Europäische Cloud-Initiative Gaia-X:Wolke mit Datenschutz

Deutsche Telekom eröffnet neues Cloud-Rechenzentrum

In Reih und Glied stehen Server im Rechenzentrum der Telekom im sachsen-anhaltischen Biere. Die Telekom gehört zu den 22 Gründungsmitgliedern der Cloud-Initiative Gaia-X.

(Foto: Jens Wolf/picture alliance/dpa)

Die europäische Cloud-Initiative Gaia-X will die Abhängigkeit von amerikanischen und chinesischen Cloud-Anbietern reduzieren. Pläne und Konzepte dafür gibt es - nun müssen sie auch umgesetzt werden. Kann das gelingen?

Von Mirjam Hauck, München

Von Gaia-X wird Großes erwartet. Benannt nach der griechischen Erdgöttin soll das Projekt nichts Geringeres werden als der "Goldstandard für Cloud-Services weltweit". So wünscht sich das zumindest Geburtshelfer und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Vor gut einem Jahr hatte er auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung Gaia-X das Projekt als deutsch-französische Initiative mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire vorgestellt. Die Initiatoren verstehen das Projekt als "Wiege eines offenen und transparenten digitalen Ökosystems, in dem Daten und Dienste verfügbar gemacht, zusammengeführt und vertrauensvoll geteilt werden können". Dafür sollen neue und bestehende Angebote über Open-Source-Anwendungen und offene Standards miteinander vernetzt werden. Das heißt, Gaia-X soll dafür sorgen, dass es Cloud-Services gibt, die europäische Datenschutzstandards gewährleisten, die es erlauben, Daten untereinander branchen- und länderübergreifend sicher auszutauschen. Und dabei am besten noch konkurrenzfähig zu amerikanischen und chinesischen Diensten sind.

Gegen Clouddienste aus den USA wie Microsoft Azure, Google Cloud und Amazon AWS gibt es insbesondere nach dem Urteil des EuGH zugunsten des österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems Vorbehalte. Er kippte mit seiner Klage das sogenannte Privacy Shield, das den Datenaustausch zwischen der EU und den USA rechtssicher regeln sollte. Das Gericht stellte im Juli klar, dass EU-weit die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gelten muss. Sie regelt, dass personenbezogene Daten grundsätzlich nur dann in ein Drittland übermittelt werden dürfen, wenn das betreffende Land für die Daten ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet. Das wiederum ist nicht mit dem US-amerikanischen Cloud Act vereinbar. Der besagt, dass US-Unternehmen auf Anfrage der Sicherheitsbehörden Kundendaten herausgeben müssen.

Auch die US-Konzerne zeigen Interesse

Allerdings sind US-Konzerne wie Amazon, Google und Microsoft nicht von vornherein von der Gaia-X-Initiative ausgeschlossen. Wirtschaftsminister Altmaier hatte mehrmals erklärt, dass auch Tech-Konzerne aus den USA Angebote entwickeln sollten, die mit den Richtlinien von Gaia-X vereinbar sind. Und diese zeigen nach anfänglichen Vorbehalten durchaus Interesse. Microsoft-Präsident Brad Smith etwa nannte Gaia-X einen "durchdachten Vorschlag".

22 Gründungsmitglieder wie SAP, die Deutsche Telekom und BMW verzeichnete Gaia-X im Oktober 2019, gut ein Jahr später wollen weitere 100 Unternehmen und Organisationen aus mehreren europäischen Ländern das Projekt mit Geld und Know-how unterstützen. Die Initiative ist mittlerweile ein gemeinnütziger Verein mit dem etwas sperrigen Namen Gaia-X AISBL. AISBL steht für Association internationale sans but lucratif, die belgische Rechtsform für eine Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht.

Den Milliardenmarkt der Cloudanbieter dominiert derzeit Amazon Web Services (AWS) mit 33 Prozent Marktanteil weltweit. Nach Zahlen der Synergy Research Group haben Unternehmen im dritten Quartal 2020 weltweit 33 Milliarden US-Dollar für Cloud-Infrastrukturdienste ausgeben und damit 33 Prozent mehr als im dritten Quartal 2019. Nach Amazon belegt Microsoft mit 18 Prozent Marktanteil den zweiten Platz, zusammen bedienen sie gut die Hälfte des Marktes. Platz drei geht mit neun Prozent an Google, es folgen Alibaba und IBM mit je fünf Prozent. Erst auf Platz zehn findet sich mit einem Prozent Marktanteil das erste europäische Unternehmen: SAP aus Walldorf. Die Top Ten der Anbieter teilen unter sich 80 Prozent des Marktes auf. Die übrigen 20 Prozent bedienen kleinere nationale oder regionale Cloudanbieter.

