenzentrum gehört, bot den Ärzten an, 2025 in den Neubau an der Wiesentfelser Straße 68 einzuziehen. Unklar dabei blieb allerdings, wo die Mieter in der Zwischenzeit hin sollen.

Noch werden Optionen geprüft. Eine davon hat die Wohnungsgenossenschaft München-West angeboten. "Wir haben zwei Baufelder in Freiham und würden einen Teil unserer Gewerbeflächen gerne an Ärzte vermieten", sagt Vorstand Thomas Schimmel. Gut 500 Quadratmeter hätte die Genossenschaft auf ihrem Grundstück am Knick der Wiesentfelser Straße südlich der Grundschule an der Gustl-Bayrhammer-Straße zu vergeben. Eine ideale Lage, nur rund 200 Meter vom jetzigen Standort entfernt. Einziger Haken: "Unsere Gebäude werden erst Anfang 2023 fertig sein. Schneller geht es nicht." Bei einem Auszug 2022 aus den alten Räumlichkeiten bliebe demnach eine Lücke von einem Jahr.

Wäre es also aus GWG-Sicht denkbar, den Abriss des Ladenzentrums um ein Jahr zu verschieben, um die ärztliche Versorgung bis 2023 sicherzustellen? "Der ganze Projektlauf müsste dann geändert werden, zusätzliche Instandhaltungsinvestitionen würden erforderlich", sagt Unternehmenssprecher Michael Schmitt. Hausärztin Goldbrunner könnte sich auch vorstellen, leer stehende Büroflächen zwischenzunutzen. "Es wäre jedenfalls schön, wenn sich jemand für eine Interimslösung melden würde." Zumal bereits zwei Ärzte aus der benachbarten Riesenburgstraße 40 fehlen: Allgemeinmediziner Erich Brosch ist nach 40 Jahren im Viertel ans Westkreuz gezogen. Und Kinderarzt Peter Feiereisen betreut seine Patienten nach 21 Jahren in Neuaubing künftig in der Praxis seines Kollegen Florian Bauer an der Ecke Aubinger/Leienfelsstraße.

Eine Stadtteilentwicklung ohne wohnortnahe ärztliche Versorgung sei "undenkbar", kritisieren die Lokalpolitiker. Stadträte haben die Problematik zusätzlich auch für andere, ebenfalls stark wachsende und extrem unterversorgte Randbezirke erkannt, etwa in Feldmoching-Hasenbergl, Allach-Untermenzing, Milbertshofen-Am Hart und Berg am Laim. Vor allem die hausärztliche Grundversorgung sei künftig bei "Bauleitplänen stärker zu berücksichtigen", beantragt etwa die Fraktion ÖDP/Freie Wähler. In Freiham-Nord ist ein reines Ärztehaus laut dem Sprecher des Planungsreferats zwar erst im zweiten Realisierungsabschnitt umsetzbar. Einzelne Praxen jedoch, erklärt Thorsten Vogel, seien "prinzipiell in allen Wohngebieten und auch in den Kerngebietsflächen möglich".

Wo sich Mediziner niederlassen können, hängt von der Planung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) ab - und München gilt als eine mit Kinderärzten gut und mit Hausärzten sogar überversorgte Stadt, erhält also keine Neuzulassungen. Dass die meisten Ärzte im Zentrum sitzen, interessiert dabei nicht. Im bayerischen Gesundheitsministerium hat man trotzdem "die zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften um Prüfung etwaiger Verbesserungsmöglichkeiten gebeten". Allerdings führten laut Angaben der KVB "verschiedene untersuchte Teilungsszenarien bislang zu keinen bedarfsplanerisch sinnvollen Ergebnissen". Konkrete Anhaltspunkte, aufsichtsrechtlich einzuschreiten, sieht man im Ministerium angesichts der "guten Infrastruktur mit regelmäßig verkehrendem öffentlichen Personennahverkehr" derzeit nicht. Für viele Ärzte und betagte Patienten klingt das wie Hohn: "Für unsere Patienten ist schon Freiham-Süd zu weit weg", sagt Tanja Goldbrunner.

Versorgung am Stadtrand

Nach dem Statistischen Jahrbuch 2020 mit Zahlen zum 31. Dezember 2019 betreut ein Arzt im gesamtstädtischen Vergleich 392 Münchner. Im Stadtbezirk Aubing-Lochhausen-Langwied muss er sich um nahezu die dreifache Anzahl an Patienten kümmern: um 1067. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied bei Fachärzten, ein eklatantes Defizit zeigt sich aber auch bei Haus-, Kinder- und Zahnärzten. Der Bezirksausschuss hat deshalb bereits wiederholt ein Ärztekonzept für den Stadtbezirk gefordert, insbesondere angesichts des sukzessiven Zuzugs von 30 000 Menschen nach Freiham. eda

Und die Stadt? Aus Sicht des Referats für Gesundheit und Umwelt sind kommunale Einflussmöglichkeiten auf Ärzte-Niederlassungen "eher gering". Dennoch steht die Behörde mit der KVB und den Krankenkassen "im Austausch, um für die gesamte Stadt eine gleichmäßigere Verteilung der Arztsitze zu erreichen". Die Gespräche wurden zwar wegen Corona unterbrochen, sollen "aber sobald wie möglich wieder aufgenommen" werden, versichert die Sprecherin.

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