Mitten in Hadern:Verhüllung ist Verheißung

Weil die Amseln im Sommer so brav die in Organza-Beutel geschützten Weinbeeren in Ruhe gelassen haben, schenkt ihnen der Hobby-Winzer im Herbst ein paar übrig gebliebene Trauben an der Rebe - zur großen Freude der Tiere

Glosse von Berthold Neff

Nun, da alles darauf hindeutet, dass wir Weihnachten trotz der Pandemie halbwegs so feiern können wie immer, wird es Zeit, über Geschenke zu reden - und natürlich auch darüber zu fachsimpeln, wie man sie am besten verhüllt. Davon können die Amseln, die vom Frühjahr bis weit in den Sommer ohne Murren den Weckdienst übernahmen und einen entsprechend früh aus den Federn trieben, durchaus ein Lied singen.

Die Sache war nämlich die: Sie verspürten, nachdem sie sich und andere so zeitig geweckt hatten, einen unbändigen Hunger und machten sich, gesundheitsbewusst wie sie nun mal sind, über alles her, was einigermaßen blau aussah und Vitamine versprach. Eine solche Attacke auf die Weintrauben auf dem Spalier an der Terrasse hätte natürlich die Weinproduktion dieses Krisenjahres vollends zum Erliegen gebracht, was den Hobbywinzer dazu trieb, die sich langsam färbenden Henkel in Organzabeutel zu packen und so für die hungrigen Schnäbel unerreichbar zu machen.

Und was soll man sagen - die Amseln begriffen schnell, ließen das langsam vor sich hin reifende Obst fortan in Ruhe und stocherten stattdessen stoisch im Boden umher, auf der Suche nach dem Wurm, dessen nur der frühe Vogel habhaft wird. Sie hätten natürlich ein paar schlaue Kolkraben um Amtshilfe bitten können, damit die ihnen zeigen, wie man die von Menschenhand geknüpfte Schleife dieses Geschenkbeutels im Handumdrehen, also mit ein paar geschickten Krallenbewegungen, öffnet. Aber sie ließen es bleiben. Vielleicht wollten sie nicht zugeben, dass sie zwar viel schöner singen können als jeder Rabe oder jede Krähe, aber nicht mal eine Schleife öffnen können, was für andere ein Kinderspiel ist. Vielleicht keimte aber in ihrem kleinen Köpfchen, also oberhalb des gelben Schnabels, die Hoffnung, dass der Tag der Bescherung noch kommen würde, wahrscheinlich sogar vor Weihnachten.

Und sie hatten recht. Die Weinlese stieg dann schon Anfang Oktober, und weil man ja nicht so sein will, blieben zur Belohnung für das geduldige Warten ein paar Trauben hängen. Sie wurden prompt schnabuliert.

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