Corona-Warn-App:Push-Nachricht: "Einmal durchlüften, bitte!"

Die Corona-App zeigt an erhöhtes Risiko

Hartnäckiger nachfragen: Die Warn-App soll erweitert werden - und Nutzer künftig mehr motivieren, ein positives Testergebnis auch zu melden.

(Foto: Florian Gaertner/imago images/photothek)

Die Bundesregierung plant neue Funktionen für die Corona-App. Warum dauert die Entwicklung eines Kontakttagebuchs und einer Cluster-Erkennung so lang?

Von Philipp Bovermann

Als die Corona-Warn-App im Juni erschien, wirkte es, als sei der Bundesregierung etwas gelungen, womit ausnahmsweise einmal alle zufrieden waren. Datenschützer hatten nichts zu beanstanden, die Download-Zahlen entwickelten sich gut. Dann kam der Sommer - und es passierte, nach Ansicht einer steigenden Zahl von Kritikern: nicht viel. Fehler wurden teils monatelang nicht behoben, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Übertragungen in Clustern und über Aerosole bildeten sich nicht im Design der App ab. Die Grünen forderten im Oktober eine "Corona-App 2.0". Jetzt, Mitte November, wird deutlich, wie sich die Bundesregierung die Weiterentwicklung der Corona-Warn-App vorstellt. Die großen Baustellen bleiben aber vorerst unbearbeitet.

Die Strategie von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn lässt sich einem "Bericht zur Weiterentwicklung" der App entnehmen. Das Papier liegt der SZ vor und adressiert eines der wesentlichen Probleme: Nur rund 60 Prozent der Nutzer teilen ein positives Testergebnis mit der App, die daraufhin Warnungen an Kontaktpersonen verschickt. Künftig soll die App hartnäckiger nachfragen, ob der betreffende Nutzer sein Testergebnis teilen möchte. Das erste Mal zwei Stunden nachdem der Positiv-Test zugestellt wurde, dann zwei weitere Stunden später nochmal, sobald sich "der Benutzer etwas gefasst" hat, wie es in dem Bericht heißt. Die Meldung soll aber freiwillig bleiben. Damit die Nutzer sich häufiger mit der App beschäftigen, soll sie künftig Informationen zum Pandemieverlauf und Kennzahlen zur Warn-App liefern, wie es etwa die irische und die belgische App bereits tun.

Zwei weitere Funktionen befinden sich laut dem Papier "in Prüfung": Ein Kontakttagebuch, mit dem man innerhalb der App regelmäßig festhalten kann, wen man getroffen hat. Und eine "Cluster-Erfassung". Also jene Punkte, deren Fehlen bereits im Sommer häufig die Kritik an der App begründete. In der Beschlussvorlage für die Bund-Länder-Konferenz vom Montag heißt es, die betreffenden Funktionen sollen "wenn möglich zeitnah in 2021" umgesetzt werden.

Die Erkennung von Infektions-Clustern ist "das A und O"

Den Kritikern dauert das viel zu lang. Henning Tillmann, Co-Vorsitzender des SPD-nahen Think Tanks D64, sagt am Telefon, als Software-Entwickler sei er ratlos, was an der Entwicklung eines Kontakttagebuchs so lang dauern könne. Es handle sich um eine simple Notizfunktion, die man innerhalb weniger Stunden programmieren könnte. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckhardt sagte am Dienstag, es sei auf dieser Grundlage nicht anzunehmen, dass die App nun "aufbereitet wird als ein wirklich gut funktionierendes Instrument". Eine Cluster-Erkennung halte sie "für das A und O". Das entspricht der Einschätzung von Christian Drosten. Der Virologe äußerte bereits im August, er halte die Eindämmung von Infektions-Clustern für wichtiger und effizienter als die Nachverfolgung einzelner Infektionen - womit viele Gesundheitsämter ohnehin überfordert sind.

Der Grund für diesen geforderten Strategiewechsel war die Erkenntnis, dass die meisten Infektionen auf wenige Überträger, sogenannte "Superspreader", zurückgehen. Das Virus breitet sich nicht so aus, wie die App funktioniert. Aus Datenschutzgründen sammelt sie keine Informationen zentral, sondern gibt nur anonymisierte Informationen über Risikobegegnungen direkt von Nutzer zu Nutzer weiter. Die Übertragungen hingegen bündeln sich in "Clustern". Folglich müssen eigentlich auch die Informationen über Infektionen gebündelt werden. Wie geht das, ohne sie zentral bei einer Behörde zu verarbeiten?

Einige der Datenschutz-Experten, auf deren Vorschlag die grundsätzliche Architektur der Corona-Warn-App beruht, haben dafür einen Vorschlag erarbeitet: Bevor Menschen sich treffen, erzeugt einer der Gastgeber - etwa ein Ladenbesitzer - einen QR-Code, den die anderen - in diesem Beispiel: seine Kunden - scannen. Die Daten, um wen es sich handelt, werden anonymisiert und nur auf den Handys der Teilnehmer des Treffens gespeichert. Sollte einer von ihnen infiziert sein, verschickt der Gastgeber an alle, die zeitlich in Frage kommen, eine Meldung.

Auch Schlüsselanhänger könnten helfen

Das Problem: Wenn eine solche Lösung sich durchsetzt oder gar verpflichtend werden sollte, so wie es die Zettel in der Gastronomie waren, schließt sie diejenigen aus, die kein Smartphone besitzen oder bedienen können. Die Software-Entwickler Patrick Henning und Philipp Berger glauben daher, dass ergänzend zu einer App auch Schlüsselanhänger eine Rolle spielen werden. Mit ihnen soll man sich künftig einloggen können, wenn man etwa einen Laden, ein Restaurant oder einen Bahnwaggon betritt. Die App "Luca", die Henning und Berger entwickeln, soll dezentrale - und dadurch datenschutzkonforme - Kontaktnachverfolgung auch mittels solcher Schlüsselanhänger ermöglichen.

Experte Tillmann hält das jedoch für "wenig praktikabel". Er glaubt nicht daran, dass Menschen künftig in der Öffentlichkeit oder vor Treffen mit Freunden und Kollegen permanent QR-Codes scannen. Sein gemeinsam mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ausgearbeiteter Alternativvorschlag sieht vor, dass die App die Zahl der Handys messen soll, die sich in unmittelbarer Umgebung befinden. Sind es viele, könnte die App im Fall einer Infektion erkennen, ob sie in einer Cluster-Situation stattgefunden hat. Bereits während sich der Nutzer in einer solchen Situation befindet, könnte diese Erkenntnis helfen. Bei vielen Handys auf engem Raum könnte die App Push-Nachrichten verschicken: "Lüften nicht vergessen!". Die App könnte dabei auch noch andere Faktoren berücksichtigen, zum Beispiel, ob die Handys in einem W-Lan eingeloggt sind. Das deutet meist auf geschlossene Räume hin.

Lauterbach mahnte gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am vergangenen Wochenende zur Eile. "Uns läuft die Zeit davon", sagte er. "Diese Funktionen werden dringend benötigt."

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Die Schulen bleiben offen, so will es die Politik. Christof Ganß ist Direktor eines Gymnasiums und kämpft deshalb an vielen Fronten. Über einen Mann, der mit viel Pragmatismus versucht, seine Schule durch den Winter zu bekommen.

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