SZ-Serie: Wohl bekomm's:Krumme Dinger in der Küche

Lesezeit: 3 min

Sternekoch Sascha Kemmerer macht aus den Zutaten der Etepetete-Box im Ofen geschmortes Wintergemüse auf Zitrusfrucht-Polenta. (Foto: Annette Sandner)

Der Lieferdienst "Etepetete" verschickt Kisten mit Obst und Gemüse, das optisch nicht der Supermarkt-Norm entspricht.

Von Katrin Kurz

Dreibeinige Karotten, krumme Gurken oder verzwirbelter Kohlrabi: Was exotisch klingt, kommt in der Natur gar nicht so selten vor. Doch im Laden um die Ecke findet man solch schrullige Exemplare kaum. Woran das liegt? Nun, selbst für Obst und Gemüse gilt ein Schönheitsideal. Was zu klein, zu krumm oder zu knorrig ist, wird aussortiert, weil es nicht der Supermarktnorm entspricht oder in kein passendes "Kaliber" passt, einer Art Maßeinheit in der logistischen Lieferkette.

So bleiben die vermeintlichen Mängelexemplare auf dem Feld liegen, werden entsorgt oder wandern in die Biogasanlage. Bis zu 30 oder 40 Prozent der Ernte können das sein, sagen zahlreiche Lebensmittelstudien, auf die sich sowohl Bauern wie auch einschlägige Plattformen berufen, die sich mit Lebensmittelverschwendung befassen. Selbst auf Bioland- oder Demeter-Bauernhöfen, die Waren mit höchster Bio-Zertifizierung produzieren.

"Food Hub München"
:Ein Öko-Supermarkt für Direktvermarkter

Die Kooperative "Food Hub München" will einen kooperativen Laden im nächsten Mai eröffnen - noch fehlt die Immobilie dafür. Was es schon gibt: ein Rezept für "Schnelles Ofengemüse", das zum Inhalt der Einkaufskiste passt.

Von Franz Kotteder

"Viel zu schade zum Wegwerfen", finden Christopher Hallhuber und Georg Lindermair. Ihr persönliches Aha-Erlebnis hatten die beiden vor rund fünf Jahren, als sie durch Zufall auf einem Bauernhof im Münchner Umland riesige Mengen knorriger Karotten entdeckten, ohne Verwendung für den Landwirt. Schnell entstand die Idee, diesen krumm geratenen Gewächsen eine zweite Chance zu geben und sie an Verbraucher zu vermitteln, denen "die inneren Werte wichtiger sind als die Optik", so Hallhuber. Vom Hörsaal an der Uni ging es raus aufs Feld, die beiden Jungunternehmer suchten den Kontakt zu regionalen Bio-Landwirten und erarbeiteten individuelle Konzepte, wie sie die ungeliebten Grünlinge vom Feld via Online-Bestellung in die heimische Küche bringen können.

Mit dem eigenen Taschengeld mussten sie ihr Start-up "Etepetete" auf die Beine stellen, sagen die beiden 31-Jährigen heute, üppiges Startkapital war nicht vorhanden. Anfangs packten sie noch selbst mit Freunden und Familie Gemüsekisten und verschickten sie aus einem improvisierten Lager in der eigenen Garage, später von der Großmarkthalle aus. Das Büro befand sich zeitweise irgendwo zwischen Kühlhalle und Beifahrersitz.

Das Konzept ging auf: Heute arbeiten rund 100 Mitarbeiter für Etepetete, pro Woche werden gut 10 000 Boxen verschickt. "Jedoch mit starken Schwankungen", sagt Lindermair. Im Zuhause-Sommer 2020 war die Nachfrage deutlich höher als im Vorjahr. Mehr als 40 ökologisch arbeitende Betriebe haben sich ihnen bis heute angeschlossen, darunter zahlreiche Demeter- und Bioland-Höfe. Selbst Avocados und Orangen aus Spanien oder Griechenland sind über das Lieferanten-Netzwerk inzwischen verfügbar. Zu klein, zu blass oder mit faltiger Schale sind sie gewachsen und passen deshalb nicht in die Auslage des Supermarktes.