Viele deutsche Unternehmen nutzen US-Hyperscaler

Zu den Kunden der großen US-Cloudanbieter gehören mittlerweile auch viele deutsche Unternehmen. So verkündete die Deutsche Bahn Ende Oktober, dass sie ihre eigenen Rechenzentren abgeschaltet und die komplette Informationstechnik in die Cloud verlagert habe - in die Clouds von Amazon und Microsoft. Der Konzern begründete diesen Schritt damit, dass die Auslagerung flexibler und kostengünstiger sei, als die IT-Anwendungen selbst zu betreiben. Die Deutsche Bank setzt seit Sommer bei ihren Finanzdienstleitungen auf Googles Cloud. Der Modehändler Zalando nutzt seit Kurzem Machine-Learning-Algorithmen von Amazon.

Gaia-X will aber kein "Hyperscaler" nach dem Vorbild von Google, Amazon oder Microsoft werden. Vielmehr soll den Cloud-Riesen mit einer Vernetzung von vielen kleineren Anbietern aus Europa entgegengetreten werden. Aber wie stehen die Chancen? Die Marktforscher von Forrester Research haben sich die Initiative genauer angesehen und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Projekt zwar sehr ambitioniert, aber insgesamt noch zu abstrakt sei. Es sei noch nicht klar, was Gaia-X genau sei und wo Initiatoren und Mitglieder damit hinwollten.

Martin Endreß, Vorstand eines der größten europäischen Webhoster 1&1 Ionos, ist dagegen überzeugt, dass Gaia-X das richtige Projekt zur richtigen Zeit ist: "Wir sind von Anfang an dabei, und für uns ist Gaia-X ein starker Impuls aus der Regierung." Für Europa könne daraus eine echte Wertschöpfung entstehen, vor allem dadurch, dass europäische Tech-Arbeitsplätze geschaffen werden.

Endreß sieht den Vorteil von Gaia-X darin, dass das Projekt den Rahmen vorgibt, indem Plattformen für den Datenaustausch geschaffen werden können. Gerade im Bereich des Machine Learning und der künstlichen Intelligenz (KI), für den viele Daten benötigt werden, sei es sinnvoller, dass beispielsweise fünf Unternehmen ihre Daten in einen Datenpool geben. Über diesen könne dann ein gemeinsamer KI-Algorithmus laufen, das bringe viel mehr, als wenn jedes Unternehmen nur seine Daten verwenden könne, um die KI zu trainieren. "Für die technologische Entwicklung Europas ist es immens wichtig, dass es diese Datapools gibt", sagt Endreß. Zudem könne das Unternehmen mit der eigenen Cloud die Infrastruktur für diese Datenpools stellen. Diese erfülle alle Datenschutz- und Souveränitätsanforderungen.

Nachfrage aus dem öffentlichen Sektor soll Gaia-X einen Schub verleihen

Denn Gaia-X soll festschreiben, welche Standards gelten sollen und wer Zugriffsrechte auf die jeweiligen Daten hat. Das ist zum Beispiel auch bei Vorhaben wie der elektronischen Patientenakte wichtig, die Patientinnen und Patienten von Arzt zu Ärztin und möglicherweise von Land zu Land mitnehmen können sollen. Aber nicht nur in der Industrie und im Gesundheitswesen, auch für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sollen Gaia-X-Projekte eingesetzt werden. "Deutschland liegt mit seinen digitalen Diensten auf einem inakzeptablen 21. Platz im Ranking der 27 EU-Staaten. Eine hohe Nachfrage aus dem öffentlichen Sektor würde Gaia-X die dringend notwendige Starthilfe geben", sagt Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung.

Laut Wirtschaftsministerium werde momentan in knapp 50 Fallbeispielen ein Bedarf ermittelt und dann in Arbeitsgruppen vertieft. Zunächst wolle man 2021 mit einem "Minimum Viable Product" ("minimal funktionsfähigem Produkt") an den Start gehen. Dies sei der Ausgangspunkt für Prototypen, den Test kritischer Funktionalitäten und weitere Entwicklungen.

Für Martin Endreß ist der entscheidende Punkt, dass es bald konkrete Anwendungen mit einem Mehrwert für Unternehmen oder den öffentlichen Sektor gibt. "Wir haben genügend IT-Architekturkonzepte geschrieben, der nächste Schritt muss einer weg von Konzepten hin zu drei, vier realisierbaren Anwendungen sein. Das muss in den nächsten sechs Monaten passieren."

Zur SZ-Startseite

SZ PlusSuse-CEO Melissa Di Donato
:"Es ist völlig egal, wer man ist, wo man ist und woher man kommt"

Sie ist eine der wenigen Chefinnen in der Computer-Branche: Wie Melissa Di Donato von der Softwarefirma Suse Frauen fördert und woran es liegt, dass immer noch so wenige von ihnen in der IT-Industrie arbeiten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: