Äthiopien:Finaler Angriff auf die Abtrünnigen

Äthiopien: Die letzte Chance einer friedlichen Einigung sei vorbei, sagt Äthiopiens Präsident und schickt die Armee nach Tigray: Regierungssoldaten diese Woche in der nördlichen Stadt Dansha.

Die letzte Chance einer friedlichen Einigung sei vorbei, sagt Äthiopiens Präsident und schickt die Armee nach Tigray: Regierungssoldaten diese Woche in der nördlichen Stadt Dansha.

(Foto: EDUARDO SOTERAS/AFP)

Präsident Abiy Ahmed, Friedensnobelpreisträger 2019, weist die Armee an, die Hauptstadt der Rebellenregion Tigray einzunehmen. Die dortige Führung will kämpfen. Es könnte der Beginn des Zerfalls des nordostafrikanischen Landes sein.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Abiy Ahmed fordert die Menschen der Stadt Mek'ele auf, zu Hause zu bleiben. So, als könne man allein durch das Schließen von Fenstern und Türen den Tod aussperren. Am Donnerstag kündigte der Ministerpräsident von Äthiopien die "finale Phase" des Krieges im Norden des Landes an und befahl der Bundesarmee den Angriff auf die Regionalhauptstadt mit 500 000 Einwohnern. Am Sonntag hatte Abiy der abtrünnigen Region und ihrer Führung, der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), ein 72-Stunden-Ultimatum gesetzt, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben.

Diese letzte Chance einer friedlichen Lösung des Konflikts hätten die Führer der Region Tigray verstreichen lassen, nun würden Panzer und Artillerie gegen Mek'ele in Stellung gebracht. Tage zuvor hatte die Armeeführung die Zivilbevölkerung in Mek'ele gewarnt, dass es beim Angriff "keine Gnade" geben werde, was internationale Organisationen als einen Bruch des Völkerrechtes kritisierten, das den Schutz der Zivilbevölkerung beinhaltet. Abiy sagte nun am Donnerstag, dass alles getan werde, um Menschen und Gebäude zu schützen.

In Mek'ele werden Schützengräben ausgehoben, 250 000 Kämpfer vermutet man in der Region

Details vom Beginn der Offensive waren am Donnerstag unklar, die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unter Berufung auf diplomatische Quellen, dass die TPLF in Mek'ele mit einer Mobilisierung beginne und Schützengräben aushebe. Insgesamt sollen in der Region Tigray etwa 250 000 Milizionäre unter Waffen stehen. Der Krieg begann nach Darstellung des Ministerpräsidenten Abiy vor drei Wochen als Reaktion auf einen Angriff der TPLF auf eine Basis der Bundesarmee, bei dem Waffen erbeutet wurden.

Es war die letzte Eskalation eines Konflikts, der sich bereits über Monate hinzog. Äthiopien ist ein Land mit 110 Millionen Einwohnern und etwa 80 Volksgruppen, unter denen die Tigray zwar nur etwa fünf Prozent ausmachen, aber jahrzehntelang führende Positionen in Politik und Wirtschaft innehatten. Bis schließlich 2018 Ministerpräsident Abiy an die Macht kam, der erste aus der größten Volksgruppe der Oromo. Er entfernte zahlreiche Tigray von ihren Positionen, viele ihrer Führer wurden wegen Korruption angeklagt. Die Elite der TPLF zog sich in ihre Region zurück, ließ Wahlen abhalten, obwohl Abiy dies wegen Corona verboten hatte. Im Gegenzug strich die Zentralregierung Bundeshilfen. Kern des Konflikts ist neben Machtfragen und ökonomischen Interessen auch die Zukunft des Vielvölkerstaates Äthiopien. Ministerpräsident Abiy möchte die Rolle und Bedeutung der Region zugunsten einer starken Zentralregierung schwächen, viele Völker pochen aber auf ihre hart erstrittene Teilautonomie.

Es gibt eine Tradition des Kampfs gegen alle Eindringlinge von außen - ob Kolonisatoren oder Landsleute

Die Innenstadt von Mek'ele sieht aus wie ein Freilichtmuseum der Unabhängigkeitskämpfe der vergangenen Jahrzehnte, alte Panzer stehen herum, Heldendenkmäler und Statuen. Hier wurde in den vergangenen Jahrzehnten gegen alle gekämpft, die man als Eindringlinge von außen betrachtete: italienische Kolonisatoren, äthiopische Kaiser und kommunistische Diktatoren. An diese Tradition will die TPLF nun anknüpfen, sie ruft zum heldenhaften Widerstand auf. Abiy und die Bundesregierung berichten jedoch von Tausenden Tigray, die zum Feind übergelaufen seien. Nachprüfen lässt sich nichts, das Internet in der Region ist abgeschaltet, der Zugang gesperrt.

Abiy hofft, der TPLF durch die Blockade den Nachschub abschneiden zu können, da auch die Grenzen zum Sudan und zu Eritrea geschlossen sind. Kritiker glauben, dass der Angriff auf die TPLF in einem jahrelangen Guerillakrieg enden könnte, der schließlich die ganze Region destabilisieren und zum Zerfall Äthiopiens führen könne. Friedensvermittlungen der Afrikanischen Union sind bisher gescheitert. Abiy hat sich mittlerweile jegliche internationale Einmischung verbeten, sie sei "nicht willkommen". Eine Haltung, die die Kritik am Krieg in Tigray nicht verstummen lässt, eher im Gegenteil. Menschrechtsorganisationen berichten von mindestens 40 000 Menschen, die vor den Kämpfen in den Sudan geflohen seien, in Teilen Tigrays sei die Versorgungslage kritisch.

Als würde ein Bundesland Bundesregierung und Parlament für illegal erklären und die Bundeswehr angreifen

Abiy hat aber weiterhin auch viele Unterstützer, die sein Vorgehen gutheißen: Tsegaye Degineh, ein Vertreter der deutsch-äthiopischen Zivilgesellschaft, fragt, was Deutschland denn in einer ähnlichen Situation tun würde? "Was, wenn ein Bundesland nach der Wahl die aktuelle Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat für illegal erklärt und keine Weisungen der Zentrale mehr annimmt? Was, wenn die Bundesregierung den Haushalt für das Bundesland stoppt und dieses das dann als Berechtigung für den Beginn von kämpferischen Aktivitäten nimmt, Bundeswehrkasernen angreift, Soldaten tötet und Waffen erbeutet?"

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