Im Internet können die Bio-Boxen im Monats-Abo bestellt werden, mit einem wöchentlichen oder 14-tägigen Lieferintervall. Nur so sei kalkulierbar, welche Mengen tatsächlich benötigt werden. Lager- und Lieferzeiten sollen möglichst kurz sein. Die Fünf-Kilo-Box mit wahlweise Obst, Gemüse oder einer Mischung aus beidem kostet zwischen 22 und 26 Euro. Dabei geht es nicht um Preisdumping, sagt Hallhuber: "Weil in einer Herz-Kartoffel genauso viel Arbeit steckt wie in einer normalen", bezahle man an die Partner-Landwirte faire Preise für die ausgemusterten Sorten, zwischen 50 und 75 Prozent des Normalpreises, heißt es. Plastikfrei und mit kurzen Lieferketten werden die Pakete inzwischen von der Kühlhalle in Kaufbeuren aus versandt. Derzeit noch mit externen Logistikpartnern, eine Umstellung auf emissionsfreie Transportmöglichkeiten ist in Planung.

Zusätzlich gibt es seit kurzem Basic- oder Knabberboxen im Sortiment. Darin finden sich Grundnahrungsmittel wie Nudeln, Reis, Müsli, Tomatensoße oder Snacks für zwischendurch. Einziges Manko: Die Mindesthaltbarkeit endet bald, die Konservendose hat eine kleine Delle oder das Etikett klebt schief. Was in etwa in der Box enthalten ist, wird im Vorfeld auf der Homepage von Etepetete aufgelistet. Überrascht ist man beim Öffnen trotzdem: Der vermeintliche Makel ist nicht immer erkennbar, und über manch schief geratene Laune der Natur muss man schmunzeln.

Heute arbeiten rund 100 Mitarbeiter für Etepetete, pro Woche werden gut 10000 Boxen verschickt. (Foto: Annette Sandner)

Geschmortes Wintergemüse

Zwei solcher Kisten stehen nun in der Küche von Sascha Kemmerer. Der 38-Jährige kocht normalerweise im Restaurant "Kilian Stuba" im Kleinwalsertal, seit acht Jahren hält er dort seinen Michelin-Stern. Wegen des Lockdowns im November kam er in seine Münchner Heimat und kreierte ein Rezept aus den Inhalten der Überraschungs-Box. Auf den Teller kommt ein im Ofen geschmortes Wintergemüse auf Zitrusfrucht-Polenta mit Ajvar und Joghurt.

Zutaten (für vier Personen): 200 ml frisch gepresster Zitrusfrucht-Saft, 400 ml Wasser, jeweils drei Esslöffel Tomatensoße und Ajvar (Paprikamus), 80 g Polenta (Maisgrieß), verschiedene Sorten Wurzelgemüse (Süßkartoffel, Kürbis, Kohlrabi, Karotte, Steckrübe) und Fruchtgemüse (Zucchini, Paprika, Tomate), getrockneter Oregano, Olivenöl, Salz, Zucker, Joghurt.

Zubereitung: Den Zitrusfrucht-Saft mit Wasser, Tomatensoße und Ajvar mischen. Nun die Polenta dazugeben und 20 Minuten köcheln lassen, bis eine breiige Konsistenz entsteht. Wurzelgemüse putzen, soweit nötig schälen und in gleich große Stifte schneiden. Dann mit Salz, etwas Zucker und Olivenöl mischen. Getrockneten Oregano darüber geben und bei 190 Grad für 20 Minuten im Ofen schmoren lassen. In dieser Zeit das restliche Fruchtgemüse waschen, klein schneiden und dann unter das restliche Gemüse mischen. Für weitere zehn Minuten in den Ofen geben. Die Polenta-Creme auf dem Teller verteilen und darauf das Schmorgemüse anrichten. Etwas Olivenöl gemischt mit Salz darüber träufeln und mit einem Klecks Joghurt als Garnitur servieren.

© SZ vom 23.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gesund und nachhaltig
:Jeder kann Gemüsebauer werden

Das Münchner Kartoffelkombinat ist ein Musterprojekt der solidarischen Landwirtschaft und versorgt schon 1800 Haushalte. Zum Ernteanteil bekommt man auch Rezeptvorschläge, etwa für eine "Herbstliche Kürbis-Apfel-Suppe".

Kolumne von Franz Kotteder

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: