Gleichberechtigung:Wie der Durchbruch bei der Frauenquote gelang

Gleichberechtigung: Mehr als 1700 Kommunen in 35 Ländern haben sich mit ihrer Unterzeichnung den Zielen der Europäischen Charta für die Gleichstellung verpflichtet. Der Landkreis Dachau könnte bald folgen.

Mehr als 1700 Kommunen in 35 Ländern haben sich mit ihrer Unterzeichnung den Zielen der Europäischen Charta für die Gleichstellung verpflichtet. Der Landkreis Dachau könnte bald folgen.

(Foto: imago stock&people/imago stock&people)

Die Koalition einigt sich doch noch auf eine Frauenquote für Vorstände. Der Gesetzesvorschlag der SPD-Ministerinnen Giffey und Lambrecht erschien lange chancenlos. Doch dann griff die Kanzlerin ein.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Noch sind die Details nicht ausverhandelt. Aber gedanklich können sich große Unternehmen schon mal auf ein Stühlerücken in ihren Chefetagen einstellen. Union und SPD haben sich nach harten Verhandlungen am vergangenen Freitag doch noch darauf verständigen können, eine verbindliche Quote für Frauen in Vorständen vorzuschreiben und auch in Aufsichtsräten den weiblichen Anteil zu erhöhen. Das hatte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) am Abend mitgeteilt.

Der Kern des Kompromisses: In den Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen mit mehr als drei Mitgliedern soll künftig mindestens eine davon eine Frau sein. In allen Organisation und Unternehmen, die mehrheitlich dem Bund gehören, sollen künftig 30 Prozent aller Aufsichtsratsposten weiblich besetzt sein, in Vorständen soll es eine Mindestbeteiligung geben. Auch in Körperschaften öffentlichen Rechts, Krankenkassen, Bundesagenturen sowie Sparkassen soll eine weibliche Mindestbeteiligung festgeschrieben werden.

Wie groß das Stühlerücken tatsächlich werden wird, ist allerdings noch nicht beschlossen. Die Koalitionsspitzen von CDU, CSU und SPD wollen sich dazu in der kommenden Woche verständigen. Erst danach wird beispielsweise feststehen, wie viele Sparkassendirektoren und Krankenkassenchefs ihr Amt an Kolleginnen abgeben müssen. Derzeit laufen etwa noch Abstimmungen zwischen den Ministerien von Hubertus Heil (SPD) und Jens Spahn (CDU) darüber, ob die Quoten auch für Landeskrankenkassen gelten sollen.

Führende Unionspolitiker sperrten sich gegen den Plan

Die Einigung auf eine Quote in Vorständen ist ein Durchbruch, der mühsam erkämpft werden musste. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) nannte ihn am Freitag "historisch". "Penetranz schafft Akzeptanz. Dieser Satz hat sich heute mal wieder bewahrheitet", sagte sie.

Die Arbeit daran hatte Anfang des Jahres begonnen, als die zwei SPD-Ministerinnen Giffey und Lambrecht einen ambitionierten Gesetzesvorschlag für mehr Frauen in Führungspositionen vorgelegt hatten, er bekam das Kürzel FüPoG2 - und zunächst wenig Chancen auf Realisierung. Die Union, allen voran führende CDU-Politiker sperrten sich gegen die Idee der Sozialdemokratinnen. Sie ginge viel weiter als das, war im Koalitionsvertrag vereinbart worden sei, so der Vorwurf. Die CDU mache da nicht mit. Vereinzelt wurde sogar die Pandemie als Grund der Ablehung angeführt: Die Wirtschaft sei wegen Corona schon genug in eine Krise gerutscht, zusätzliche Vorgaben für Frauen in Chefetagen würden nur hinderlich sein und noch mehr Arbeit bedeuten.

Der Gesetzesvorschlag der SPD-Ministerinnen schien chancenlos, bis Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingriff. In einer Regierungsbefragung Anfang Juli ließ sie Sympathie für die Überlegungen erkennen, die Quote für Frauen in Aufsichtsräten auf mehr Unternehmen auszuweiten und eine Mindestvorgabe für Vorstände einzuführen. Sie halte es für absolut unzureichend, dass es noch börsennotierte Unternehmen gebe, in denen nicht eine einzige Frau im Vorstand sei. "Das ist ein Zustand, den kann man nicht vernünftig finden."

Die Arbeitsgruppe, extra eingerichtet von der Koalition, um sich zu einigen, kam trotzdem nicht voran.

An einem regnerischen Tag Mitte Oktober drängen dann prominente Frauen aus der Zivilgesellschaft auf die Frauenquote. Ein Foto rauscht durchs Netz, Katja Kraus, Nora Bossong, Janina Kugel, Jutta Allmendinger und Maria Furtwängler stehen auf der großen Treppe in der Berliner Bundespressekonferenz und fordern "Einfluss, Macht, Sichtbarkeit und Gerechtigkeit". In erster Linie solle es dabei nicht um sie persönlich gehen, weil sie ja alle schon viel erreicht hätten, sagt Kugel, lange Spitzenmanagerin bei Siemens und jetzt Unternehmensberaterin. "Wir machen das für die, die nach uns kommen."

Vor allem Giffey soll energisch nach Verbündeten gesucht haben

Die Frauen bringen Bewegung in die festgefahrenen Koalitionsgespräche. Vor allem Giffey, erzählen Beteiligte, sei "Feuer und Flamme" gewesen, hinter den Kulissen Verbündete zu suchen. In der Arbeitsgruppe grummelt es Anfang November, man komme wohl an der Quote für Vorstände nicht mehr vorbei.

Das sieht auch CSU-Chef Markus Söder so, der auf einer Veranstaltung Mitte November in Hamburg unerwartet explizit einen "Ruck" fordert bei den Verhandlungen in Berlin um das FüPoG2. "Ich bin für die Frauenquote", sagt Söder. "Ich bin übrigens auch dafür, dass wir bei den Gesetzen, die jetzt in Berlin gemacht werden mit Vorständen, dass wir uns da jetzt noch mal einen Ruck geben und das dann auch vernünftig umsetzen müssen."

Am Tag nach Söders Auftritt fordert SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz die Union auf, den Widerstand gegen das Gesetz in den Verhandlungen der Koalitionsarbeitsgruppe aufzugeben. "Die Zeit der Ausreden ist vorbei", sagt Scholz.

Gut zehn Tage später ist gelungen, was die SPD-Ministerinnen nicht zu hoffen gewagt hatten: die politische Einigung auf eine Quote in Vorständen ist da. Gewonnen ist allerdings noch nichts: Es wird in den kommenden Tagen auf die Details und das Kleingedruckte ankommen, über das jetzt noch Heil, Spahn und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verhandeln.

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